Home  |  Kleines Kuriositätenlexikon der deutschen Sprache

 Inhalt

Einleitung  | Fische, Vögel, Kühe und Kängurus | Umlauteritis.Gesteigerter Unsinn.  | Da wird der Geist Euch wohl dressiert...  | Ein Grammatik-Test  | Gespaltenes Haar  | Regel ohne Ausnahme?  | Angriff der neunbeinigen Monster | Als wie fünfhundert Säuen. | Kampf der Geschlechter  | Hört, hört...  | Im Zahlendschungel  | Auf und zu und auf und ab. | Alles in Obi  | Altgriechische Schlacken | An die Luft und in die Pilze | Das böse Englisch | Kättschapp | Dachs und Dax | Die Hemisphären der Menschheit | Der Fluch der Mannheit  | Die Orgel | Drunter und drüber | Gemüse und Gerippe | Von Engelschören und Kegelclubs | Wunderliche Berufswelt  | Kunterbunte Musikantenwelt | Merkwürdige Fälle | Musik, Lyrik und Grammatik | Musique und Majonäse | Jünglinge und Blätterlinge | Obig und untig | Plural-Pluralismus | Rechtschreibprüfung | Singsang und Tingeltangel  | Sprachpanscher | Schwache, starke und halbstarke Konjugation |  | Starkheit, dein Name ist Mann | Tag und Nacht  | Ungeheuer Ungereimtes | Wider den tierischen Ernst | Neuheiten und Altheiten | Wer nämlich mit „h“ schreibt...  | Wer zählt die Völker, nennt die Namen...? | Wöchentlich und morgendlich | Lebendige Sprache | nicht unübel  | Ausleitung

Bernd Allendorf

Sankt Konfusius

Schutzpatron deutscher Sprache und Sprachpflege

oder

Warum heißt es „Hühnerei“, aber nicht „Vögelei“?

Die Idee zu dem hier vorgestellten Buch kam mir nach einer Lektüre der Buchreihe von Bastian Sick: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“.

So amüsant diese Bücher auch geschrieben sind und so viel Sympathie auch die Person des Autors etwa bei Fernsehauftritten ausstrahlt, so gibt es doch etwas, das mich leicht stört: Die zugrunde liegende Philosophie scheint mir zu einfach und einseitig.

Sick geht nämlich offenbar von der Grundannahme aus, es gebe da ein gutes und richtiges Deutsch, das im Duden steht und als solches nicht in Zweifel zu ziehen ist. Dem gegenüber steht der nachlässige und fehlerhafte Umgang mancher Zeitgenossen mit der deutschen Sprache, der dann häufig zu unfreiwilliger Komik führt. Nachdem man sich über letztere gebührend amüsiert hat, geht es darum, die armen unwissenden aber brav lernwilligen Mitmenschen in väterlicher Manier darüber aufzuklären, wie es denn in gutem und richtigen Deutsch zu heißen habe.

Soweit so gut: die deutsche Sprache vor ihren Verhunzern zu schützen, mag ein achtenswertes Unterfangen sein. Aber es lässt die Frage völlig außen vor, wer eigentlich den gesunden Menschenverstand vor der deutschen Sprache schützt. Müssen wir uns wirklich ohne zu murren jeden noch so abenteuerlichen Schwachsinn bieten lassen, den zu lernen uns die Sprache und insbesondere deren Orthografie und Grammatik zumutet?

Es schien mir nicht ganz überflüssig, im Umfeld von Rechtschreibreform, Sprachpflegeboom und Jammern über Pisa-Studien einmal die Partei der „armen Schweine“, also der Ausländer und Kinder zu ergreifen, denen das Erlernen der deutschen Sprache abverlangt wird, und die unter deren komplizierter grammatischer Kasuistik und ihrer zum Teil haarsträubenden orthografischen Willkür heftig zu leiden haben.

Das Buch beabsichtigt, die deutsche Sprache, Orthografie und Grammatik ein wenig zu zerpflücken, ihre Ungereimtheiten, Widersprüche, ihre Inkonsequenzen und  bisweilen Lächerlichkeiten aufzudecken und bewusst zu machen. Insbesondere die Schwächen der Orthografie und die Fehlleistungen der jüngsten Rechtschreibreform werden kritisiert.

Der Autor erlaubt sich auch, Dinge in Frage zu stellen, die im Allgemeinen nicht angezweifelt werden. So behauptet er z.B., die orthografische Unterscheidung von „dass“ und „das“ sei blanker Unfug oder zumindest überflüssige Haarspalterei, ebenso wie die spitzfindige Unterscheidung der Vergleichspartikel „als“ und „wie“ im Grunde unsinnig ist.

In erster Linie möchte der Autor den Leser unterhalten, und zwar durch überraschende, verblüffende oder provozierende Fragestellungen oder durch Beobachtungen, auf die man bei normaler Gehirntätigkeit nicht kommt. Wem ist schon klar, dass bei sprachlicher Konsequenz in Pakistan die „Paken“ leben müssten, oder dass man eigentlich nicht „hören“ sondern „öhren“ müsste, weil es nicht mit den „Horen“ sondern  mit den „Ohren“ geschieht?!

Neben dem Unterhaltungsaspekt verfolgt das Buch aber auch durchaus sachliche Ziele. Es sollen eingefahrene Denkstrukturen aufgebrochen werden, damit ein neues unbefangeneres Nachdenken über Sprache  möglich wird. Im Idealfalle möchte das Buch sogar einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass der Boden für eine künftige Rechtschreib- oder gar Sprachreform bereitet wird, die das leisten müsste, was die letzte so schmählich versäumt hat, nämlich den Konflikt zwischen der Sprache und ihren Lernern zu entschärfen. Denn am „Pisa-Schock“ dürfte nicht allein die Dummheit der Schüler schuld gewesen sein, sondern kaum weniger die motivationshemmende  Dummheit des Lehrstoffs.

Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Systematik. Es besteht (nach dem Vorbild der „Dativ-Bücher“ von Sick) aus einer lockeren Folge in sich abgeschlossener, austauschbarer und umstellbarer Kapitel, so dass der Leser mit der Lektüre an jeder beliebigen Stelle beginnen kann.

Nachdem ich das Manuskript verschiedenen Verlagen angeboten habe, ohne auf Interesse zu stoßen, veröffentliche ich nunmehr hier den kompletten Text.


 

Einleitung

 Fisch und Vogel, für und vor, viel und feil.

 Das eine schreibt man mit f, das andere mit v. Was für ein gigantischer Unfug! Unschuldige Kinder mit dem Erlernen solch offenkundigen Schwachsinns zu quälen, grenzt an Körperverletzung!

 Sollte diese Äußerung jetzt beim einen oder anderen Überraschung oder gar Unverständnis auslösen, zeigt dies nur, wie gut die Gehirnwäsche funktionierte, der man uns alle in unserer Kindheit unterzog.

 Mit „auf ab auf, Pünkelchen obendrauf“ begannen wir seinerzeit als „i-Dötzchen“ nach einer heute sicher veralteten Methode, die aber damals noch im Schwange war. Als wir dann das ABC intus hatten und so weit waren, dass man uns mit den Tücken der Orthografie konfrontieren konnte, mussten wir uns als erstes ganz schnell die Frage abgewöhnen, warum etwas so und nicht anders sei. Bald hatten wir begriffen, dass in der Sprache Fragen nach dem Warum keinen Sinn machen, weil hier das lapidare Grundgesetz gilt: „Das ist einfach so“. Wagte es trotzdem mal jemand vorsichtig zu fragen, warum man „für“ mit f und „vor“ mit v schreibt, so wurde ihm in Ermangelung einer besseren Erklärung sofort das Grundgesetz dermaßen gründlich unter die Nase gerieben und - wenn das nicht half - um die Ohren geschlagen, dass er sich in Zukunft solche Fragen verkniff.

 Und so  lernten wir denn brav und emsig, dass es „die“ Tür und „das“ Tor heißt, dass der Arm männliches und das Bein, obwohl es dicker als der Arm ist, sächliches Geschlecht hat. Oder  dass „Frauen“ nicht in „Bauen“ und schon gar nicht in „Bäuen“ sondern in „Bauten“ wohnen. Wir nahmen auch ohne Murren zur Kenntnis, dass man „bringen“ („brachte, gebracht“) anders konjugiert als „singen“ und „klingen“. Wir lernten artig den Unterschied zwischen „Kahn“ und „Plan“, „Lohn“ und „Ton“ und waren ganz stolz, als wir die unterschiedlichen Schreibweisen von „Gebühr“ und „Gespür“ kapiert hatten. Als man uns schließlich noch beigebracht hatte, dass „Schiffahrt“ mit zwei und „Schifffracht“ mit drei f geschrieben wurde (denn damals war das noch so!), fühlten wir uns endgültig auf dem Gipfel orthografischer Bildung angelangt.

 All dies und noch vieles andere lernten wir eifrig und ohne Zweifel an der Werthaltigkeit des Gelernten. Denn wer konnte schon an der überlegenen Weisheit unserer deutschen Muttersprache zweifeln, die schließlich den Rohstoff für die größten Werke abendländischer Dichtkunst geliefert hatte! Dass uns das eine oder andere beim Lernen vielleicht etwas merkwürdig erschien, war schnell vergessen, und durch ständigen Gebrauch stellte sich schließlich ein solcher Grad von Vertrautheit ein, dass uns die deutsche Sprache als das Selbstverständlichste von der Welt erschien.

 In diesem Zustand der vollendeten Harmonie mit ihrer Muttersprache verbringen die meisten Menschen ihr gesamtes Leben. Sie lassen sich von Sprachexperten gerne darüber belehren, was „gutes und richtiges Deutsch“ ist, und schlagen im Zweifelsfalle im Duden nach. Denn was im Duden steht, gilt und duldet keine Abweichung. Sollte trotzdem mal jemandem ein „Gehöhr“ mit h unterlaufen, braucht er sich über mangelnden Spott seiner orthografisch gebildeten Mitmenschen nicht zu beklagen. Denn wie lernten wir so schön auf der Schule: „Wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich“! Auf einen solchen wird man ebenso mit Fingern zeigen wie auf einen, der aus dem „Ramen“ fällt oder „Sahmen“ unters Volk streut.

 Wer aber zeigt mit Fingern auf die Urheber dieses ganzen Durcheinanders?!  Wer zeigt mit Fingern auf die Schöpfer der deutschen Sprache, die uns so herrliche Wörter wie „Vieh“ oder „einverleiben“ hinterlassen haben?! Hätten „dieh“ es nicht verdient, dass man sie „einversackt“ und im nächsten See „abversaufen“ lässt?! Leider kann man ihrer, da längst verstorben, nicht mehr habhaft werden. Auch der für die weibliche Runkelrübe und das sächliche Mädchen Verantwortliche kann nicht mehr dingfest gemacht werden, sonst würde ihm eine Strafanzeige wegen Beleidigung drohen.

 Auf dem Weg vom „Rathaus“ zum „Ratskeller“ fragt man sich vielleicht, warum das eine Wort mit, das andere ohne s geschrieben wird. Doch warum das so ist, wird man selbst in Dudens Nachschlagewerk „Gutes und richtiges Deutsch“ nicht erfahren, obwohl dort ca. fünfzehn(!) Regeln zum Gebrauch des so genannten Fugen-s aufgelistet sind. Der wahre Grund dürfte nur einem gewissen  „St. Konfusius“ bekannt sein, der hier offenbar seine Hand im Spiel hatte.

 Während von dem alten chinesischen Philosophen Konfuzius so weise Lehren stammen wie: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem  andern zu!“, sind die Maximen des soeben erwähnten „Konfusius“, des  Schutzpatrons der deutschen Sprache, wesentlich weniger rational:

 Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Warum einheitlich, wenn es auch kunterbunt geht?

Warum logisch, wenn es auch verwirrend geht?

Warum konsequent, wenn es auch konfus geht?

 Regeln schätzt der heilige Konfusius umso höher, je mehr Ausnahmen sie haben. Auch ist er stets bestrebt, zu verhindern, dass irgendetwas einfach zu lernen ist. Denn Einfaches könnte ja jeder Hinz und Kunz lernen, und das wäre nicht gut. Wegen des Elitegedankens! Wegen „des“ - wohlgemerkt - und nicht wegen „dem“! Denn was es möglicherweise mit dem Genitiv auf sich hat, erfuhr ich kürzlich aus einem Presseartikel.

 „Die Elite schottet sich ab“ lautete eine Schlagzeile im Remscheider Generalanzeiger vom 12. November 2007. Der Aufstieg ins höhere Bürgertum sei nirgendwo so schwer wie bei uns, hieß es da. Wie aus umfangreichen Untersuchungen des Soziologen und Elitenforschers Michael Hartmann hervorgehe, stamme der Großteil  der Personen, die es in ihrem Job bis an die Spitze schaffen, aus den oberen fünf Prozent der Bevölkerung. Als Mitglieder des gehobenen Bürgertums verfügten sie über Merkmale, die bei gleicher Qualifikation den Ausschlag gäben. „Es gibt unterschwellige Signale. Mein Lieblingsbeispiel ist die Verwendung des Genitivs.“ So Hartmann wörtlich.

 Danach wäre also der Genitiv fast so etwas wie eine Eintrittskarte ins Reich der höheren Laufbahnen, während man sich mit dem Dativ als Prolet outet und jede Chance verspielt. Die Komplexität der Hochsprache als Mittel zur Elitebildung und Unterdrückung der Massen: ein kurioser aber nicht ganz abwegiger Gedanke!

 Dabei hat die so genannte Hochsprache eigentlich überhaupt keinen Grund, sich aufs hohe Ross zu setzen und verächtlich auf die vermeintlichen Niederungen der Dialekte herabzublicken. Auch das Hochdeutsch ist im Grunde nichts anders als ein Gemisch von Dialekten, und nicht mal ein besonders ausgereiftes! Hier hat sich so manches eingenistet, was keineswegs immer Frucht hoch stehender Intelligenz ist. Vieles steht sogar in krassem Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Es wimmelt in der deutschen Sprache geradezu von Willkürlichkeiten und Ungereimtheiten bis hin zu abenteuerlichem Unsinn und wüstem Durcheinander!

 Doch nicht nur in der Sprache selbst waltet der heilige Konfusius, er berät auch gerne die Sprachpfleger und Rechschreibreformer, selbst wenn diese noch so inbrünstig zum heiligen Logifizius beten. Letzterer mag wohl bei der jüngsten Rechtschreibreform angeregt haben, das Wörtchen „rauh“ in „rau“ abzuändern, um es ähnlichen Wörtern wie „Tau“ oder „blau“ anzugleichen. Doch was nützt das, wenn andererseits Konfusius darauf besteht, die friedliche Koexistenz von „rau“ und „roh“ oder „Ei“ und „Geweih“ beizubehalten?! Was nützt ein orthografisch frei schwimmender „Delfin“, wenn man nach wie vor Wortmonster wie „Diphtherie“ oder „Athletik“ im Duden nachschlagen muss?! Auch wurde dem überflüssigen h der „Gefahr“ „gar“ kein „Haar“ gekrümmt. Angesichts solch reformerischer Leisetreterei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, da sei jemand mit einem Staubtuch in der Hand losgezogen, um eine Aufgabe zu erledigen, für die es eher eine Mistgabel gebraucht hätte. So wurde zwar viel Staub aufgewirbelt, jedoch wenig bewirkt und unterm Strich mehr Mist produziert als beseitigt.

 Mögen auch diejenigen, die in der deutschen Sprache eine großartige Kultursprache sehen, nicht ganz Unrecht haben, so ist doch nicht zu übersehen, dass sich im Deutschen auch eine ganze Menge Unrat angesammelt hat, auf den man ohne Verlust an Kultur gut verzichten könnte. Hier und da konnte ich es mir nicht verkneifen, den einen oder anderen Gedanken zur Entrümpelung durchzuspielen, ohne jedoch wirklich ernsthaft ausgereifte Vorschläge für künftige Sprach- und Rechtschreibreformen machen zu wollen.

 Überhaupt erhebt dieses Buch nicht den mindesten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Systematik. Man muss es auch nicht von vorne bis hinten durchlesen, sondern kann es an jeder beliebigen Stelle aufschlagen. Es will ein wenig verunsichern, vielleicht hier und da auch verblüffen. In erster Linie aber will es unterhalten und zum Schmunzeln anregen, wobei in Einzelfällen auch nicht verboten ist, sich vor Lachen am Boden zu wälzen. Denn solches bleibt oft nicht aus, wenn man auf den Spuren des heiligen Konfusius wandelt, die dieser in der deutschen Sprache hinterlassen hat.

 

 

Fische, Vögel, Kühe und Kängurus

 Es war ein lobenswertes rechtschreibreformerisches Unterfangen, dem (Wort nicht dem Tier!) „Känguruh“ seinen Stummelschwanz abzuschneiden und es als „Känguru“ orthografisch dem „Gnu“, „Zebu“ und „Marabu“ anzupassen. Dadurch wird uns künftig einiges an lästigen Überlegungen bezüglich der Schreibweise exotischer Tiere erspart.

 Doch warum kam keiner auf den Gedanken, im Zuge dieser Verein­heitlichung auch der „Kuh“ den Schwanz abzuschneiden? Saßen in der Reformkommission zu viele Inder, die sich schützend vor ihre heiligen Kühe stellten, oder dachte man vielleicht daran, wie mickrig es klingen würde, wenn die Kuh künftig nicht mehr „Muh“, sondern die „Ku“ nur noch „Mu“ sagen könnte? Möglicherweise hielt man aber auch eine Differenzierung zwischen exotischen und heimischen Tierarten für sinnvoll, dergestalt, dass die exotischen ohne, die heimischen aber mit „h“ geschrieben werden sollten.

 Dann jedoch hätte man der Einheitlichkeit halber den „Uhu“ in „Uhuh“ umtaufen müssen, was aber wiederum die Komplikation mit sich gebracht hätte, dass die Mehrzahl  von „Uhuh“ analog zu „Kühe“ hätte „Uhühe“ lauten müssen. Also dann doch besser beim „Uhu“ geblieben und aus der „Kuh“ die „Ku“ gemacht? Aber wie würde dann deren Plural lauten? Doch nicht etwa „Kus“ analog zu „Gnus“?! Außerdem wäre zu befürchten gewesen, dass jetzt auch der „Schuh“, ja selbst die „Waldesruh“ aufgewacht wären und besorgt nach dem weiteren Schicksal ihres Endungs-h gefragt hätten.

 Mit einem solchen Rattenschwanz an Komplikationen wollte sich die Reformkommission offenbar nicht herumschlagen und kam zu dem weisen Entschluss, sich mit der Beschneidung des Kängurus, das weit weg war und sich nicht wehren konnte, zu begnügen und der heimischen Kuh ihre im Reich der „u-Tiere“ einzigartige Auszeichnung durch ein Endungs-h und ihren exklusiven Plural „Kühe“ zu belassen. Wir bemerken hier übrigens, wie klug es war, dem „Känguruh“ das „h“ zu klauen, denn so kam man elegant um die Überlegung herum, ob die Mehrzahl nicht vielleicht „Kängurühe“ (wie „Kühe“) hätte lauten müssen. „Känguruhe“ (wie „Schuhe“) hätte zwar ruhiger aber nicht weniger merkwürdig geklungen.

 Wenn also die Rechtschreibreformer davor zurückschreckten, die Schreibweise von „Kuh“ und „Gnu“ zu vereinheitlichen, so sei ihnen das angesichts der hieraus resultierenden Folgeprobleme nicht verdacht. Doch es hätte im Tierreich auch orthografische Möglichkeiten zur Vereinheitlichung gegeben, die keinerlei Ärger verursacht hätten. So hätte man zum Beispiel auf die längst überfällige Idee kommen können, „Fisch“ und „Vogel“ unter einen Hut  zu bringen, indem man entweder beide mit „f“ oder beide mit „v“ schreibt. Warum niemand an diese ebenso simple wie nahe liegende Möglichkeit gedacht hat, bleibt ein Rätsel. Wahrscheinlich war man zu sehr mit der Kreation so abgrundtiefer Weisheiten beschäftigt, wie: „aufwendig“ kommt nicht von „aufwenden“ sondern von „Aufwand“ und wird deshalb mit „ä“ geschrieben, oder: „stopp“ schreibt man mit Doppel-p, weil es nicht vom englischen „stop“ sondern vom deutschen „stoppen“ kommt. „Muh“!

 Ach wie viel einfacher könnte doch das Leben sein, wenn uns die hirnrissige orthografische Haarspalterei zwischen „f“ und „v“ erspart bliebe und wir einfach „Fisch“ und „Fogel“, „Folk“ und „Folklore“, „Fater“ und „Fetter“, „für“ und „for“ schreiben könnten! Natürlich wäre es genau so bequem, alles einheitlich mit „v“ zu schreiben, doch da das „v“ vielleicht noch für einige Fremdwörter wie „Vase“ oder „Veteran“ gebraucht wird, scheint das „f“ besser geeignet.

 Wenn der eine oder andere jetzt fragt, wie man denn auf eine solch abstruse Idee kommen könne, so sei ihm gesagt, dass die Idee bei weitem nicht so abstrus ist, wie es zunächst den Anschein haben könnte. Auch ist sie keineswegs neu sondern ganz im Gegenteil uralt. Im Althochdeutschen, das etwa die Zeit von 750 bis 1050 als Schriftsprache beherrschte, hieß zum Beispiel das Volk noch „folc“, klein und mit „f“ geschrieben. Und während der Fisch sich als „fisk“ im Wasser tummelte, erhob sich der Vogel als „fogal“ in die Lüfte. Der „fater“ ging „fora“ die Tür um das „fihu“ auf die Weide zu treiben, und seine „frouwe“ hatte im Haus „filu“ zu tun.

 Während des Übergangs zum  Mittelhochdeutschen (ca. 1050 bis 1350) muss eine  Art „Rechtschreibreform“ stattgefunden haben, und zwar eine wesentlich radikalere als die halbherzige Sommersprossenkosmetik, an der wir uns in den letzten Jahren erfreuen konnten. Denn plötzlich schrieb man alles, was zuvor mit „f“ geschrieben wurde, mit „v“. So verwandelten sich die oben zitierten althochdeutschen Wörter im Mittelhochdeutschen in: „volc, visch, vogel, vater, vor, vihe, vrouwe, vil“. Wir sehen also, dass eine einheitliche Schreibung des „f“-Lautes überhaupt nichts Neues ist. Es hat sie bereits zweimal gegeben, und zwar auf jede der beiden möglichen Arten.

 Erst mit dem Aufkommen des so genannten „Frühneuhochdeutsch“ (ca. 1350 bis 1650) kam es zu all den Ungereimtheiten, an denen wir bis heute so schwer zu knacken haben. Welcher Hornochse hat zum Beispiel die intellektuelle Heldentat vollbracht, aus dem phonetisch sinnvollen Wort „vihe“ die sprachliche Missgeburt „Vieh“ mit ihren beiden überflüssigen Dehnungslauten zu machen?! Handelte es sich hier vielleicht nur um den nachlässigen Buchstabentausch eines Erstklässlers, den sein geistig etwas zurückgebliebener Vater nicht als Fehler erkannte? Möglicherweise hatte dieser Herr einen irgendwie gearteten Einfluss auf die Gestaltung der „Sächsischen Kanzleisprache“ und sorgte dafür, dass diese um das Unwort „Vieh“ bereichert wurde. Dieses auch als „Meißner Kanzleideutsch“ bezeichnete Kunstprodukt, das die Mixtur einer ganzen Reihe verschiedenster Dialekte war, diente wiederum Martin Luther als Grundlage für seine Bibelübersetzung von 1545, deren gewaltiger Einfluss auf die deutsche Sprachentwicklung bis heute nachwirkt. Natürlich ist die Vermutung, dass der große Sprachschöpfer Martin Luther, der bekanntlich auch „dem Volk aufs Maul“ schaute,  dem läppischen Rechtschreibfehler eines „I-dotzen“ aufgesessen sein könnte, reine Spekulation, aber dass bei der Entstehung des Wortes „Vieh“ irgend etwas peinlich schief gelaufen sein muss, dürfte feststehen.

 In Luthers Bibelübersetzung trat an die Stelle einer einheitlichen Schreibung des „f“-Lautes eine mehr oder weniger kunterbunte Mischung, indem mal das „f“ und mal das „v“ gebraucht wurde, und zwar nicht nach festen Regeln, sondern wie es gerade kam und gerade so, wie es Gottes unerforschlichem Ratschluss entsprach. Dass sich diese absolut irrationale Zufallsorthografie bis auf den heutigen Tag halten konnte, gehört für mich zu den großen ungelösten Rätseln der Sprachgeschichte.

Man sollte sich einmal ernsthaft Gedanken darüber machen, ob wir es uns dauerhaft leisten können, ein Heer von Grundschullehrern Jahr für Jahr mit dem didaktisch-methodischen Problem zu belasten, wie man arglosen Schülern den aberwitzigen Schwachsinn plausibel machen kann, dass man „für“ mit „f“ und „vor“ mit „v“ schreibt. Da man es nicht wirklich begründen kann, bleibt nur der autoritative Rückzug auf ein lapidares „s’war immer so!“ verbunden mit der strengen Aufforderung, dumme Fragen gefälligst zu unterlassen und brav zu lernen. Nur darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die argumentativ dermaßen karg Abgespeisten irgendwann ausflippen, und wenn aus anfänglich gutwilligen Schülern schließlich aufmüpfige werden, die über die Stränge schlagen.


 

Umlauteritis

 Der Läufer „läuft“, der Säufer „säuft“, doch wer nun glaubt, dass der Käufer “käuft“, hat sich gewaltig geschnitten, denn der denkt überhaupt nicht daran. Dem Einzelhandel freilich ist das völlig egal, denn der ist genau so zufrieden, wenn der Käufer „kauft“. Warum man allerdings jemanden der „kauft“ nicht als „Kaufer“ sondern als „Käufer“ bezeichnet, ist nicht ummittelbar einleuchtend, denn schließlich würde man jemanden der „schnauft“ kaum „Schnäufer“ nennen sondern allenfalls „Schnaufer“. Der „Händler“ freilich kann dem „Käufer“ seine Umlaut-Versessenheit gut nachempfinden, verfährt er doch ganz ähnlich. Auch er schreibt sich mit „ä“, und das obwohl er keineswegs an „Händeln“ beteiligt ist. Da er nicht „händelt“ sondern „handelt“, sollte er eigentlich ein „Handler“ sein und ebenso wenig ein „Händler“, wie der Wandler ein „Wändler“ ist.

 Damit die Verwirrung komplett wird, hat sich irgendeiner auch noch folgenden Scherz ausgedacht: Wenn der „Fahrer fährt“, verfährt er (sich) genau umgekehrt wie Käufer und Händler. Denn würde er deren Vorbild folgen, hieße es: „Der Fährer fahrt“. Man fragt sich, warum dieser Herr nicht einfach als „Fahrer“ stillvergnügt umher-„fahrt“, indem er sich am „Sparer“ ein Beispiel nimmt, der ja auch nicht  „spärt“ sondern „spart“.

Den Rat, dem Sparer zu folgen, könnte man übrigens noch einigen anderen umlautseligen Herrschaften erteilen. Denn was spricht dagegen, dass der „Laufer lauft, der Saufer sauft, der Kaufer kauft, und der Taufer tauft“?! Insbesondere der letztere, der sich zur Zeit noch „Täufer“ nennt, könnte nur profitieren, wenn man ihn von seiner umlautigen Last befreite, da ihm diese nichts einbringt außer einer peinlichen Klangverwandtschaft mit seinem Kollegen von der linken Fraktion: dem Teufel. Darüber hinaus ist das „Taufen“ sprachlich und sachlich mit dem „Tauchen“ so eng verwandt, dass eine sprachliche Gleichbehandlung von Taucher und Täufer dringend angezeigt wäre. Dieses Vorhaben lässt sich sinnvoll nur verwirklichen, indem man den Täufer dem Taucher anpasst und in „Taufer“ umtauft. Denn die denkbare Alternative, den Taucher in „Täucher“ umzubenennen, dürfte aus verständlichen Gründen auf dessen erbitterten Widerstand stoßen.

Einen besonders üblen Bärendienst leistet der Umlaut dem „Täter“. Mit dem weiß man auf Anhieb gar nicht so recht etwas anzufangen, weil man sich fragt, was dessen Tätigkeit eigentlich ist. „Täten“ wird es wohl kaum sein, auch „taten“ kommt nicht recht in Frage, bleibt also nur noch „tun“. Wenn also jetzt ein „Täter“ jemand ist, der etwas „tut“, sollte er treffender zwar nicht unbedingt „Tuter“ wohl aber „Tuer“ genannt werden. Schließlich ist ja auch jemand, der etwas macht, schlicht ein „Macher“ und keineswegs ein „Machter“, „Mächter“ oder „Machenwürder“ oder ähnliches.

Dass sich die Bezeichnung „Tuer“ nicht hat durchsetzen können, mag ansatzweise begründet sein. Denn bei näherem Zusehen zeigt sich, dass man unter einem „Täter“ in der Regel nicht jemanden versteht, der gegenwärtig etwas tut, sondern jemanden, dessen Tat bereits in der Vergangenheit liegt, der also etwas „tat“.

 An diesem Punkt der Überlegung sind wir sprachlich beim „Tater“ angelangt, und wäre die Sprache hier stehen geblieben, könnten wir ihr ein sicheres Gespür für treffende Begriffsbildungen attestieren. Doch leider konnte sie es wieder mal nicht lassen und musste durch den dusseligen Umlaut alles verderben und die erreichte Klarheit wieder zunichte machen. Indem der Konjunktiv Imperfekt ins Spiel kam, wurde aus dem „Tater“, der etwas „tat“, der „Täter“, der etwas „täte“, der also plötzlich gar nichts mehr getan hat, sondern bei dem allenfalls die Möglichkeit besteht, dass er etwas tun würde. Schade, dass man die Sprache nicht als Gutachterin vor Gericht laden kann, sonst wäre mancher Angeklagte fein heraus!

„Dem Täter auf der Spur“ ist unter anderen der „Fußgänger“, der wie der „Täter“ sich nicht offen und ehrlich zu seiner Tätigkeit bekennen mag, denn sonst würde er sich direkt und unumwunden als „Fußgeher“ vorstellen. Der Vorwurf der Unehrlichkeit  relativiert sich freilich ein wenig, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sich der Fußgänger gar nicht unmittelbar von „gehen“ herleitet sondern von dem germanischen Vorläufer „gangan“. Dann wäre der Fußgänger kein Verbalbetrüger sondern einfach ein sprachliches Fossil, das den Anschluss an die heutige Sprache verpasst hat.

„Fußgänger“ ist übrigens so ähnlich, als würde man statt „Türsteher“ und „Vorsteher“: „Türständer“ und „Vorständer“ sagen. Da hier ein Hauch von Zweideutigkeit ins Spiel kommt, muss ich an die Überschrift eines Zeitungsartikel denken, der von der Pensionierung eines verdienten Fagottisten und Vorsitzenden seines Orchestervorstands handelte: „Der Vorstand mit dem langen Rohr“. Ist Ihnen übrigens schon einmal aufgefallen, wie seltsam die Bezeichnung „Vorstandsvorsitzender“ ist? Alle stehen, einer sitzt?

Apropos „Ständer“. Der im Volksmund gelegentlich so Benannte heißt möglicherweise nur deshalb nicht „Steher“, weil er manchmal zwar gerne „stände“ aber mit dem „Stehen“ Probleme hat.  Auch der „Sänger“ kriegt offenbar den Mund nicht so recht auf, denn sonst würde er sich nicht konjunktivisch „Sänger“ sondern indikativisch  „Singer“ nennen. So aber hat man den Eindruck, er „sänge“ zwar gern, schafft es aber nicht. Die einzigen, die richtig singen konnten, waren dann wohl die „Meistersinger von Nürnberg“, denen Richard Wagner in seiner gleichnamigen Oper ein Denkmal gesetzt hat.

Auf allen Grundschulen ist es eine immer wieder heiß diskutierte Frage, ob der Bäcker nun „backt“ oder „bäckt“. Diesen armen Mann hat die ständige Begegnung mit „Packern“, „Hackern“ und „Knackern“ dermaßen verunsichert, dass er sich manchmal am liebsten sogar „Backer“ nennen würde, was ihm aber der eingefleischte Sprachgebrauch verbietet. Völlig konfus und kopflos geworden weiß er inzwischen selbst nicht mehr, ob er „bäckt“ oder „backt“. Aber letztlich ist ihm das auch völlig egal, Hauptsache er verdient mit seinen Brötchen seine Brötchen. Ebenso egal ist es inzwischen auch der Dudenredaktion, die sich dazu durchgerungen hat, beide Schreibweisen zu tolerieren. Es wäre schön, wenn dieses Beispiel von Toleranz Schule machen würde, so dass man in vergleichbaren Fällen ähnlich locker verfahren könnte 

Denn ob man nun seine Koffer „packt“ oder „päckt“, ob man Nüsse „knackt“ oder „knäckt“ und ob man in die Hose „kackt“ oder „käckt“,  ist  im Grunde doch käck- wie kackegal!
 

Gesteigerter Unsinn

 Ein Baum, der dick ist, ist ein „dicker“ Baum. Ein Baum, der klein ist, ist ein „kleiner“ Baum. Ein Baum, der groß ist, ist ein „großer“ Baum. Demnach sollte ein Baum, der hoch  ist, ein „hocher“ Baum sein! Ist er aber nicht, ätsch! Statt dessen ist er ein „hoher“ Baum. So kann man sich irren!

Wenn der Baum, der anfangs nur „hoch“ war, weiter wächst, sollte man erwarten, dass er dann „hocher“ wird. Oder meinetwegen auch „höcher“, wenn er mit der umlautigen Fraktion sympathisiert. Aber nein: er wird weder „hocher“ noch „höcher“ sondern „höher“. Na gut, soll er, wenn’s ihm Spaß macht!  Doch wenn er dann ausgewachsen ist und seine maximale Größe erreicht hat, sollte er sich wenigstens konsequenterweise „am höhsten“ oder „am höhesten“ nennen. Aber inzwischen hat er es sich anders überlegt, fordert sein vorhin geschlabbertes „c“ zurück und möchte jetzt mal wieder zur Abwechslung „am höchsten“ tituliert werden.

„Hoch, höher, am höchsten“! Was für ein verbales Durcheinander! Wie es zu solch gesteigertem Unsinn kommen konnte, wird ansatzweise klar, wenn man sich einmal die alten Formen des Wortes „hoch“ anschaut. Im Althochdeutschen hieß es  „hoh“, im Mittelhochdeutschen existierten die beiden Formen „ho“ und „hoch“ nebeneinander. Wirft man diese verschiedenen Formen in einen Topf und rührt unter Abschaltung des Gehirns dreimal kräftig um, so kommt etwas in der obigen Art heraus.

Wäre nämlich das Gehirn nicht weitgehend abgeschaltet gewesen, hätte man sich vielleicht auf eine der drei Formen geeinigt und etwa analog zu „roh, roher, am rohesten“gesagt: „hoh, hoher, am hohesten“. Oder auch „hoch, hocher, am hochsten“. Oder meinetwegen auch „ho, hoer, am hoesten“. Allens wäre besser gewesen als dieses konfuse Gemisch, das man uns real hinterlassen hat

Doch was will man erwarten, wenn die verantwortlichen Sprachschöpfer damals vermutlich die halbe Zeit damit beschäftigt waren, sich gegenseitig mit Keulen auf die Köpfe zu schlagen! Zwar heißt es so schön: „Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen.“ Doch dies dürfte für schwere Keulenschläge auf den Schädel eher weniger zutreffen. Und so war verbale Konfusion quasi unausweichlich!

Unter den Nachwirkungen heftiger Keulenschläge dürfte auch die Steigerung des Wortes „nah(e)“ zustande gekommen sein. Bei klarem Kopf nämlich würde jeder auf „nah, naher, am nahesten“ tippen, es sei denn er bevorzugte die Umlaut-Variante „nah, näher, am nähesten“. Doch nun zu der real existierenden Keulenschlag-Variante: „nah, näher, am nächsten“. Hier muss im Zustand leichter Umnebelung eine kleine Verwechslung passiert sein. Denn „am nächsten“ ist kein korrekt gebildeter Superlativ von „nahe“, sondern er wäre allenfalls ein solcher von „nach“ 

Historisch mag diese Nebelhaftigkeit daher rühren, dass aus dem althochdeutschen „nah“ später das mittelhochdeutsche „nach“ wurde. „nah“ und „nach“ bedeuteten also ursprünglich das gleiche, und erst später büchste das „nach“ aus der Bedeutung räumlicher Nähe aus und wurde zu dem heutigen ein wenig schillernden Begriff, der unter anderem ein zeitliches Hinterherfolgen beinhaltet. Wie schillernd die Bedeutung von „nach“ übrigens ist, zeigt ein Vergleich der beiden Begriffe „Nachbar“ und „Nachkomme“. Der Nachbar ist sicher vom Sinn her eher ein „Nahbar“, also einer, der uns „nah“ ist, und deshalb wollen wir mit ihm auch keinen Streit anfangen, indem wir ihn etwa – den Wortbestandteil „Nach“ übersetzend - als „Hinterherbar“ beschimpfen. Der Nachkomme dagegen ist keiner, der uns zu „nahe“ kommen will, sondern einer, der „nach“ uns, also zeitlich hinterher kommt.

Man beachte im Vorbeigehen noch den feinen Unterschied zwischen den beiden oben angeführten Steigerungen „hoch, höher, am höchsten“ und „nah, näher, am nächsten“. Obwohl formal sehr ähnlich, wären sie erst völlig analog, wenn man entweder gleichzeitig „hoch“ und „nach“ oder aber gleichzeitig  „hoh“ und „nah“ sagen würde, also entweder „hoch, höher, am höchsten“ und  „nach, näher, am nächsten“, oder aber „nah, näher, am nächsten“ und „hoh, höher, am höchsten“. Doch in der Praxis wird - wie so oft - alles mal wieder wie Kraut und Rüben durcheinander geworfen.

Nachdem wir nun das leicht exzentrische Steigerungsverhalten von „nah“ und „hoch“ hinreichend gewürdigt haben, reizt uns ein neugieriger Blick auf ihre Gegensätze „fern“ und „tief“. Doch welch herbe Enttäuschung erwartet uns hier, wenn wir „fern, ferner, am fernsten“ und „tief, tiefer, am tiefsten“ als spießbürgerlich regeltreuen Einheitsverschnitt zur Kenntnis nehmen müssen. Da hätten wir eigentlich ein wenig mehr Originalität erwartet! Auch „mies, mieser, am miesesten“, „dumm, dümmer, am dümmsten“, „fad, fader, am fadesten“ oder  „schlecht, schlechter, am schlechtesten“ halten keinerlei nennenswerte Überraschungen bereit.

Da ist es dann schon besser um des letzteren positive Kontradiktion „gut“ bestellt. Denn hier wird es richtig munter. Wer nämlich glaubte, es hieße der Steigerung von „schlecht“ entsprechend „gut, guter, am gutesten“, läuft voll  in den Spieß, denn „gut“ ist so gut, dass ihm nicht einmal  die Steigerung „gut, güter, am gütesten“ gut genug ist, nein, hier muss was ganz besonderes her, nämlich etwas, das so besonders ist, dass niemand darauf kommen würde. Und diese Überraschung ist denn auch voll gelungen: „gut, besser, am besten“. Wer hätte je gedacht, dass „besser“ irgendetwas mit „gut“ zu tun haben könnte, wo die beiden Wörter noch nicht mal einen einzigen Buchstaben gemeinsam haben?!

Ich hatte in den letzten Jahren mehrfach das Vergnügen, den (a capella-) Darbietungen eines aus fünf jungen Leuten bestehenden Vokalensembles zu lauschen, das sich den witzigen Namen „Bass & Besser“ gegeben hatte. Obwohl nur als Gag gedacht, ist „besser“ als Steigerung von „bass“ durchaus verständlich, auch wenn man es dann eigentlich mit „ä“ schreiben müsste. Immerhin haben sich die jungen Leute etwas bei ihrem kreativen Wortspiel gedacht, selbst wenn es nur ein Jux war.

Um jedoch einen derart exorbitanten Steigerungsunfug wie „gut, besser, am besten“ zu kreieren, bedurfte es sicher schon des kollektiven Vollrausches nicht nur eines, sondern gleich mehrerer Völker, denn wie sonst wäre es zu erklären, dass auch die Engländer einen ähnlich lautenden Unfug (good, better, best) in ihrer Sprache beherbergen?!

In früheren Zeiten müssen wohl einmal die beiden Steigerungsformen „bass“ und „besser“ nebeneinander existiert haben, die eine mit, die andere ohne Umlaut, die eine („besser“) wohl mehr als Adjektiv, die andere mehr als Adverb. Das indogermanische Stammwort „bhad“, das ursprünglich so viel wie „gut“ bedeutete, muss dann wohl im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten sein, so dass man irgendwann „bass“ erstaunt war, wo denn eigentlich die ungesteigerte Form abgeblieben sei. So blieb denn nichts weiter übrig, als „fürbass“ zu wandeln und nach einem „guten“ Ersatz zu suchen. Sollte sich übrigens das alte Wort „bhad“ im englischen „bad“ (schlecht) wiederfinden, muss es in der Zwischenzeit ganz schön herunter gekommen sein. 

„Ich gehe häufig ins Kino, aber noch häufiger gehe ich ins Theater, doch am häufigsten gehe ich in die Oper.“ So oder ähnlich könnte man sein kulturelles Verhalten in schönstem Einklang mit allen Regeln der deutschen Sprache beschreiben. Wenn man jedoch nicht sein tatsächliches Verhalten sondern nur seine potentiellen Vorlieben ausdrücken möchte, könnte man das z.B. so tun: „Ich gehe gerne  ins Kino, aber noch gerner gehe ich ins Theater, doch am gernsten gehe ich in die Oper.“ Leider hat die Sache einen Haken. Die deutsche Sprache sieht eine Steigerung des Wortes „gerne“ nicht vor. Statt „gerner“ muss es „lieber“ heißen.

„Lieber“ ist aber doch die Steigerung von „lieb“, wagt der verschüchterte Rest meines Verstandes einzuwenden, wie kann es dann die Steigerung von „gerne“ sein? Tja, aus dem gleichen Grunde wie „besser“ die Steigerung von „gut“ ist. Das ist doch ganz einfach. Nur ist mancher einfach zu blöd, das zu kapieren.

Sollte irgendwann mal eine Sprachreformkommission zu der Einsicht gelangen, dass die oben genannten atavistischen Ungereimtheiten nicht unbedingt zu den Errungenschaften der deutschen Sprache gehören, die als Weltkulturerbe für alle Zeiten festgeschrieben werden müssen, so gäbe es eine sehr einfache Lösung des Problems, die keinem weh tun würde. Man könnte nämlich einfach logisch nachvollziehbare Alternativformen als sprachlich korrekt  zulassen, ohne die tradierten Formen zu verbieten.

Dies würde konkret bedeuten, dass z.B. folgende Formen künftig erlaubt wären: „gut, guter, am gutesten“, „gern, gerner, am gernsten“, „nah, naher, am nahesten“, „hoh, hoher, am hohesten“. Das soll natürlich auf gar keinen Fall heißen, dass die bisherigen Formen abgeschafft werden sollten, denn wir wollen ja den „Besserwisser“ nicht plötzlich in einen „Guterwisser“ verwandeln und auch weiterhin „gute Besserung“ wünschen dürfen, weil „gute Guterung“ sicher nicht der Gipfel sprachlicher Eleganz wäre. Auch die Nächstenliebe und die gute Nachbarschaft sollen unangetastet bleiben und nicht in „Nahestenliebe“ und „Nahbarschaft“ umgetauft werden.

Es würde lediglich ein evolutionärer Prozess ermöglicht, der langfristig dazu führen könnte, dass „besser“ irgendwann genauso veraltet wäre, wie es sein Kollege „bass“ heute schon ist.


 

Da wird der Geist Euch wohl dressiert...

Meine Gymnasialzeit liegt etliche Jahrzehnte zurück, aber ich erinnere mich noch deutlich, wie wir damals von unseren Lehrern stringent – Verzeihung, „eindringlich“ wollte ich sagen - zur Vermeidung von Fremdwörtern angehalten wurden. In  deutschen Aufsätzen war der Gebrauch von Fremdwörtern regelrecht verpönt, nicht direkt verboten zwar, aber doch mit dem Odium – ich meinte natürlich „Geruch“ - der Sünde behaftet und sozusagen nur in extremen – Pardon: „äußersten“ – Notsituationen – Sorry:  „Notlagen“ -  erlaubt, wenn sich partout  - wollte sagen „durchaus“ -  kein angemessener deutscher Ausdruck finden ließ .

So wurde uns der Begriff „Negation“ garantiert in „Verneinung“ korrigiert oder „Existenz“ mit „Dasein“ übersetzt. Ob der Lehrer solche Entgleisungen nun als Fehler wertete oder nur als Verstöße gegen die guten Sitten, wurde nie ganz geklärt, jedenfalls wurden sie mit dem Ausdruck deutlicher Missbilligung vermerkt. Ich hätte es mir einmal - wie oben unterlaufen - gestatten sollen, das deutsche Wort „Verzeihung“ durch „Pardon“ oder gar „Sorry“ zu substituieren (au Backe: „zu ersetzen“ natürlich!), da hätte ich aber mein blaues Wunder erlebt!

Erst heute wird mir in vollem Umfange klar, welch karnevalsreifer Mummenschanz damals mit uns getrieben wurde. Denn was war eigentlich die allererste Amtshandlung genau derjenigen gewesen, die sich als Lordsiegelbewahrer und Gralshüter der Reinheit deutscher Sprache aufspielten?

Kaum hatten wir das Gymnasium betreten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als uns die deutschen grammatikalischen Begriffe, die wir auf der Grundschule gelernt hatten, auszutreiben und durch fremdsprachliche zu ersetzen. So wurde aus dem „Wer-Fall“ der „Nominativ“, aus dem „Dingwort“ oder „Gegenstandswort“ das „Substantiv“, aus dem „Eigenschaftswort“ das „Adjektiv“ und so weiter, und so weiter.

Damals waren wir davon natürlich schwer beeindruckt, denn verbal mit „Subjektiven“, „Adjektiven“, „Adverbien“, „Präpositionen“, „Präfixen“, Suffixen“ und dergleichen mehr verbalen Leckereien um sich werfen zu können, verschaffte uns das Gefühl intellektueller Überlegenheit gegenüber all den armseligen Kreaturen, die mangels höherer Bildung gezwungen waren, mit plebejischen „Tu-“ und „Dingwörtern“ geistig primitiven Umgang zu pflegen.

Damals dachte natürlich keiner von uns darüber nach, welch krasser Widerspruch darin lag, dass gerade diejenigen, die ansonsten Fremdwörter hassten wie der Teufel das Weihwasser, uns mit grammatikalischen Fremdwörtern geradezu überschwemmten. Im Vollrausch der Teilhabe an gehobenen Bildungsgütern kamen wir nicht im Entferntesten auf den Gedanken, an der Werthaftigkeit des Lehrstoffs zu zweifeln.

Es braucht Abstand, um zu begreifen, dass nicht alles Gold war, was da so vornehm griechisch oder lateinisch glänzend daherkam, und dass uns da möglicherweise in manchen Fällen Unsinn für Sinn verkauft und  Sinn durch Unsinn ersetzt wurde

Nehmen wir zum Beispiel das Wort „Verb“. Es bezeichnet in der Grammatik Wörter, die den zeitlichen Vollzug von Tätigkeiten oder Vorgängen beschreiben, ist also in seiner Bedeutung auf diese Gruppe von Wörtern beschränkt. Das lateinische Wort, von dem es durch bloße Verkürzung hergeleitet ist, nämlich „verbum“ bedeutet allerdings nichts weiter als „Wort“ im allgemeinen Sinne. Was für ein hanebüchner Unsinn liegt nun darin, den doch sehr speziellen Begriff „Tätigkeitswort“ durch den allgemeinen Begriff „Verb“ (=“Wort“) zu ersetzen! Es mag fraglich sein, ob mit dem Begriff „Tätigkeitswort“ wirklich alles treffend erfasst wird, was man darunter subsumieren möchte, aber man kann dem Wort nicht absprechen, das Resultat sinnvollen Bemühens um adäquate Bennennung zu sein. „Verb“ dagegen als Bezeichnung für das gleiche Ding ist ein Fall absolut hirnloser Etikettierung, total willkürlich und bar jeglicher Reflexion! Ein Akt intellektueller Schludrigkeit ohnegleichen! Es ist ungefähr so, als würde man eine ganz spezielle Hunderasse als „Hund“ bezeichnen.

Ebenso wie uns die Sittenwächter der deutschen Sprache das „Tätigkeitswort“ madig redeten und uns das ach so vornehme und treffende  „Verb“ unterjubelten, ersetzten sie die uns bekannten Fälle durch die wissenschaftlich anerkannten Fachbegriffe „Nominativ“, „Genitiv“, „Dativ“ und „Akkusativ“.  Der von der Grundschule vertraute „Wer-Fall“ wurde also (übersetzt) zum „Namensfall“ oder „Benennungsfall“, der  „Wes-Fall“ zum „Abstammungsfall“, der „Wem-Fall“ zum „Gebe-Fall“ und der „Wen-Fall“ zum „Anklage-Fall“.

Ob diese neuen Bezeichnungen einen erkenntnistheoretischen Fortschritt erbrachten, ist zumindest sehr fraglich. Denn kann man auch beim Genitiv und Dativ eine den deutschen Bezeichnungen ähnliche Bedeutung ausmachen, fragt man sich ein wenig hilflos, was man sich wohl unter einem  „Benennungsfall“ vorzustellen habe. Wenn man sich ganz große Mühe gibt, kann man dunkel erahnen, er habe etwas mit „Nomen“ zu tun, welches wiederum auch in der Bedeutung von „Substantiv“ gebraucht werde, so dass man es dann wohl mit einer Art „Dingwortfall“ zu tun haben könnte. Aber so recht klar ist nicht, was man damit eigentlich sagen will.

Doch während man mit dem „Nominativ“ gerade noch geistigen Frieden schließen kann, indem man sich vornimmt, seinem Verständnis demnächst in einer stillen Stunde näher kommen zu wollen, geht beim „Akkusativ“ („Anklage-Fall“) bereits nach kurzem Nachdenken die Kinnlade herunter. Will man mir allen Ernstes weismachen, dass ich meinen Hund nicht streicheln kann, ohne ihn auf die Anklagebank zu bringen? Ich wollte ihn schließlich nicht verprügeln sondern streicheln! „Er trägt seine Frau auf Händen...“...auf die Anklagebank? Einfach lächerlich!

Wäre man auf die Idee gekommen, statt „Nominativ“ und „Akkusativ“ z. B. „Subjektiv“ und „Objektiv“ zu sagen oder auch „Aktiv“ und „Passiv“, hätte ich’s vielleicht eher verstanden. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass diese Begriffe bereits als Adjektive bzw. Adverbien in anderem Zusammenhange verbraten werden, aber als Substantive wären sie noch frei gewesen. Doch das sei nur am Rande als spontane und  unausgegorene Denkmöglichkeit erwähnt!

Nachdem wir den „Akkusativ“ als ziemlichen nomenklatorischen Unfug erkannt haben, sind wir kaum noch überrascht, weitere Ungereimtheiten zu entdecken. Die Vergangenheitsform von Tätigkeitswörtern etwa (das „Verb“ bleibt mir nach Obigem schon im Halse stecken!) pflegte man auf dem Gymnasium vornehm als „Imperfekt“ zu titulieren. „Imperfekt“ heißt nun aber soviel wie „unvollkommen“ bzw. in zeitlicher Hinsicht eher „unvollendet“. Niemand freilich hat mir jemals erklären können, was an einer in der Vergangenheit liegenden und damit definitiv abgeschlossenen Tätigkeit „unvollendet“ sein sollte. Sogar die Sprachexperten haben inzwischen den Schwach­sinn der Bezeichnung „Imperfekt“ erkannt und empfehlen stattdessen den Begriff „Präteritum“ (das Vorhergegangene). Das ist ausgesprochen löblich und mal ein echter Fortschritt. Schade nur, dass man nicht gleichzeitig mit dem Begriff „Perfekt“ aufräumt, das dem „Imperfekt“ an Schwachsinn kaum nachsteht. Denn kann mir bitte mal jemand erklären, was an der Formulierung: „Ich habe in die Hose geschissen.“ perfekter sein soll als an der Aussage: „Ich schiss in die Hose.“? Ich fürchte, bei einem diesbezüglichen Erklärungsversuch wird sich noch mancher in die Hose scheißen!

Als Pennäler haben wir es damals natürlich nicht gewagt, auf all den grammatikalischen Unsinn, den man uns beibrachte, einfach zu scheißen, wie es sich gehört hätte. Stattdessen hatten wir ständig die Hosen voll vor lauter Angst, im Unterricht ertappt zu werden, irgendetwas von dem Kauderwelsch nicht hinreichend gelernt oder begriffen zu haben.

Eines wurde jedenfalls auf diese Weise perfekt erreicht, nämlich dass wir uns alle ganz klein und armselig vorkamen, weil  es noch so viele Stufen auf dem Weg zum  Gipfel des Parnass zu erklimmen galt und wir Schafsköpfe noch nicht einmal den Unterschied zwischen „Perfekt“ und „Imperfekt“ ordentlich begriffen hatten.

Wie heißt es so schön in Goethes „Faust“?

„Da wird der Geist Euch wohl dressiert,

in spanische Stiefeln eingeschnürt,

damit bedächtiger er fortan

hinschleiche die Gedankenbahn.“


 

Ein Grammatik-Test

„Germanistik-Studenten versagen in Grammatik“. Unter dieser Schlagzeile berichtete die „Rheinische Post“ am 18. April 2007 über einen landesweiten Test an bayerischen Universitäten. Studierenden für das germanistische Lehramt im ersten Semester wurden grammatische Fragen vorgelegt, wie sie in Klassenarbeiten des siebenten und achten Schuljahres üblich sind. Das Ergebnis war ein skandalöses Versagen auf breiter  Front. „An der Universität Erlangen wussten 86,6 Prozent nicht, dass <dort> ein Adverb ist; fast 78 Prozent konnten nicht angeben, dass <käme> ein Konjunktiv Imperfekt ist.“

Schockierend! Unfassbar, wie es diese Ignoranten schaffen konnten, sich in ein Studium für das Lehramt im Fach Deutsch einzuschleichen. Gar nicht auszudenken, dass diese grammatischen Nieten dereinst auf die Schüler der nächsten Generation losgelassen werden sollen. Welch desaströser Bildungsnotstand wird die Folge sein?! Hier muss unbedingt etwas geschehen, um diesen unhaltbaren Zuständen Einhalt zu gebieten. So das Geschrei der Sprachwissenschaftler und Germanistikprofessoren.

Freilich kann man die Sache auch etwas gelassener betrachten oder sogar heimliche Genugtuung z.B. darüber empfinden, dass 78 Prozent nichts von einem „Konjunktiv Imperfekt“ wissen. Denn die werden schon mal nicht zu denen gehören, die diesen begrifflichen Unfug von Generation zu Generation weitervererben. Ob nämlich die Begriffe „Konjunktiv“ und „Imperfekt“ wirklich den schützenswerten Kulturgütern zuzurechnen sind, bedarf dringend einer Hinterfragung.

„Konjunktiv“ kommt vom lateinischen „coniunctus“ (verbunden, vereinigt). Hier wird also irgendetwas mit irgendetwas anderem „verbunden“, aber was womit verbunden wird, bleibt unklar und bedarf näherer Erläuterung. Aus der Bezeichnung ist es jedenfalls nicht ersichtlich, so dass diese allenfalls eine Etikettierung ohne jeglichen Erklärungswert darstellt. „Imperfekt“ kommt vom lateinischen „imperfectus“ (unvollendet) und bezeichnet in der Grammatik die Vergangenheitsform von Verben. Nur was an der Vergangenheit „unvollendet“ sein soll, hat mir bisher noch keiner schlüssig erläutern können. „Vollendet“ kommt man dagegen ins Schleudern, wenn man sich fragt, was das Wort „käme“ mit der Vergangenheit zu tun haben soll, außer dass es rein formal von der Vergangenheitsform abgeleitet ist, indem man aus „kam“ „käme“ macht. Doch in einem konkreten Satz wie „Ich käme gerne zu der Grammatikvorlesung, wenn ich sicher wäre, hier etwas Sinnvolles zu erfahren.“ ist in keiner Weise von etwas Vergangenem die Rede sondern eher von etwas Zukünftigen oder Möglichen.

Wenn nun künftige Generationen von der Konfrontation mit derart fragwürdigen grammatischen Begriffen wie „Konjunktiv Imperfekt“ verschont blieben, wäre die Ignoranz heutiger Studenten möglicherweise ein verkappter Segen. Sie würde zumindest die Chance beinhalten, nach neuen Wegen und Begriffen zu suchen, um mit Sprache sinnvoll ins Reine zu kommen. Vielleicht käme ja ein grammatischer Ignorant z.B. auf die Idee, das Wort „käme“ als „Möglichkeitsform eines Tätigkeitswortes“ zu bezeichnen und wäre damit vielleicht näher an der Realität als die imperfekt konjunktivierten (unvollkommen verbundenen) Wächter der Schulgrammatik.


 

Gespaltenes Haar

Kürzlich erhielt ich zum x-ten Male einen Brief, in dem wieder einmal ein Nebensatz mit „das“ eingeleitet wurde, ohne dass dieses ordnungsgemäß mit Doppel-s geschrieben war. Mancher lernt’s nie, dachte ich bei mir und konnte nur mühsam das Aufkeimen hochmütig verächtlicher Gefühle für den armen Schreiberling unterdrücken. Als ich dann allerdings in einer stillen Stunde etwas gründlicher über dieses Phänomen nachdachte, ging mir ein höchst unerwartetes Licht auf.

Mehr als 50 Jahre hatte ich als quasi naturgesetzlich hingenommen, was ich als kleiner Junge auf der Grundschule gelernt hatte, nämlich dass es neben dem normalen „das“ noch ein zweites „vornehmeres“ gibt, das man damals mit ß schrieb und das heute mit ss geschrieben wird. Doch jetzt durchfuhr mich ein plötzlicher Schrecken gefolgt von dem Gefühl bohrenden Zweifels, ob diese Unterscheidung wirklich sinnvoll und notwendig sei.

Konfrontiert man andere mit solchen Zweifeln, stößt man meist auf entrüstetes Unverständnis. „Ja, aber das sind doch zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen!“ kriegt man da zu hören. Daran ist zumindest richtig, dass zwei unterschiedliche Funktionen vorliegen: „das“ wird meist als Artikel gebraucht, „dass“ dagegen als Konjunktion. Fraglich ist nur, ob diese unterschiedliche Verwendung auch eine orthografische Unterscheidung erfordert.

„Als ich heute nach dem Einkaufen mein Geld zählte, fühlte ich mich deutlich ärmer als vorher.“ Hierin wird das Wörtchen „als“ einmal als Konjunktion und einmal als Präposition verwendet. Man könnte jetzt die Konjunktion von der Präposition unterscheiden, indem man sie etwa „alls“ oder „alz“ oder „alss“ schriebe. Doch bisher scheint noch niemand auf den Gedanken gekommen zu sein, dass so etwas nötig sein könnte. Aber wenn es bei „als“ nicht nötig ist, warum sollte es dann bei „das“ nötig sein?! Ähnlich wie mit „als“ verhält es sich mit „da“. „Da der Zug, der mich zur Arbeit bringen sollte, Verspätung hatte, war ich nicht rechtzeitig da.“ Am Anfang dieses Satzes steht eine Konjunktion, am Ende ein Adverb. Beide sind gleich geschrieben, und niemand hat bisher das leiseste Bedürfnis verspürt, eines der beiden in „daa“ oder „dah“ umzuwandeln.

Wenn man übrigens dem Wörtchen „das(s)“ noch ein wenig mehr auf den Zahn fühlt, bemerkt man, dass es nicht nur als Konjunktion oder bestimmter Artikel fungieren sondern auch noch als Demonstrativpronomen (hinweisendes Fürwort), wie etwa bei „dies und das“ oder „Das macht doch nichts!“.  Wenn man jetzt ganz konsequent sein wollte, müsste man zu allem Überfluss auch noch dem Demonstrativpronomen eine eigene Form geben. Wenn schon pingelig, dann aber auch richtig! Wie wär’s mit „dasz“?

Das Merkwürdige ist, dass man in allen anderen Fällen, wo Wörter unterschiedliche Funktionen haben können, keinerlei Anstalten zu ihrer orthografischen Unterscheidung macht: „Zu“ bleibt „zu“ und „auf“ bleibt „auf“, ganz egal, ob „die Tür auf oder zu“ ist oder ob man „auf der Straße zu Boden“ geht. All das geht den Orthografen völlig am Arsch vorbei. Nur auf dem armen „das(s)“ glauben sie herumhacken zu müssen.

Was für eine alberne Haarspalterei!


 

Regel ohne Ausnahme?

Mit den Ausspracheregeln der deutschen Sprache hat man so seine liebe Not. Woran erkennt man z.B. dass „Mus“ lang, „Bus“ aber kurz ausgesprochen wird? Oder weshalb ist „man“ kurz und „Plan“ lang? Und warum macht einer, der lang „rast“, nur kurz „Rast“? Dies alles ist ziemlich verwirrend und erweckt den Wunsch nach Klärung. Diesem Wunsch folgend stöberte ich in Wikipedia und fand neben vielen anderen Regeln auch die folgende, die ich einmal vollständig wiedergebe:

So lässt sich verallgemeinern: Lang sind Vokale vor den Konsonantenbuchstaben "b", "d", "g", "ß" (wenn "t", "s" oder "st" folgt), sowie vor "gd" und "ks". (Diese markieren die lange Aussprache, da sie anstelle von sonst zu erwartenden "p", "t", "k", "s"; "kt" und "x"/"chs" stehen.) Die Vorhersagbarkeit der Vokallänge gilt vor diesen Konsonantenbuchstaben also unabhängig von der Erweiterbarkeit der Silben. Vgl.: "Obst"/"lobst" (lang) vs. "optisch" (kurz), "Krebs"/"lebst" vs. "Klops", "beredt"/"lädt" vs. "nett", "Vogt"/"legt" vs. "Sekt", "spaßt" vs. "fast", "Magd"/"Jagd" vs. "Akt", "Keks"/"piksen" vs. "fix". In Eigennamen gilt dies auch für "w" (statt "f") und "sd" (statt "st"): "Drews", "Dresden".

Ich kann nicht verhehlen, dass ich hiervon einigermaßen beeindruckt war: Donnerwetter, endlich mal eine echte Verallgemeinerung und dazu noch so einfach zu merken! Ich brauche fürs erste nur 9 Buchstaben bzw. Buchstabenkombinationen auswendig zu lernen, und schon habe ich eine verlässliche Regel fürs phonetische Leben. Hurrah!

Doch bevor wir jetzt allzu euphorisch werden, sollten wir erst einmal an Beispielen prüfen, was diese schöne Regel wert ist. Vor „ks“ seien Vokale lang, besagt ein Teil der Regel. In der Tat sind „Keks“ und „Koks“ lang. Doch kaum habe ich das geschrieben, höre ich von draußen das wütende Pfeifen einiger „Loks“, die heftigst gegen eine lang gezogene Aussprache protestieren.

Bei „piksen“ meldet sich meine Rechtschreibhilfe und bietet als Korrekturvorschläge „pieksen“ und „pissen“ an. „Also offenbar kann man auf die ganze schöne Regel pissen“, durchfährt es mich schon mit hämischer Schadenfreude. Doch da ich ein vorsichtiger Mensch bin, schlage ich sicherheitshalber im Duden nach. Und siehe da: nicht „pieksen“ sondern „piksen“ ist richtig. Da die Dudenredaktion absolut vertrauenswürdig ist, kann ich nur schließen, dass da bei Microsoft einige Schluderköpfe am Werk waren.

Aha, wenn es „piksen“ heißt, dann heißt es sicher auch „kiksen“! So nennt man es, wenn einem Bläser, z.B. einem Hornisten oder Klarinettisten ein Ton leicht verunglückt. Doch als ich nachschlage, erfahre ich, dass man dies zwar auch „kicksen“ nennen kann, ansonsten aber die Schreibweise „kieksen“ richtig ist. Womit wir wieder bei der eingangs zitierten Verwirrung angelangt wären!

In der obigen Regel wird weiter behauptet, Vokale vor „dt“ seien lang. Als Beispiele werden „beredt“ und „lädt“ angeführt. Was aber ist mit der „Stadt“? Da diese kurz gesprochen wird, kann die Regel mit ihr keinen Staat machen.

Ferner sollen Vokale vor „bt“ lang sein. Solange man „lebt, schwebt, webt, klebt“, ist die heile Regelwelt in Ordnung. Aber wehe, wenn der schwarze „Abt“ kommt! Der macht „kurzen“ Prozess!

Vor „bs“ werden Vokale lang ausgesprochen: „Krebs, Obst, lebst“. Ersetzt man das „b“ durch „p“, wird’s kurz: „Mops, Klops, Schnaps, japst, knapst“. So weit so gut, käme da nicht Einspruch von allerhöchster Stelle, nämlich vom „Papst“ höchstpersönlich. Der müsste nämlich, wenn die Regel stimmt, entweder kurz gesprochen werden, was nicht der Fall ist, oder aber „Pabst“ geschrieben werden.

Nachdem die zitierte Regel jetzt sogar mit dem Heiligen Stuhl in Konflikt geraten ist, dürfte sie so durchlöchert sein, dass wir gut daran tun, sie auf den Müll zu werfen. Denn wir wollen uns ja nicht der Gefahr aussetzen, wegen ihr am Ende noch exkommuniziert zu werden.

Außerdem ist der Nutzen, der uns aus dem Auswendiglernen eines solchen Regelmonsters erwachsen würde, ohnehin fraglich.   Denn in der Zeit, in der wir die Regel zusammen mit dem ganzen Mottenfraß der Ausnahmen memorieren, können wir genau so gut – von Regeln unbelastet – jeden Fall einzeln lernen!


 

Angriff der neunbeinigen Monster

Vor einiger Zeit sah ich mal im Fernsehen einen ziemlich abgeschmackten Film, dessen Titel mir nicht mehr exakt in Erinnerung ist: „Achtbeinige Monster greifen an“ oder so ähnlich. Haupthandlungselement war das reihenweise Abknallen von etwas groß geratenen Spinnentieren, die in rauen Mengen den Bildschirm überfluteten. Als ich nach einiger Zeit genug von dem recht eintönigen Gekreische und Geballere hatte, schaltete ich den Fernseher ab, um nicht vor demselben einzuschlafen. „Was für ein elend langweiliges und geschmackloses Machwerk!“ dachte ich bei mir.

Diese Geschmacklosigkeit zu übertreffen, ist schwierig, aber die neue deutsche Rechtschreibung schafft es locker, indem sie sogar neunbeinige Monster auf die Menschheit loslässt, die sich von den achtbeinigen nur dadurch unterscheiden, dass sie nicht zum Niederstrecken sondern zum Niederschreiben gedacht sind.

Wer schon einmal mit einem „Schwimmmeister“ gerungen hat – ich meine nicht handgreiflich sondern handschriftlich – weiß, welch elende Konzentration es verlangt, die neun Beine dieses Herrn fein säuberlich abzuzählen, damit es nicht acht oder zehn werden. Drei aufeinander folgende „m“ zu tippen, erfordert dreimaligen Anschlag der gleichen Taste, ist also kein Problem. Aber drei „m“ mit der Hand zu schreiben, ist eine Tortur, eine ermüdende Strafarbeit, bei der es einem vor den Augen flimmert und man ganz rammdösig wird.

Es gäbe keine geeignetere  Höllenstrafe für die Urheber dieser orthografischen Regelung als auf ewig dazu verdammt zu sein, Wörter wie „ Programmmusik, Kammmolch, Dammmitte“ immer  wieder handschriftlich zu Papier bringen und dabei gebetsmühlenartig den Satz leiern zu müssen: „Das habe ich nun von meiner Logik, das habe ich nun von meiner Logik...“

Denn Logik war doch wohl der Kern jener Vereinheitlichung, die künftig Deutschstunden überflüssig macht, in denen Schülern – wie uns seinerzeit –der feine orthografische Unterschied zwischen „Schiffahrt“ und „Schifffracht“ klar gemacht werden muss.

Ich kann mich an die Stunde, in der uns solch esoterische Kenntnis vermittelt wurde, noch lebhaft erinnern. Erst wollte es ja gar nicht so recht in die dummen Schädel. Dachte doch jeder, „Fahrt“ und „Fracht“ seien so ähnlich, dass da unmöglich ein Unterschied bestehen könnte. Also müsse man die Fügungen mit Schiff entweder beide mit drei f schreiben oder besser nur mit zweien, weil das schöner aussehe.

Doch solch simple Betrachtungsweise wäre dem Niveau einer höheren Lehranstalt unangemessen gewesen. Schließlich sollte hier eine Art von Bildung vermittelt werden, die nicht jeder Hinz und Kunz verstehen konnte, weshalb eine subtilere Betrachtung angezeigt war. So bot denn die äußerst scharfsinnige Beobachtung, dass im einen Falle auf das Mehrfach-f ein Vokal, im anderen Falle ein Konsonant folgt, spitzfindigen Anlass für orthographische Fallunterscheidungen.

Die Sache gewann schließlich folgende klar geregelte Gestalt: Wenn ein Vokal folgt, schreibt man zwei, wenn ein Konsonant folgt, schreibt man drei f. Zwar erwog der eine oder andere vielleicht noch vorsichtig, die umgekehrte Schreibweise, nämlich „Schifffahrt“ mit  drei und „Schiffracht“ mit nur zwei f sei sinnvoller. Denn man könnte ja auch die Vermeidung ausgedehnter Anhäufungen von Konsonanten zum Prinzip erheben, was gegen den vierfachen Konsonanten in „Schifffracht“ und für einen (nur!) dreifachen Konsonanten in „Schifffahrt“ sprechen würde. Aber am Ende musste jeder einsehen, solche Skrupel seien pure Kleingeisterei. Denn gerade dass die Regeln die vordergründigen Plausibilitätsüberlegungen des „gesunden Menschenverstands“ transzendierten, verlieh ihnen das Attribut gehobener Geistigkeit.

Hinzu kam, dass unser Deutschlehrer immer auch von den poetischen Qualitäten der deutschen Sprache schwärmte, und so wusste er den vorliegenden Fall auf verblüffende Weise mit Poesie in Verbindung zu bringen. „Schiffahrt“ sei eine Angelegenheit, bei der das Schiff frei und glatt durchs Wasser gleite, was in der glatten und  flüssigen Aussprache von „Schiffahrt“ bildhaften Ausdruck finde. Die Fracht hingegen sei für das Schiff eine drückende Last, was der eher holprigen und mühseligen Aussprache von „Schifffracht“ entspreche. Solches vernehmend fiel uns vor Staunen die Kinnlade herunter, und wir waren von der Erkenntnis, dass es dann ja gar nicht anders sein könne, total fasziniert.

Selten war ich auf etwas so stolz wie auf die mühselig erworbene  Kenntnis dieser orthographischen Finesse. So etwas ausgesprochen Subtiles zu wissen, stärkte das Selbstwertgefühl ungemein. Hatte man doch nicht nur begriffen, wie es richtig war, nein man hatte auch den geistigen Hintergrund der Regel reflektiert und war zu der leuchtenden Erkenntnis vorgedrungen, warum es gerade nicht so sein durfte, wie es der gesunde Menschenverstand eigentlich erwartet hätte.

Mag das damals Gelernte im Lichte nüchterner Vernunft auch noch so schwachsinnig erscheinen, ich konnte nicht umhin, ihm eine verstohlene Träne nachzuweinen, als im Zuge der Rechtschreibreform alle damaligen geistigen Verrenkungen inklusive der daran haftenden Poesie Makulatur wurden. Schade um die unnötig investierte Mühe, da jetzt alles plötzlich so einfach war! Trotzdem fand ich natürlich eine orthografische Vereinheitlichung begrüßenswert. Denn warum soll man sich mit unnötigem Ballast herumschlagen?

Hier hätte sich übrigens den Vätern der Rechtschreibreform die wunderbare Chance geboten, dem Schifflein der deutschen Sprache zu etwas freierer und glatterer Fahrt zu verhelfen. Sie haben diese Chance kläglich vertan, indem sie nicht die elegante „Schiffahrt“ sondern die mühselige und holprige „Schifffracht“ zum Standard erklärten. Anstatt ihren Mitbürgern die Intelligenz zuzutrauen, einen fehlenden dritten Buchstaben „im Sinn“ zu ergänzen, glaubten sie, die Logik auf die Spitze treiben und die Sprache mit unästhetischen Buchstabenklumpen anreichern zu müssen.

Mögen sie deshalb in der Hölle schmoren, sich bis zum Jüngsten Tage die Finger an neunbeinigen „Schlammmonstern“ wund schreiben und dazu ihr logistisches Hallelujah singen! Vielleicht wäre es aber auch ganz originell, sie zu verdammen, bei der „Kaffeeernte“ auf den „Hawaiiinseln“ im „Zooorchester“ die „Basssaiten“ zu zupfen.

 

Als wie fünfhundert Säuen

Frosch, Brandner, Siebel und Altmayer heißen die vier Zechkumpane, die in einer berühmten Szene aus Goethes „Faust I“ in „Auerbachs Keller“ zu Leipzig versammelt sind, und deren Stimmung nach einigen derben Späßen und dem Absingen zweideutiger Lieder schon ein wenig angeregt ist, als Mephistopheles und Faust die Gast­stube betreten. Mephistopheles, der Faust davon überzeugen will, wie leicht es sich in lustiger Gesellschaft leben lässt, versucht die Stimmung weiter anzuheizen, indem er das politisch-satirische Lied von dem König, der einen großen Floh hatte, zum Besten gibt und damit großes Gelächter erntet. Die Ausgelassenheit erreicht ihren Höhepunkt, als Mephistopheles die Zecher mit einem Zaubertrick ebenso verblüfft wie beglückt. Er bohrt nämlich für jeden in die Tischplatte ein Loch, aus dem sich jeder seinen Lieblingswein zapfen kann. In der hierauf nach kurzer Zeit aufkommenden Weinseligkeit brechen die vier Zechkumpane in den grölenden Chorgesang aus: 

„Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie fünfhundert Säuen! 

Wie bitte? Lesen wir da recht: „Als wie...“? Sollte etwa der große Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sein? Sollte er auf der Schule so schlecht aufgepasst haben, dass ihm der Unterschied zwischen „als“ und „wie“ nicht geläufig war?

Hätten wir seinerzeit unseren Deutschlehrer auf dieses Goethe-Zitat angesprochen, so hätte er sich wahrscheinlich mit einem Hinweis auf die so genannte „dichterische Freiheit“ aus der Affäre gezogen und das beliebte Sprichwort hinzugefügt: „Quod licet Jovi, non licet bovi!“, was für den glücklichen Nicht-Lateiner verdolmetscht heißt: „Was erlaubt ist dem Jupiter, ist nicht erlaubt dem Ochsen!“

Wohlan denn, ihr Ochsen, werdet hier nicht aufmüpfig, haltet euch gefälligst an das, was man euch in der Schule gelehrt hat, und passt schön auf, dass ihr die Vergleichspartikel „wie“ und „als“ brav und fein säuberlich auseinander haltet! Leider haben nur allzu viele auf der Schule bei dem Thema geschlafen oder mit Papierkügelchen geschossen, denn immer wieder begegnet man Formulierungen wie: „Du bist zwar stärker wie ich, dafür bin ich aber viel klüger als wie du.“

Dabei ist die Regel doch ebenso einfach wie klar:

Nach einem ungesteigerten Adjektiv („Positiv“) folgt die Vergleichspartikel „wie“,

nach einem gesteigerten Adjektiv („Komparativ“) heißt es „als“.

Beispiel: „Ich bin zwar größer als du, aber deine Schuhe sind genau so groß wie meine.“

Das auseinander zu halten, sollte selbst bescheideneren Intelligenzen möglich sein. Doch wie so oft im Leben gilt auch hier das Schiller-Zitat aus „Wallenstein“: „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ Denn was auf den ersten Blick so absolut sonnenklar erscheint, könnte sich im Detail, in dem bekanntlich der Teufel steckt, als gar nicht mehr so unproblematisch erweisen.

Angenommen einmal, ich will mich darüber beklagen, dass meine Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter stetig abnimmt, und beginne folgenden viel versprechenden Satz: „Als alter Mann bin ich in allem viel langsamer...(als)...“, so bekomme ich leichte Probleme mit der Fertigstellung. „...als früher.“ wäre eine Möglichkeit, die allen Komplikationen aus dem Wege geht. Doch das wäre jetzt Feigheit vor dem Feind. Ich möchte nämlich in dem Satz nicht auf den Vergleich des Alten mit dem Jungen verzichten und überlege angestrengt, wie ich den „Jungen“ verbal ins Spiel bringen kann.

„Als alter Mann bin ich in allem viel langsamer als als Junge.“ würde der Regel entsprechen. Aber wie klingt das?! „Störende Wortwiederholung“ hätte mein Deutschlehrer an den Rand des Aufsatzes geschrieben. Selbst die Rechtschreibprüfung meines Textprogramms reagiert auf das zweite „als“ mit der roten Schlange. Wenn ich also nicht zweimal „als“ sagen darf, wie wäre es, wenn ich deren eines durch „wie“ ersetzte: „... viel langsamer wie als Junge.“? Klingt nach meinem Sprachgefühl gar nicht mal so falsch, wäre aber gegen die Regel, dass nach dem Komparativ „als“ zu folgen hat. Also besser umgekehrt: „...viel langsamer als wie Junge.“? Das klingt aber erst recht unmöglich!

Der Verzweiflung nahe probiere ich jetzt noch: „Als alter Mann bin ich in allem viel langsamer als wie als Junge.“ Na ja, das klingt zwar jetzt nicht hochgradig geschliffen, aber immerhin verglichen mit den missglückten Vorversuchen noch halbwegs glatt und akzeptabel. Doch damit hätten wir Zuflucht zu der in den Augen Vieler schlimmen Sprachsünde des „als wie“ genommen und uns außerdem zu einer Sphäre emporgeschwungen, die uns als „Ochsen“ nicht zusteht, nämlich zur „jovialen“ Formulierungsebene eines Goethe.

Wenn man übrigens lange genug überlegt, gibt es selbst in sprachlich vertrackten Situationen immer noch Möglichkeiten, den Kopf elegant aus der Schlinge zu ziehen. So könnte man das oben diskutierte formulatorische  Problem z.B. durch Rückbesinnung auf die leicht atavistisch angehauchte Vergleichspartikel „denn“ lösen, etwa nach dem Vorbild des Glaubens, „der höher ist denn alle Vernunft.“: „Als alter Mann bin ich in allem viel langsamer denn als Junge.“ Das sollte man sich mal merken! „Als Beamter bin ich viel besser gestellt denn als Arbeiter oder Angestellter.“ „Als Arzt oder Apotheker weiß ich über Medikamente viel besser Bescheid denn als Patient.“

Nach dieser eleganten Sprachbewältigung fühle ich mich jetzt so stolz, „als“ hätte ich eine Heldentat vollbracht. Fast fühle ich mich „wie“ ein Held, ja mehr noch: ich fühle mich schon fast „als“ Held, wenn ich mich auch nicht „wie“ Held fühlen darf.

Bei „Held“ kommt mir übrigens die Erinnerung an das Gedicht „Die Himmel  rühmen die Ehre Gottes“ von Christian Fürchtegott Gellert, das insbesondere durch die Vertonung von Ludwig van Beethoven bekannt geworden ist. In der zweiten Strophe ist von der Sonne die Rede:

„Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne

Und läuft den Weg gleich als ein Held.“

Obwohl hier weit und breit kein Komparativ zu entdecken ist, hat der Dichter keine Hemmungen die Vergleichspartikel „als“ zu verwenden.

In Carl Maria von Webers bekanntester Oper „Der Freischütz“, zu der Friedrich Kind das Libretto schrieb, beschwört in der berühmten „Wolfsschluchtszene“ der mit dem Teufel im Bunde stehende Jägerbursche Kaspar den „Schwarzen Jäger“ mit folgenden Worten:

„Schütze, der im Dunkeln wacht!
Samiel! Samiel! hab' Acht!
Steh mir bei in dieser Nacht,
Bis der Zauber ist vollbracht!
Salbe mir so Kraut als Blei,
Segn' es sieben, neun und drei,
Daß die Kugel tüchtig sei!
Samiel! Samiel! herbei!“

Auch hier wird das Wörtchen „als“ schamlos da verwendet, wo es eigentlich „wie“ heißen müsste.

Wem jetzt Friedrich Kind als Dichter zu unbedeutend erscheint, möge sich an das allbekannte „Abendlied“ von Matthias Claudius erinnern, dessen zweite Strophe also lautet:

„Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.“

Sollten alle die zitierten Dichter die Regeln der deutschen Sprache nicht beherrscht haben? Oder könnte es vielmehr sein, dass die „Als-wie-Regel“ zur Entstehungszeit der oben zitierten Texte noch gar nicht existierte, und dass erst später jemand auf den Gedanken kam, man müsse die Sprache unserer klassischen Dichter „verbessern“? Ich weiß nicht, wer diese merkwürdige Regel mit der haarspalterischen Differenzierung zwischen „Positiv“ und  „Komparativ“ aufgebracht hat, doch sie riecht für mich förmlich nach der weinseligen Erfindung eines nicht voll ausgelasteten Dorfschulmeisters, der krampfhaft nach zusätzlichen Möglichkeiten suchte, die Aufsatzhefte seiner Schüler mit noch mehr roter Tinte zu besudeln.

Wenn man sich einmal daran erinnert, dass das kleine Wörtchen „als“ eigentlich nichts anderes ist als eine Verkürzung des alt- und mittelhochdeutschen „also“, so erscheint die Verknüpfung des „als“ mit dem Komparativ vollends als äußerst willkürliches und fragwürdiges Konstrukt, das weder dem Ursprung des Wortes noch seiner traditionellen Verwendung Rechnung trägt.

Dessen ungeachtet ist das Internet voll von Beiträgen, die sich mit wachsender Begeisterung darüber mokieren oder entrüsten, dass manche Zeitgenossen ständig „wie“ und „als“ durcheinander werfen. Ich hätte nicht übel Lust, einmal einem dieser „Sprachexperten“ das Goethe-Zitat mit den fünfhundert Säuen unter die Nase zu reiben. Vielleicht bekäme ich dann sogar eine schlaue Antwort, etwa dahingehend, Goethe habe die Formulierung „als wie“ den Zechkumpanen in Auerbachs Keller nur deshalb in den Mund gelegt, um sich über die nachlässigen Sprachgeflogenheiten des niederen Volkes lustig zu machen.

Sollte dem wirklich so sein, erhebt sich allerdings die Frage, warum er ausgerechnet den hochgelehrten Doktor Faust die Worte sprechen lässt:

„Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor.“

Da sich also das „Als-Wie-Tandem“ auch in der Gesellschaft höchst gebildeter Persönlichkeiten wohl zu fühlen scheint, ist die „Niedere-Volk-Theorie“ ad absurdum geführt.

Eine endgültige Klärung des „Als-Wie-Dualismus“ überlassen wir jetzt nachfolgenden Generationen und gönnen uns nur noch eine ganz kleine, nicht ganz ernst gemeinte Überlegung zur Rechtfertigung der eingangs zitierten Goetheschen Formulierung: „Als wie fünfhundert Säuen.“:

 Menschliches „Sein“ beinhaltet Fühlen und Handeln. Die Zech­kumpane in Auerbachs Keller fühlen sich „als“ Säue und sie handelnwie“ Säue, also muss die seinsbezogene Formulierung „Uns ist ganz kannibalisch wohl“ beides nach sich ziehen, nämlich sowohl ein „als“ wie auch ein „wie“.

Sollte mir jetzt irgendjemand krumm kommen mit der Oberlehrer-Bemerkung, es heiße nicht „sowohl ...wie auch“, sondern „sowohl ...als auch“, muss er sich die Gegenfrage gefallen lassen, wo denn bitteschön der Komparativ bei „sowohl“ sei, oder ob es neuerdings „sowohler“ heißt.

Und sollte jetzt immer noch jemand vom hohen Ross des Besserwissertums auf die armen „Als-wie-Ignoranten“ herab blicken, so möge er sich einmal gedanklich auf folgendes kleine Problem einlassen, das mir kürzlich beim Warten vor einer roten Ampel begegnete.

Man hätte dreimal fahren können, weil weit und breit kein anderer Verkehrsteilnehmer in Sicht war, der einen daran gehindert hätte. Trotzdem stand man sinnlos herum, weil die Ampel halt rot war. Leicht genervt meinte ich zu meiner Frau: „Warum schaltet man diese blöde Ampel nicht ab? Auf die Lücke im Querverkehr zu warten, wäre nämlich nicht so schlimm als hier sinnlos vor der roten Ampel zu stehen.“ „Wie vor der roten Ampel zu stehen, muss es heißen.“ wurde ich von meiner Frau verbessert. Ganz Unrecht hatte sie nicht, denn „schlimm“ ist in der Tat ein Positiv und kein Komparativ, folglich muss es nach der Regel „wie“ heißen. Andererseits sind die beiden Fälle, die hier verglichen werden, keineswegs gleich sondern durchaus verschieden. Würde man die Regel nun so verstehen, dass bei Gleichheit „wie“, bei Verschiedenheit „als“ verwendet wird, so müsste es im vorliegenden Falle doch eher „als“ heißen. Hätte ich übrigens statt „nicht so schlimm“ gesagt: „weniger schlimm“, wäre die Sache noch etwas heikler geworden, denn woran soll man sich nun orientieren, an dem Positiv „schlimm“ oder an dem – möglicherweise transitiv wirkenden – Komparativ „weniger“?

Nachdem jetzt hoffentlich alle Klarheiten beseitigt sind, wünsche ich noch viel Spaß beim Weitergrübeln!

P.S. „Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.“ heißt es in Goethes „Faust“ an andere Stelle. Müsste es da nicht wegen der Abwesenheit jeglichen Komparativs „wie“ heißen?! Vielleicht erscheint aber das Ganze am Ende auch so, „wie als ob“ oder „ob als wie“ oder „als wie ob“ der ganze „Als-Wie-Dualismus“ nichts weiter „wie“ oder „als“ oder „wie als“ oder „als wie" ein Streit um des Kaisers Bart sein könnte.

Kampf der Geschlechter

Dass der Mann männlich, die Frau weiblich und das Ding sächlich ist, leuchtet jedem ein. Auch dass die Artikel „der“, „die“ und „das“  den grammatischen Geschlechtern „Maskulinum“, „Femininum“ und „Neutrum“ zugeordnet sind, dürfte sich allgemeiner Bekanntheit und  Akzeptanz erfreuen. Doch nicht jedem, der bis hierher geistig mühelos folgen konnte, wird dies ohne Probleme weiterhin möglich sein, wenn er „die“ Sache näher betrachtet.

Moment mal, heißt es tatsächlich: „die Sache? Hören bzw. lesen wir da wirklich recht, oder haben wir uns etwa in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Landeskrankenhauses verlaufen?! Wie kann es denn angehen, dass eine Sache, die schließlich dem „sächlichen“ Geschlecht den Namen gab, mit einem weiblichen Artikel kombiniert wird? Dies ist in der Tat so krank, dass man sich fragen muss, wie so etwas mit öffentlicher Billigung frei herumlaufen darf. Ein schwacher Trost mag darin liegen, dass die Schizophrenie wenigstens innere Konsequenz zeigt, indem sie nicht nur die Sache zum Weibe, sondern im Gegenzug auch noch „das“ Weib zur Sache macht.

Ist es nicht der absolute Gipfel sprachlicher Perversion, wie hier das Weibliche sächlich und das Sächliche weiblich wird?! Doch darüber, dass es „das“ Mädchen und „die“ Runkelrübe heißt, haben sich vor mir schon andere beschwert oder mokiert. Deshalb wollen wir jetzt nicht weiter amüsiert reflektieren, warum etwa das Baby sächlich und der Schnul­ler männlich ist, sondern uns der Frage zuwenden, wie es zu solch geradezu monströsen Absurditäten in der Sprache kommen konnte.

„Weib“ kommt von mittelhochdeutschen „wib“ und bezeichnete damals weibliche Angehörige des niederen Volkes, während die Bezeichnung  „frouwe“ (Frau) den vornehmen Damen von Rang und Adel vorbehalten war. Von daher haftet dem Wort „Weib“ bis heute ein leicht abfälliger Unterton an, sieht man einmal von Fällen ab, in denen bewundernd von einem „Klasse-“ oder „Superweib“ gesprochen wird. Doch selbst solche Bezeichnungen drücken im Grunde keine echte Hochachtung vor den betreffenden Frauen aus, sondern preisen in erster Linie deren Qualitäten als Sexobjekt, womit wir wieder bei der „Sache“ wären.

Der sächliche Artikel des Weibes könnte ursächlich damit zusammenhängen, dass von Gleichberechtigung im Mittelalter nicht einmal ansatzweise die Rede war, sondern dem Manne für den Fall, dass ihm sein Weib nicht gehorchte, sogar das Züchtigungsrecht zustand. De facto war also das Weib rechtlos und quasi des Mannes Eigentum, mit dem er fast wie mit einer Sache verfahren konnte.

Welche Verachtung für das „weibliche“ Geschlecht drückt sich darin aus, dass man es nach dem quasi zur Sache abgestempelten Weibe benannte! Man hätte nämlich genau so gut „die Frau“ als Namensgeberin wählen und vom „fraulichen“ Geschlecht sprechen können. Von einer wirklich vollendeten Emanzipation der Frau kann wohl erst dann die Rede sein, wenn eine künftige Sprachreform einmal eine entsprechende Umbenennung beschließt (oder dem weiter gehenden Vorschlag am Ende dieses Kapitels zustimmt).

Wie wir sahen, lässt die Sprache eine deutliche Bevorzugung der Männerwelt  erkennen. Immerhin gehen die Deutschen nicht ganz so brutal mit ihren Frauen um wie die Engländer, die für „Mensch“ und „Mann“ nur den gemeinsamen Begriff „man“ kennen. Man wagt sich gar nicht auszumalen, was herauskäme, wenn man den englischen Wörtern „man“ und „woman“ Entsprechendes in die deutsche Sprachlandschaft integrieren würde: „Mann und Beimann, Mann und Zweitmann, Mann und Buhmann“? Lassen wir das und begnügen uns mit der Randbemerkung, dass die Engländer die zynische Geschichte von Eva, die als Abfallprodukt aus Adams Rippe erzeugt wurde, offenbar sehr wörtlich genommen haben.

Aber auch wenn das Deutsche hinsichtlich Frauenverachtung nicht ans Englische heranreicht, fällt trotzdem auf, dass der Begriff „Mensch“ wegen seines Artikels sich vollgültig nur auf das männliche Geschlecht bezieht, weshalb sich die Frauen zu Recht diskriminiert fühlen dürfen. Allerdings könnte man dieses Problem nicht einfach dadurch lösen, dass man jetzt „die Mensch“ sagt, denn dann hätten die Männer allen Grund sich zu beschweren. Also bleibt als einzig vernünftiger Ausweg aus diesem Dilemma die neutrale Bezeichnung „das Mensch“. Doch leider ist dieser elegante Weg dadurch verbaut worden, dass man sich die Dummheit angewöhnt hat, „das Mensch“ als Schimpfwort für Flittchen, Schlampen oder Zicken zu verwenden und somit diesen wertvollen Begriff sinnlos zu vergeuden.

Dies ist umso bedauerlicher, als der deutsche Mensch durchaus über die notwendige Intelligenz verfügt, sinnvolle Bezeichnungen zu ersinnen, was er z.B. bei der Benennung des Nutzviehs zumindest teilweise glänzend unter Beweis gestellt hat. So gesellen sich etwa zu der geschlechtsneutralen Artbezeichnung „das Schwein“ die geschlechtsspezifischen Begriffe „der Eber“ und „die Sau“. Ähnlich erfreuen sich „der Hengst“ und „die Stute“ unter dem neutralen Oberbe­griff „das Pferd“ schönster Gleich­berechtigung.  Gleiches gilt auch für „das Rind“ mit seiner Aufspaltung in „der Stier“ und „die Kuh“, wobei allerdings ein hauchzarter patriarchalischer Touch dadurch ins Spiel kommt, dass man den Stier vor der Kuh auszeichnet, indem man ihn noch mit dem Zweitnamen „Bulle“ bedenkt. Doch diese „Auszeichnung“ wird mehr als ausgeglichen durch die Schande, die man ihm oft antut, indem man ihn zum „Ochsen“ degradiert, wobei ihn die Gnade, dass man ihm dabei wenigstens den männlichen Artikel belässt, wenig trösten dürfte.

Beim „Huhn“ bekommt der Glaube an die bis hierher makellose Weisheit der Na­mens­geber erste Risse, weil nicht mehr so ganz klar ist, ob „das Huhn“ nur eine neutrale Artbezeichnung ist, oder ähnlich wie „das Weib“ auch zur herabsetzenden Verdinglichung der weiblichen Artvertreter dient. „Ihrer Hühner waren drei und ein stolzer Hahn dabei.“ dichtet Wilhelm Busch in „Max und Moritz“, wonach „Hahn und Huhn“ ein ähnliches Begriffspaar zu bilden scheinen wie „Mann und Weib“, was unseren Diffamierungsverdacht erhärtet. Zwar gibt es analog zur „Frau“ auch noch den geschlechtsadäquaten Begriff „die Henne“, doch ebenso wenig wie „die Frau“ begrifflich dem „Manne“ sondern dem „Herren“ entspricht, genau so wenig gehört die „Henne“ zum „Hahn“ sondern vielmehr zum „Henning“. Der Henning und die Henne sind geschlechtlich in Ordnung, denn sie entsprechen dem Herrn und der Herrin. Hahn und Huhn jedoch entsprechen der Kombination Mann und Weib mit der implizierten Degradierung des weiblichen zum sächlichen Geschlecht.

Wer übrigens jetzt zufällig „Henning“ heißt, möge keinen Schreck bekommen, denn sein Name hat nichts mit dem Federvieh zu tun, sondern ist eine der zahlreichen Abwandlungen des Namens „Johannes“. Als Alternativbezeichnung für den „Hahn“ ist „Henning“ heute nahezu ausgestorben und eigentlich nur noch aus alten Fabeln bekannt.

Nach den bisherigen Überlegungen ist es höchst verwunderlich, dass man bei den weiblichen Enten und Gänsen plötzlich alle Frauenverachtung vergisst und nicht nur ihr Geschlecht unangetastet lässt sondern die Bezeichnung der weiblichen Tiere sogar als Namen für die gesamte Art übernimmt: „die“ Ente und „die“ Gans als Oberbegriff für männliche und weibliche Tiere. Unglaublich!

Dies zu verstehen ist nicht ganz leicht. Es könnte damit zusammenhängen, dass Hühner einerseits, Gänse und Enten andererseits in der männlichen Gefühls- und Vorstellungswelt sehr unterschiedlich wahrgenommen wurden.

Auf einem typischen Hühnerhof stolziert ein prächtig anzusehender „stolzer“ Gockelhahn umher, bläht sich auf und kräht seine Überlegenheit in alle Welt hinaus, während sich die unscheinbaren Hühner ängstlich vor ihm ducken, ein Bild, welches den Männern sicher nicht schlecht gefiel. Eine ähnliche Rolle hat jedoch der „Ganter“ bei den Gänsen und der „Erpel“ bei den Enten nie gespielt. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn der eine oder andere die Bezeichnung „Ganter“ für die männliche Gans hier zu ersten Mal hört.

Obwohl etwa bei Wildenten das Männchen in der Regel weitaus farbenprächtiger als das Weibchen ist, kann insbesondere in der Nutztierhaltung von einem ähnlich krassen Geschlechterunterschied wie bei den Hühnern keine Rede sein. Jedenfalls habe ich noch nie in Analogie zum „stolzen Hahn“ von einem „stolzen“ Ganter oder Erpel reden hören. Ganz im Gegenteil scheinen diese in der weiblich bestimmten Gänse- und Entenwelt (sprachlich) eine so untergeordnete Rolle zu spielen, dass man selbst ihre Namen kaum kennt. Sich mit solchen „Pantoffelhelden“ zu identifizieren, konnte nicht im Interesse der Männer liegen, so dass sie hier kein lohnendes Feld für die Entfaltung sprachlicher Macho-Allüren sahen. Es könnte vielleicht sogar so gewesen sein, dass hier bei der Namensgebung einmal ausnahmsweise die Frauen das erste Wort ergreifen durften und dabei eine Chance witterten, den Männern eins auszuwischen, indem sie die patriarchalisch geprägte Hühnerhofnomenklatur mit einer matriarchalisch dominierten Enten- und Gänsenomenklatur konterten. Sollte hier eine erste heimliche Emanzipationsbewegung der Frau ihre zarten Spuren hinterlassen haben?

Im Zuge der weiteren verbalen Katalogisierung des Tierreiches stießen Sorgfalt und Vernunft trotz viel versprechender Ansätze bald an ihre Grenzen und machten mehr und mehr nachlässiger Schlamperei oder gar blindwütiger Willkür Platz. Zwar begegnen wir auf freier Wildbahn noch dem ordnungsgemäß mit dem neutralen Artikel „das“ versehenen „Reh“ mit der Geschlechterdifferenzierung in „Bock“ und „Ricke“, aber schon beim „Hirsch“ wird es unorthodox, indem der männliche Hirsch zum Namensgeber der gesamten Art wird, während deren weibliche Vertreter als (dusselige?) „Hirschkühe“ abgetan werden. Hier scheint sich übrigens ein weiteres Mal männliches Brustschwellen durch Identifikation mit dem stolzen Geweihträger unter gleichzeitiger Herabsetzung des schwachen Geschlechts zu manifestieren. (Letzteres pflegte sich gelegentlich dadurch zu rächen, dass es dem stolzen Geweihträger noch ein zweites Gehörn aufsetzte.)

Wenn wir zu den weniger „kapitalen“ Tierarten kommen, werden die Bezeichnungen zunehmend chaotisch. Warum z.B. Hasen männlich, Ratten weiblich und Kaninchen geschlechtslos sein sollen, kann niemand mehr wirklich erklären. Auch Dachs, Maus, Wurm und Eichhörnchen sind den drei Geschlechtern nach Kriterien zugeordnet worden, die sich dem unmittelbaren Zugriff des gesunden Menschenverstandes entziehen. Erst recht bei „Amsel, Drossel, Fink und Star“ und der ganzen Vogelschar machen die angeklebten Artikel den Eindruck, als seien sie aus der Lostrommel gezogen, denn was an einem „Kolibri“ männlich und an einer „Möwe“ weiblich sein soll, dürfte selbst der ausgekochteste  Sophist nicht mehr verständlich machen können.

Doch bevor wir uns weiter im Tollhaus des Geschlechterdschungels verirren, wollen wir uns an die oben gestellte Frage erinnern, wie das Weibliche sächlich und das Sächliche weiblich werden konnte. Den ersten Teil der Frage haben wir leidlich durch die Diffamierung des weiblichen Geschlechtes in einer durch Männer geprägten Gesellschaft beantwortet. Doch warum ausgerechnet „die Sache“ mit einem weiblichen Artikel versehen wurde, gibt Rätsel auf. Die Suche nach „sachlichen“ Gründen dürfte hoffnungslos sein, weil sie unweigerlich auf einen sächlichen Artikel hinauslaufen würden, so dass allenfalls noch die Suche nach formalen Gründen Erfolg verheißen könnte.

Der Baum ist zwar männlich, doch nur wenige seiner „Untertanen“, wie etwa der Ahorn, teilen mit ihm sein Geschlecht. Die meisten Bäume sind dagegen weiblich, wie z.B. Ulme, Linde, Weide, Buche, Eiche, Erle, Fichte, Tanne, Eibe... und und und. Bezeichnenderweise enden alle diese weiblichen Bäume auf „e“! Hieraus könnte man den messerscharfen Schluss ziehen, die deutsche Sprache habe die rein formale Gepflogenheit entwickelt, alle  Wörter die auf „e“ enden, dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Das ergibt zwar keinen tieferen Sinn, liefert aber wenigstens eine Richtschnur, an der man sich orientieren kann, bevor man gar nicht mehr weiß, wo es lang geht.

Damit haben wir zwar keine wirklich fundierte, aber wenigstens eine plausible Erklärung dafür gefunden, wie „die Sache“ zu ihrer Weiblichkeit gelangte, nämlich aus dem simplen formalen Grunde, dass das Wort auf „e“ endet. Aus dem gleichen banalen Grunde könnte übrigens die Sonne ihren femininen Charakter erlangt haben, was allerdings kein gutes Licht auf die Kreatoren der deutschen Sprache wirft. Denn wie kann man etwas, das von vielen Hochkulturen als Sonnengott verehrt wurde, und dem selbst unsere französischen Nachbarn als „le soleil“ männliche Kraft attestieren, dadurch abwerten, dass man es dem ansonsten eher verachteten „schwachen“ Geschlecht zuordnet?!

Wenn wir übrigens vorhin glaubten, eine Regel der deutschen Sprache ausfindig gemacht zu haben, nämlich dass alle auf „e“ endenden Wörter weiblich seien, so werden wir herb enttäuscht, wenn wir diese „Regel“ als allgemeingültig zu verifizieren versuchen. Da kommt uns nämlich ganz schnell der auf „e“ endende, aber durch und durch männliche „Bote“ oder „Hirte“ sowie das sächliche „Auge“ in die Quere, womit wieder einmal der Traum von der wenigstens punktuellen Regelhaftigkeit der deutschen Sprache wie eine Seifenblase zerplatzt.

Ähnlich wie dieser Seifenblase dürfte es auch allen weiteren Versuchen ergehen, verlässliche Regeln für die Geschlechterzuordnung von ansonsten geschlechtslosen Dingen ausfindig zu machen. So könnte man z, B. vermuten, alle auf „el“ endenden Wörter seien männlich.  Die Verifizierung dieser Regel funktioniert erstaunlich lange, denn „Kegel, Pegel, Egel, Flegel, Schlegel, Tiegel, Nabel, Schnabel, Hobel“ sind ausnahmslos männlich. Leider jedoch benimmt sich „das Kabel“ plötzlich ganz unsachlich und tanzt sächlich aus der Reihe. Und ausgerechnet „die Regel“ macht uns einen weiblichen Strich durch die Regel.

Kürzlich wurde ich an der Reklamationstheke eines Supermarktes unfreiwilliger Zuhörer eines Gesprächs, in dem ein offenbar ausländischer Kunde die Mängel seines defekten Staubsaugers zu erläutern versuchte. Unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen beschwerte er sich darüber, dass „der Kabel“ sich nicht richtig aufrolle. Mein anfänglicher Anflug von Heiterkeit machte rasch vollstem Verständnis für den Fremdling Platz, der ja nun wirklich nicht wissen konnte, welche geschlechterspezifischen Bocksprünge sich die deutsche Sprache erlaubt. „Der Nabel, die Gabel, das Kabel“! Da kann man doch wirklich nur noch mit den Ohren schlackern!

Das  Umherirren in dem undurchsichtigen Geschlechterdschungel führt irgendwann unweigerlich zu der Frage, ob wir uns all diese Irrungen und Wirrungen nicht grundsätzlich ersparen könnten. Die Engländer haben sich diese Frage offenbar auch irgendwann gestellt und sind zu dem Schluss gekommen, geschlechtsspezifische Artikel ganz abzuschaffen. Seitdem gibt es im Englischen nur noch den einheitlichen Luftbefeuchter „the“. Er schweigt sich vornehm über das Geschlecht aus und wird nur noch zur Unterscheidung vom unbestimmten Artikel „a“ benutzt.

Aufschlussreich ist auch die Beobachtung von Franzosen, Polen oder sonstigen Ausländern, wenn sie Deutsch reden. Sie lösen das Problem der geschlechterspezifischen Zuordnung oft auf ihre Art und sagen einfach immer „die“. Damit erzielen sie nämlich die höchste Trefferquote, denn „die“ deckt nicht nur den weiblichen Singular sondern auch noch den kompletten Plural ab. Da die Verständlichkeit darunter in keiner Weise leidet, kann die logische Schlussfolgerung nur lauten:

Weg mit dem Geschlechterwahnsinn und Einführung eines Einheitsartikels nach englischem Vorbild!

Denn da unsere geschlechtsspezifischen Artikel nur in Ausnahmefällen etwas Zutreffendes über das Geschlecht aussagen, stiften sie mehr Verwirrung als Nutzen, und zur Differenzierung zwischen bestimmt und unbestimmt käme man mit „die“ und „eine“ völlig aus. „Die Baum ist eine Gewächs.“ würde dann exakt das gleiche bedeuten wie jetzt: „Der Baum ist ein Gewächs.“ Auch an die Formulierung: „Die Mensch ist eine Säugetier.“ könnte man sich sicher rasch gewöhnen. Und die Franzosen würden uns um den Hals fallen!

Doch das Allerbeste an solch einer neuen Konvention wäre, dass der leidige Kampf der Geschlechter endlich ein Ende hätte. Endlich wäre „die Weib“ nicht mehr verbal zur Sache degradiert, sondern könnte sich vorbehaltlos zu „ihrer“ Weiblichkeit bekennen. „Die Mann“ müsste freilich ein wenig umlernen, was „ihr“ jedoch angesichts „ihrer“ überlegenen Intelligenz nicht schwer fallen sollte.


 

Hört, hört...

Mit den Fingern kann man „fingern“, mit der Nase riecht oder schnuppert man zwar meistens, doch hilft sie manchmal auch beim „Näseln“. Durch den  Mund kann man sich etwas „munden“ lassen, und mit den Augen kann man „äugen“.

Nach diesen Präliminarien würde jeder, der noch keine hinreichenden Erfahrungen mit der Launenhaftigkeit der deutschen Sprache hat sammeln können, erwarten, dass man mit den Ohren „öhren“ würde. Doch da müssen wohl mal wieder so ein paar Lausejungen am Werk gewesen sein, die der Sprache – als sie gerade nicht hinguckte – einfach zwei Buchstaben vertauscht haben, so dass aus „öhren“ „hören“ wurde.

Bei „fingern“ und „munden“ wäre so ein Schabernack sofort aufgefallen, denn „ifngern“ und  „umnden“ hätten jeden zu verdutztem Aufhorchen veranlasst, aber auch „gäuen“ und „änseln“ statt „äugen“ und „näseln“ wären trotz ihrer glatten Aussprache kaum unbemerkt durchgeschlüpft, so dass man besagte Lausejungen sicher rasch bei den Ohren gepackt und ihnen dieselben verdreht oder lang gezogen hätte. Bei „hören“ hat’s aber offenbar  keiner gemerkt, wahrscheinlich aus dem Grunde, dass es akustisch keinen bedeutenden Unterschied macht, ob das „h“ nun vor oder hinter dem „ö“ leise vor sich hin bläst. Immerhin hat die ganze Sache den Vorteil, dass man sich nach diesen Überlegungen leicht merken kann, dass „hören“ im Gegensatz zu „Möhren“, „Föhren“ oder „röhren“ kein „h“ mehr hinter dem „ö“ hat, weil es von da, wo es eigentlich hingehört hätte, eben durch den erwähnten Bubenstreich nach vorne gerückt ist.

Mit den Ohren kann man übrigens eine ganze Menge anfangen, Man kann „herhören“, „hinhören“, „zuhören“, „weghören“ oder sogar etwas „überhören“. Besonders aufmerksames Hören heißt „Horchen“. Eine ähnliche Bedeutung hat das Verb „lauschen“, wobei nicht ganz klar ist, was mehr Konzentration erfordert, das „Lauschen“ oder das „Horchen“. Beim Anhören von Musik kann man z.B. andächtig „lauschen“, wobei besonders schöne Stellen „aufhorchen“ lassen.  Beim Arzt wird man „abgehorcht“, woraus ich einmal schließe, dass „horchen“ unterm Strich das genaueste und sorgfältigste ist, denn sonst würde ich von meinem Arzt gefälligst erwarten, dass er mich „ablauscht“

Bei der Arbeit von Geheimdiensten scheint es nicht ganz so gründlich zuzugehen, denn die sind immer schon zufrieden, wenn sie durch „Abhöraffären“ von sich reden machen können, von „Abhorch-“ oder „Ablauschaffären“ habe ich jedenfalls noch nie gehört. Solche Dinge passieren ja auch sowieso nur in Amerika, und die Cowboys dort nehmen es mit der Sorgfalt nicht so genau. Wenn bei uns in Deutschland dagegen mal so etwas gemacht werden sollte, dann würden wir es mit deutscher Gründlichkeit nicht unter einem „großen Lauschangriff“ tun, der allenfalls noch durch eine „riesige Horchattacke“ zu überbieten wäre.

Abgesehen von den oben bereits erwähnten Nuancen sollten „hören“, „horchen“ und „lauschen“ eine sehr ähnliche Bedeutung haben. Im Großen und Ganzen trifft das auch zu, im Einzelfall kann man jedoch Überraschungen erleben. Da „abhorchen“ und „aufhorchen“ zwei Varianten horchender Tätigkeit bezeichnen, wird jeder, der sich noch einen Rest von Glauben an die Redlichkeit der Sprache bewahrt hat, vermuten, „abhören“ und „aufhören“ seien entsprechende Varianten des Hörens. Doch weit gefehlt! Im Gegensatz zu „aufhorchen“, das  genau das bedeutet, was man sich darunter vorstellt, hat die Sprache dem Wort „aufhören“ eine völlig andere und absolut wortfremde Bedeutung untergeschoben, nämlich die von „enden“ oder „Schluss machen“.

So eine hinterhältige Drecksau kann die Sprache manchmal sein. Ob sich so etwas gehört?!

 

Im Zahlendschungel

Neulich hörte ich zufällig anlässlich einer Unterhaltungsshow im Fernsehen den Moderator sagen: „Ich möchte gerne, dass ihr zu drei…äh… zu dritt daran teilnehmt.“ Dieser kleine harmlose Versprecher ließ mich aufhorchen und machte mir beim Nachdenken darüber zum wiederholten Male klar, was für ein hinterhältiges Luder die deutsche Sprache ist. Lässt sie doch kaum eine Gelegenheit aus, um ihren gutgläubigen Anwendern ein Bein zu stellen.

Was war passiert?  Nun, unser Moderator war wohl einen winzigen Moment unkonzentriert gewesen und in jene hinterhältige Stolperfalle getappt, die zwischen den Zahlen „zwei“ und „drei“ ausgelegt ist. Obwohl man von „zwei“ auf „drei“ zählt, folgt auf „zu zweit“ nicht etwa, wie man arglos vermuten sollte, „zu dreit“ sondern der sprachliche Hakenschlag „zu dritt“. Dies ist umso gemeiner, als es danach beim Weiterzählen auf vier, fünf, sechs ganz normal weitergeht. Wirkliche Normalität und Systematik findet sich übrigens erst im höheren Zahlenbereich etwa ab hundert, im Bereich niederer Zahlen herrscht teilweise Willkür und begriffliches Chaos.

Bleiben wir noch kurz bei dem Beispiel von vorhin. Wenn zwei Leute kommen, tun sie das „zu zweit“, ist es nur ein Einzelner, kommt er „allein“. Dies ist alles andere als einheitlich, denn wäre es so, müssten die beiden nicht „zu zweit“ sondern „allzwei“ kommen, und wenn’s mehr wären, kämen sie „alldrei“, „allvier“ usw. Sollten jetzt allerdings „die  zwei“ unbeugsam darauf bestehen, „zu zweit“ kommen zu wollen, könnten sie mit dem Einzelgänger verhandeln, um ihn zu sprachlicher Anpassung zu überreden. Sollte dieser zum Einlenken bereit sein, würde dies folgendermaßen aussehen: Da dem Zahlwort „zweit“ das Zahlwort „erst“ entspricht, müsste der Einzelne also „zu erst“ kommen.

Hier bekommen wir einen gelinden Schrecken und bemerken, dass da mit der Begriffsbildung etwas ganz massiv falsch gelaufen sein muss. Denn die Folge „zu erst“, „zu zweit“, „zu dritt“ ist in sich widersprüchlich. „Zu erst“ bzw. „zuerst“ bedeutet nämlich die erste Stelle in einer Reihen- oder Rangfolge, wogegen „zu zweit“ nichts mit einer Folge zu tun hat sondern lediglich auf eine Zweiergruppe hinweisen soll. Durch die unterschiedliche Schreibweise von „zuerst“ und zu zweit“ hat man wohl versucht, im Nachhinein einen solchen Unterschied zu konstruieren. Doch dieser Versuch kann kaum überzeugen sondern wirkt wie eine nachträgliche Flickschusterei an einer bereits im Ansatz verfehlten Begrifflichkeit. Die oben genannte Alternative „allein“, „allzwei“, „alldrei“ wäre zwar widerspruchsfrei und auch formal konsistent, hat aber den Nachteil, dass keiner drauf gekommen ist. Auch der viel versprechende Ansatz „einsam“, „zweisam“ gedieh nicht zur Reife, da bereits das Wort „dreisam“ dem Duden unbekannt ist, ganz zu schweigen von „zehnsam“. Durch Freiburg im Breisgau fließt ein Fluss namens „Dreisam“, aber das war’s dann auch!

Betrachten wir unser gängiges Dezimalzahlensystem einmal etwas näher. Dieses ist völlig logisch und konsequent, solange man sich auf die Darstellung mit Ziffern beschränkt. Die verbale Umsetzung jedoch krankt u. a. an dem Umstand, dass man sich noch an Reste des Zwölfersystems klammert, zu dem die Monate und wohl auch die zwölf Apostel Pate gestanden hatten. Während das Dezimalsystem mit der Tatsache ernst macht, dass wir nur zehn Finger zum Zählen haben und deshalb nach Erreichen der „Zehn“ das Zählen quasi wieder von vorn beginnt, ging die Sprache ihre eigenen bis eigensinnigen Wege.

Sie versuchte sich noch einige weitere Finger aus den Fingern zu saugen: „Elf, zwölf…???“ Tja, und da verließen sie ihn auch schon. Mit eingekniffenem Schwanz besann man sich aufs Rechnen: „3+10, 4+10, 5+10…“, also in Worten: „dreizehn, vierzehn, fünfzehn…“. Danach ging es dann zunächst glatt weiter bis zur nächsten Zehnerstation, wo man wiederum leicht ins Schleudern geriet. Denn darauf, dass man „20“ mit der Bezeichnung „zweizig“ hätte verbalisieren können, kam man nicht und kaprizierte sich auf „zwanzig“, was aber ähnlich merkwürdig klingt, als würde man statt „dreißig“ „dranzig“ sagen.

Apropos „dreißig“: Auch hier scheint man sich noch nicht zu einer klaren Linie durchgerungen zu haben. Sieht man nämlich, wie es weitergeht mit „vierzig, fünfzig, sechzig“, so versteht man nicht ganz, warum man dann nicht auch schon „dreizig“ statt „dreißig“ gesagt hat. Aber wen wundert es, schließlich ist das nicht die erste Extrawurst, die der Drei gebraten wurde! Siehe oben!

Überhaupt muss man den Wortschöpfern, die sich im Zahlenreich auslebten, ein gerüttelt Maß an Inkonsequenz vorwerfen. Vergleichen wir nur die beiden Bezeichnungen „dreizehn“ und „dreiundzwanzig“. Hat es einen tieferen Sinn, dass man einmal das Bindwort „und“ einfügt und einmal nicht? Ich jedenfalls kann keinen erkennen außer dem, mutwillig Verwirrung zu stiften. Verwirrung muss auch in den Köpfen derer geherrscht haben, die das antilogische Nebeneinander von „dreizehn“ und „dreihundert“ widerspruchslos tolerierten. Man mache sich einmal den ganzen mathematischen Unsinn klar, der darin steckt: Dreizehn bedeutet „drei plus zehn“, dreihundert bedeutet „drei mal hundert“. Da kann man sich doch nur an den Schädel fassen!

Möglicherweise ist die Entwicklung so gelaufen, dass die Viehhändler und Gewürzkrämer im niederen Zahlenbereich bereits ein für ihre Zwecke ausreichendes Vokabular zusammengestoppelt hatten, bevor die Wissenschaft Bedarf nach systematischer Erfassung der großen und ganz großen Zahlen anmeldete. Im Bereich der großen Zahlen kehrt dann in der Tat eine logisch einwandfreie Nomenklatur ein, wobei man nur bedauern kann, dass man versäumte, diese Logik auch auf den Bereich der niederen Zahlen zu übertragen. Dabei wäre das gar nicht so schwer gewesen.

Schauen wir uns einmal an, wie es aussehen könnte, wenn wir die „Über-Hundert-Logik“ auf die kleineren Zahlen anwenden würden. Zwischen eins und zehn könnte alles so bleiben, wie es ist. Doch so wie man nach hundert weiterzählt: „hunderteins, hundertzwei…“ müsste man entsprechend nach zehn weiterzählen: „zehneins, zehnzwei, zehndrei…“ Um Himmels willen nicht „dreizehn“, denn das gäbe später Ärger! Nach „zehnneun“ ginge es anstelle von „zwanzig“ weiter mit „zweizehn, zweizehneins, zweizehnzwei…“. Und so würden wir uns von einer Zehnerstation zur nächsten bewegen: „dreizehn (statt dreißig), vierzehn, fünfzehn…“.

Auch die größeren Zahlen würden von dieser neuen Bezeichnungsweise profitieren, denn sie bekämen endlich auch verbal die Logik, die ihren Ziffernfolgen bereits jetzt innewohnt. So hieße z,B, die Zahl „2354“ nicht mehr „zweitausenddreihundertvierundfünfzig“ sondern „zweitausenddreihundertfünfzehnvier“. Das scheint auf den ersten Blick keinen großen Unterschied zu machen, wird aber klarer, wenn wir die beiden Wörter mal etwas gliedern: „zweitausend-dreihundert-vier-und-fünfzig“ wäre in Ziffern übertragen: „2000+300+4(und)+50“, wobei erstens das überflüssige „und“ stört und zweitens die Reihenfolge der Zehner- und Einer-Stellen vertauscht erscheint. „Zweitausend-dreihundert-fünfzehn-vier“ würde sich bei der ziffernmäßigen Übertragung so darstellen: „2000+300+50+4“, was nichts weiter ist als die ausführliche Schreibung der abkürzenden Darstellung: „2354“!

Eine Reform unseres (verbalen) Zahlensystems im soeben beschriebenen Sinne ist längst überfällig und wäre sicher bei weitem keine so gewaltige Sache wie etwa die Umstellung von den Landeswährungen auf den Euro. Unverständlich im Grunde, warum dieses kleine „Reförmchen“ nicht längst passiert ist!

Ein schwerwiegendes Bedenken gegen eine derartige Umstellung könnte allerdings darin gesehen werden, dass z.B. ein Wort wie „fünfzehn“ plötzlich seine Bedeutung wechseln würde. Dies könnte heillose Verwirrung stiften, da man zumindest während einer Übergangszeit nicht mehr wüsste, ob mit „fünfzehn“ das alte 15 oder das neue 50 gemeint ist. Doch wie für fast alles, gibt es auch für dieses Problem eine Lösung. Man könnte es nämlich ganz einfach aus der Welt schaffen, indem man die „Zehn“ umbenennt, z.B. in „Zig“. Das wäre zwar nicht besonders poetisch, hätte aber den unschätzbaren Vorteil, dass man die bisherigen Bezeichnungen für die Vielfachen dieser Zahl beibehalten könnte. „Vierzig“ etwa hätte dann die logisch saubere Bedeutung „Vier mal zig“. Hier noch einmal eine kleine Übersicht über die möglichen Änderungen:

Zahl

alte Bezeichnung

neue Bezeichnung

10

zehn

zig

11

elf

zigeins

12

zwölf

zigzwei

13

dreizehn

zigdrei

20

zwanzig

zweizig

21

einundzwanzig

zweizigeins

30

dreißig

dreizig

40

vierzig

vierzig

50

fünfzig

fünfzig

60

sechzig

sexzig

„Sexzig“ ist kein unbedingtes Muss, erscheint aber sinnvoll, wenn man zuvor das Kapitel „Dax und Dachs“ gelesen hat. Ansonsten könnte man die neuen Bezeichnungen einführen, ohne dass es zu einem Konflikt mit den alten kommt. Denn Verwechslungsmöglichkeiten sind nicht mehr gegeben. So könnten die alten Bezeichnungen noch längere Zeit neben den neuen verwendet werden, bis sie allmählich in Vergessenheit geraten. So etwas nennt man „evolutionäre Sprachreform“!

Als ich soeben noch einmal den Anfang dieses Kapitels überlas, kam mir die Frage, warum sich der Moderator überhaupt verbessern musste. Hätte er seinen Satz nicht einfach so zu Ende bringen können: „Ich möchte gerne, dass ihr zu drei daran teilnehmt.“? Was soll daran eigentlich falsch sein? Schließlich kann man doch auch sagen: „Sie kamen zu vierzig.“ Ohne „t“ am Ende oder sonstigen Schnickschnack! Warum also nicht auch schlicht: „Sie kamen zu drei.“?! Der Duden akzeptiert diese Ausdrucksweise nicht, lässt aber immerhin neben „zu dritt“ auch noch die Formulierung „zu dreien“ zu. Aber was soll nun wieder diese Narretei?! Wenn man nämlich „zu dreien“ sagt, müsste man mit einem Hauch von Konsequenz auch „zu vierzigen“ sagen oder „zu hunderten“. Letzteres sagt man auch, aber nur wenn von mehreren hundert die Rede ist.

Wir sehen wieder einmal, dass die Sprache mit Vorliebe nach dem Motto verfährt: „Warum einfach und klar, wenn es auch kompliziert und konfus geht?“!


 

Auf und zu und auf und ab

- Ach Liebling, könntest du bitte mal das Fenster aufmachen, mir ist so heiß?!

- Dein Wunsch ist mir Befehl. ….Moment … so jetzt ist das Fenster auf.

- Ja danke, aber es heißt nicht „auf“ sondern „offen“. Das Fenster ist „offen“.

- Schatz, du irrst: „offen“ wäre es nur, wenn ich das Fenster „geöffnet“ oder „offen gemacht“ hätte, aber du hast doch selbst gesagt, ich soll es „aufmachen“. Das habe ich getan, und deshalb ist es jetzt „auf“!

Stimmt, denn ebenso wie eine Tür „zu“ und ein Ofen „aus“ sein kann, steht dem Fenster das Recht zu, „auf“ zu sein. „Offen“ klingt allerdings noch einen Hauch korrekter und hat außerdem den Vorteil, ein echtes Adjektiv zu sein, so dass man von „offenen“ Fenstern reden kann. „Aufe“ Fenster dagegen gehören nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch, was sich jedoch mittelfristig ändern könnte. Jedenfalls betont meine Frau immer wieder gerne, sie könne nur bei „aufem“ Fenster schlafen, und obwohl sie genau weiß, dass es falsch ist, stört sie das wenig.

Anders als „auf“ könnte allerdings „zu“ bereits kurz vor seiner offiziellen Anerkennung als vollwertiges Adjektiv stehen, denn wie oft hört man jemanden klagen, er habe vor einer „zuen“ Tür gestanden, und wie oft sieht man Leute mit „zuen“ Augen durch die Welt laufen! Sollte sich die hier aufkommende Strömung verstärken, könnte man vielleicht bald auch von „außen“ Spielen, „annen“ Lampen oder „durchen“ Steaks  reden.

Apropos Lampen! Diese kann man „einschalten“ und „ausschalten“. Macht man Letzteres, ist das Licht als Folge davon „aus“. Nach dem Einschalten dagegen ist es nicht – wie der logische Verstand erwarten würde -  „ein“ sondern  „an“. Dies ist völlig unlogisch, da wir das Licht ja „ein-“ und nicht „angeschaltet“ hatten, obwohl wir auch das hätten tun können. Nur sollten wir es dann anschließend nicht „aus-“ sondern „abschalten“, weil das Gegenteil von „an“ „ab“ heißt, während „aus“3 das Gegenteil von „ein“ ist. Nach dem Abschalten sollte das Licht dann sprachlich konsequent „ab“ sein, aber so habe ich noch nie jemanden reden hören. Dafür kann man das Licht nicht nur „anschalten“ sondern auch „anmachen“. Aber „abmachen“ kann es wohl nicht, ebenso wie man es zwar „ausmachen“ aber nicht „einmachen“ kann.

„Ach, ich bin völlig abgespannt“, hörte ich kürzlich einen Bekannten jammern. „Ich muss unbedingt mal abschalten, ausspannen, Urlaub machen.“ So sehr ich das mitfühlend nachvollziehen konnte, so wenig konnte ich es mir verkneifen, diese Formulierungen einmal auf der Zunge zergehen zu lassen. Dabei drängte sich mir die Frage auf, wieso eigentlich jemand, der bereits „abgespannt“ ist, zusätzlich auch noch „ausspannen“ will. Das klingt ziemlich doppelt genäht.

Wie bereits erwähnt, ist „ein“ das Gegenteil von „aus“ Bei guten Bekannten geht man deshalb mit glasklarer sprachlicher Folgerichtigkeit  „ein und aus“.  Aber wo bleibt die Logik in folgendem Falle?! Wenn jemand ein Haus verlässt, kann man sagen: “Er kommt aus dem Haus.“ Geht er wieder zurück, heißt es jetzt aber nicht erwartungsgemäß: „Er geht ein das Haus.“ sondern: „Er geht in das Haus.“ Wieso wird da plötzlich ein Buchstabe weggelassen, und warum macht man es im Falle des Herauskommens nicht genau so und sagt: „Er kommt us dem Haus.“? Doch damit noch nicht genug der Inkonsequenz! Beim Herauskommen kann man auch ausführlicher sagen: „Er kommt aus dem Haus heraus.“ Doch anstatt das Hineingehen jetzt mit ähnlichem Gleichklang durch „Er geht in das Haus hinin.“ auszudrücken, heißt es jetzt wieder „…hinein“.

Man beachte übrigens die feinsinnige sprachliche Differenzierung zwischen „her“ und „hin“. Hierdurch wird die Richtung einer Bewegung relativ zum Sprecher gekennzeichnet. „Hin“ bedeutet vom Sprecher weg, „her“ bedeutet auf ihn zu. Befinden wir uns zum Beispiel in einem Raum, an dessen Tür von außen geklopft wird, so sagen wir „Herein!“, weil wir wünschen, dass sich der Anklopfende durch seinen Eintritt auf uns zu bewegt. Wenn sich der Gast anschließend danebenbenimmt, können wir von unserem Hausrecht Gebrauch machen und ihn bitten, das Haus zu verlassen. Falls er dieser freundlichen Aufforderung nicht Folge leistet und zu randalieren anfängt, werden wir nicht umhin kommen, unserer Bitte ein wenig mehr Nachdruck zu verleihen, z.B. durch ein kräftiges „Raus!“.

Fast jeder würde sich in einer entsprechenden Situation dieser Vokabel bedienen, ohne sich klar zu machen, dass er damit eigentlich einen  krassen sprachlichen Fehler begeht. Denn „raus“ ist schließlich nichts anderes als eine verkürzte Form von „heraus“ und dem wohnt eine Bewegungsrichtung auf den Sprecher zu inne, was aber genau das Gegenteil von dem wäre, was erreicht werden soll. Absichtskonform müsste es heißen: „Hinaus!“ oder  in verkürzter Form: „Naus!“

Trotzdem hat kaum jemand Hemmungen zu sagen: „Ich geh mal ein bisschen raus an die frische Luft“, wenn er in Wahrheit „hinaus“ zu gehen gedenkt. „Raus“ kann man eigentlich überhaupt nicht „gehen“ sondern nur „kommen“. „Schmitz komm raus!“ ist korrekt, weil diese Aufforderung vom Publikum ausgeht, das ja bereits draußen ist. „Schmitz  geh raus!“ als Aufforderung eines Lehrers an einen aufmüpfigen Schüler gerichtet wäre jedoch Unsinn, da letzterer den Befehl wörtlich allenfalls ausführen könnte, indem er aus der Haut fährt.

Aus der Haut fahren könnte man auch anlässlich gewisser Formulierungsprobleme, vor die man sich manchmal gestellt sieht. Angenommen meine Frau ruft morgens aus dem Badezimmer: „Schatz, bist du schon auf?“ Wie soll ich ihr jetzt mitteilen, dass dies noch nicht zutrifft? Soll ich etwa sagen: „Nein, ich bin noch  zu.“ oder besser: „Nein, ich bin noch ab.“?  „Ab“ und „zu“ sind nämlich die einzigen Gegensätze zu „auf“, die mir spontan einfallen. Aber da ich weder „zu“(-gedröhnt) noch „ab“(-gekämpft) bin sondern bereits ausgeschlafen habe und mich frisch und munter fühle, kann ich sie nicht benutzen, ohne etwas ganz anders zu sagen als ich meine. Doch halt, jetzt hab ich’s: „Nein, ich bin noch nieder.“ muss ich sagen. Das passt!

Aber wenn ich’s genau überlege, beschleichen mich Zweifel, ob’s wirklich passt. Denn erstens habe ich die Formulierung: „Ich bin nieder“ noch nie gehört, zweitens höre ich im Geiste schon meine Frau aus dem Badezimmer rufen: „Schatz, bist du noch nieder?“, worauf ich dann im Verneinungsfalle sprachlich gewissenhaft antworten müsste: „Nein, ich bin schon ober.“, weil bekanntlich das Gegenstück zum „Niederrhein“ der „Oberrhein“ ist. Ich könnte aber auch an das „Nieder- und Hochwild“ denken und sagen: „Nein ich bin schon hoch.“

Doch bevor mir jetzt der Hut hochgeht, hör und steh ich lieber auf!

 

Alles in Obi

Die Baumarktkette „Obi“ dürfte inzwischen jeder kennen. Schließlich ist sie mit über 340 Filialen die „Nummer eins“ in Deutschland. Die Zentrale von Obi hat ihren Sitz in meiner Heimatstadt Wermelskirchen und der Firmengründer Manfred Maus ist inzwischen Ehrenbürger dieser Stadt. Da das  Werbemaskottchen von Obi der Biber ist, gibt es in Wermelskirchen mittlerweile  auch einen „Biberweg“, an dem wiederum eine der größten Obi-Filialen angesiedelt ist. Der Firmenname „Obi“ ist übrigens im Gegensatz zu „Aldi“ oder „Edeka“ keine Abkürzung, wie man leicht vermuten könnte, sondern geht auf die (h-freie!) französische Aussprache des Wortes „Hobby“ zurück. Der Name Obi wurde von Manfred Maus einem französischen Unternehmen abgekauft, das unter dieser Bezeichnung einen Baumarkt eröffnet hatte.

Nähert man sich auf dem Biberweg dem Wermelskirchener  Obi-Markt, wird man auf großen Tafeln mit den Worten begrüßt: „Willkommen am Mehr“. Keine ungeschickte Werbung, dieses kleine Wortspiel! Man erfährt nicht nur, dass es „in Obi“ mehr gibt als anderswo, man soll wohl auch unterschwellig an „Meer“ und Urlaub denken. Dass es die Werbefachleute von Obi mit der Korrektheit der deutschen Sprache nicht so ganz genau nehmen, ist sicher kein Unvermögen sondern raffinierte Absicht.

Natürlich weiß jeder, dass der Werbeslogan „Alles in Obi“ sprachlich nicht ganz koscher ist. Korrektes Deutsch wäre wohl eher: „Alles bei Obi“. Oder muss es vielleicht doch heißen „Alles im Obi“? Wir kommen darauf gleich noch zurück und begnügen uns vorerst damit, dass „in“ auf alle Fälle falsch ist. „In“ kann man sagen bei Städten und Ländern: „Alles in Hamburg“ oder „Alles in Deutschland“, aber „Alles in Obi“? Das klingt ja so, als wäre Obi eine Stadt. Aber vielleicht ist diese Assoziation auch gerade beabsichtigt. Genau wie die Assoziation: „Alles in Butter“ oder „Alles in Ordnung“. Hinzu kommt noch eine modern wirkende Anlehnung an englische Muster wie „All in one“.

Wir sehen also, dass hinter der unscheinbaren scheinbaren Sprachschlamperei in Wahrheit ein gehöriges Maß an werbetechnischer Raffinesse steckt. Ärger könnte es allerdings geben, wenn mal jemand auf den Gedanken käme, den Slogan „Alles in Obi“ wörtlich zu nehmen. Ich sehe schon im Geiste das verdutzte Gesicht der Verkäuferin vor mir, die  mit der Bitte konfrontiert wird: „Ich hätte gern ein Kilogramm Hackfleisch.“ Dabei wäre eine solche Bitte im Sinne der Werbung „Alles in Obi“ völlig legitim. Oder sollte „alles“ vielleicht doch nicht „alles“ bedeuten sondern nur „vieles“?!

Wie wäre es also, wenn man einfach bei der Wahrheit bliebe und sagte „Vieles in Obi“? Dann wäre zwar nicht mehr „alles“ sondern nur noch „vieles“ in Butter, aber man fühlte sich wenigstens nicht mehr für dumm verkauft.

Doch wir hatten bereits angekündigt, der Frage nachgehen zu wollen, ob man „bei Obi“ oder „im Obi“ oder vielleicht sogar „beim Obi“ alles für den Heimwerkerbedarf kaufen kann. Aus kompetenten sprachpflegerischen Kreisen verlautet, „bei“ werde verwendet, wenn von  Personen oder auch  Einrichtungen die Rede ist, die einen Eigennahmen haben, also z.B. „bei Rudi“ oder „bei Deichmann“. „Beim“ heiße es, wenn Berufsvertreter oder Institutionen angesprochen sind: „beim Rechtsanwalt“, „beim Amtsgericht“, „beim Einzelhändler“. „Im“ dagegen werde für Örtlichkeiten verwendet, also: „im  Bahnhof“, „im Laden“ oder „im Supermarkt“.

Vorhin hatten wir spontan vermutet, es müsse „bei Obi“ heißen, doch da „Obi“ nicht wirklich ein Eigenname wie „Rudi“ ist, werden wir unsicher. Eigentlich wollen wir ja, wenn wir zu(m) Obi gehen, „beim Baustoffhändler“ einkaufen, mit anderen Worten also „beim Obi“. Aber bei(m) Obi geht es kaum anders zu als „im Supermarkt“, und warum sollten wir dann nicht auch „im Obi“ kaufen können?! Wie man sieht, ist das eine so falsch oder richtig wie das andere. Doch wenn dem so ist, können wir auch gleich der Werbung folgen und „alles in Obi“ kaufen.

Weiter ist noch unklar, ob wir sprachlich korrekt „zu Obi“, „zum Obi“ oder „nach Obi“ gehen. Wir könnten natürlich auch noch „in Obi“ gehen, aber so tief sind wir sprachlich denn doch noch nicht gesunken! Aus dem Lager der Sprachexperten erfahren wir, dass „zu“ bei namentlich benannten Personen benutzt wird, „nach“ bei (geografischen) Orten und „zum“ in verschiedenen anderen Fällen, die im Einzelnen spezifiziert werden müssten: „ zum Bahnhof, zum Himalaja, zum Kuckuck“

Bei Lidl ist der Fall sonnenklar, denn „Lidl“ ist ein echter Eigenname, dessen Nutzungsrecht seinerzeit der Firmengründer Dieter Schwarz dem pensionierten Berufsschullehrer Ludwig Lidl für 1.000 DM abkaufte. Er wollte nämlich nicht gerne „Schwarz-Markt“ über die Ladentür schreiben, vielleicht weil er sonst Ärger mit dem Finanzamt befürchtete. Da Lidl also ein Eigenname ist, muss man der Standardgrammatik zufolge ganz klar „zu Lidl“ gehen, auch wenn das manche nicht davon abhält, „zum“ Lidl zu gehen. Der Gelsenkirchener würde vielleicht nicht einmal Hemmungen haben, „auf Lidl“ zu gehen, da er ja auch „auf Schalke“ geht.

In anderen Fällen wird es schwieriger. Ähnlich wie man „zum Bahnhof“ geht, wird man „zum Kaufhof“ und nicht „zu Kaufhof“ gehen wollen. Wer aber gerade vom Kaufhof kommt, macht sich nur mühsam klar, dass er sprachlich korrekt nicht „zum Karstadt“ sondern „zu Karstadt“ gehen muss, da dies ein Eigenname ist. Ganz vertrackt wird es bei „Edeka“. Dieser Name ist nämlich hervorgegangen aus der Abkürzung „E.d.K.“, die ursprünglich für „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“ steht. Wegen des weiblichen Geschlechts der Einkaufsgenossenschaft müsste man also eigentlich „zur Edeka“ gehen, ähnlich wie man „zur AOK“, „zur BEK“ oder „zur Debeka“ geht. Nur habe ich noch nie jemanden sagen hören, er gehe „zur Edeka“, alle Welt geht entweder „zu Edeka“ oder „zum Edeka“.

Auch bei „Obi“ haben wir Probleme.  Zwar scheidet die Möglichkeit, „nach Obi“ zu gehen, weitgehend aus, da man Obi kaum als geografischen Ort ansehen kann. Doch da „Obi“ so ähnlich klingt wie „Omi“, sind wir zunächst geneigt, „zu Obi“ zu gehen genau wie wir „zu Omi“ gehen. Doch im Unterschied zu „Omi“ steckt hinter „Obi“ keine Person sondern ein sprachliches Kondensat aus „Hobby-Markt“. Und da man sicher nicht „zu“ sondern „zum“ Hobby-Markt geht, sollten wir wohl  besser auch „zum Obi“ gehen.

Nachdem wir das jetzt so schön geklärt haben, wollen wir uns noch einmal daran erinnern, wie weise der Gebrauch von „zu“ und „nach“ in der deutschen Grammatik geregelt ist: „zu“ bei Personen, „nach“ bei Orten. Wir gehen „zu Ilona“ aber „nach Deppendorf“. Und damit können wir getrost nach Hause gehen.

Moment mal! Wohin gehen wir? Nach Hause? Ja, wo liegt denn „Hause“? Etwa in der Nähe von Deppendorf?  - Quatsch! Wir wollten nur zu unserem eigenen Hause gehen. Aha, also nicht „nach“ unserem Hause sondern „zu“ unserem Hause, oder?! Ja, und warum sagen wir dann nicht „Wir gehen zu Hause“ oder „Wir gehen zum Hause“ sondern „Wir gehen nach Hause“? Ich glaube, wir sollten mal nach hinten gehen und das in aller Ruhe überdenken!

Wir können aber auch erst mal zu Betty gehen, um noch einen zu trinken, und anschließend zu Bett.

Doch halt, wer ist „Bett“? Der Bruder von Betty?

Ich hatte doch richtig verstanden: „zu“ heißt es bei Personen?! Also muss ich wohl schließen, dass „Bett“ eine Person ist, denn wenn es ein Ort wäre, müsste ich „nach Bett“ gehen. Auch wenn ich „zu Tisch“ gehe, erhebt sich die Frage, wen ich da besuche.

Nun ja, höre ich nachsichtiges Raunen aus dem Kreise der Sprachexperten, hier handele es sich um idiomatische Sonderfälle, die nicht der allgemeinen Regel unterzuordnen seien. „Zu Bett gehen“ und „zu Tisch gehen“ seien einfach andersartige Ausdrucksweisen für „schlafen gehen“ und „essen gehen“. Nachdem ich mich gefragt habe, warum es nicht auch „zu Schrank gehen“ heißt, leuchtet mir ein, dass im Unterschied zum Schrank das Bett und der Tisch  hier wohl symbolisch die menschlichen Grundbedürfnisse Essen und Schlafen vertreten, so dass eine sprachliche Sonderbehandlung durchaus gerechtfertigt erscheint.

Wer vom Essen spricht, sollte dessen Kehrseite nicht übersehen. So wie man „zu Tisch“ geht, sollte man zur Befriedigung jenes anderen Bedürfnisses „zu Klo“ gehen. Sollte man jedenfalls erwarten, wenn man von der sprachlichen Gleichbehandlung der menschlichen Grundbedürfnisse ausgeht. Irrtum! Man kann zwar „zu Potte kommen“, nicht aber „zu Klo gehen“. Man geht „zum Klo“ oder ersatzweise „aufs Klo“, so wie man „aufs Töpfchen“ geht. Hier scheint mir eine leichte Diffamierung dieses Lebensbereichs vorzuliegen, indem man ihn nicht nur aufs „stille Örtchen“ verbannt sondern auch sprachlich ausgrenzt. Vor allem wenn man bedenkt, dass man sogar „zu Bruch“, „zu Boden“ und „zu Grunde“ gehen kann.

Der gute Christ geht zwar nicht „zu Kirche“, wohl aber „zur Kirche“, und der brave Schüler geht entsprechend „zur Schule“. Beide gehen manchmal vielleicht auch „ins Kino“ oder „ins Theater“. Sie könnten zwar auch „zum Kino“ oder „zum Theater“ gehen, doch ist diese Ausdrucksweise eher unüblich. Woher kommt diese sprachliche Differenzierung etwa zwischen Kirche und Kino? Es kostete mich ein wenig Überlegung, bis ich einen Grund fand, der mir plausibel erschien. Könnte es wohl damit zusammenhängen, dass man ins Kino oder ins Theater gern hineingeht, während dies bei Kirche und Schule nicht immer uneingeschränkt der Fall ist?!

Denken wir einmal an die Zeit zurück, da die Rolle der Frau sich noch vorwiegend auf die der treusorgenden Hausfrau und Mutter beschränkte. Da wird es dann oft so gewesen sein, dass die Hausfrau sich um den Sonntagsbraten kümmern musste, während dem Ehemann die alleinige Wahrnehmung der sonntäglichen Christenpflicht verblieb. Er könnte sich dann mit den Worten verabschiedet haben: „Ich gehe jetzt zur Kirche“. Warum sagte er nicht „Ich gehe in die Kirche“, obwohl dies genau so gut möglich gewesen wäre? Sicher nicht in allen, wohl aber in einigen Fällen, könnte man hier einen raffinierten sprachlichen Trick vermuten, nämlich dann, wenn der Mann gar nicht die Absicht hatte, in die Kirche zu gehen sondern an ihr vorbei, um sich drei Straßen weiter im Bordell zu vergnügen. Durch die Ankündigung, „zur Kirche“ zu gehen, vermied er es auf elegante Weise, sich zusätzlich zur Sünde der Wollust auch noch die Bürde der Lüge aufzuladen. Denn er war ja wirklich „zur“ Kirche gegangen. Gelogen hätte er nur, wenn er gesagt hätte, er wolle „in die“ Kirche gehen. Ebenso wird der gewiefte Schüler – falls er nicht gerade ein Streber ist – sich hüten zu sagen: „Ich gehe in die Schule“, sondern er wird sich alle Optionen offen halten, indem er nur den Gang „zur Schule“ ankündigt. Bei der Schule angelangt kann er dann immer noch entscheiden, ob er nun hineingeht oder seine Zeit mit angenehmeren Dingen verbringt. Letzteres kann er sogar mit fast reinem Gewissen tun, da er jedenfalls nicht gelogen hat.

Nach diesen Überlegungen fühle ich mich gar nicht mehr so ganz wohl, wenn ich meiner Frau sage: „Ich gehe mal kurz zum Obi“. Denn ich spüre die Nähe zu den Formulierungen der scheinheiligen Bordellbesucher und Schulschwänzer. Ich muss geradezu befürchten, dass meine Frau den Verdacht schöpft, ich wolle nur „zum Obi“ gehen, um dann vor der Tür  umzudrehen und meine heimliche Geliebte aufzusuchen. Um solch potentiellen Verdacht zu vermeiden, müsste ich Nägel mit Köpfen machen und sagen: „Ich gehe in den Obi“, oder salopp: „Ich geh innen Obi“. Dann könnte ich nicht mehr zurück ohne zu lügen.

Wenn wir jetzt schon sprachlich so weit gesunken sind, „in den Obi“ zu gehen, kommt mir der fürchterliche Verdacht, ob man nicht sogar „auf den Obi“ gehen könnte. Denn geht man nicht auch „auf den Markt“ und „auf den Flohmarkt“?! Aber wenn man „auf den“ Floh-, Fisch-, Kram- oder Weihnachtsmarkt geht, warum soll man dann nicht auch „auf den“ Baumarkt, „auf den“ Hobby-Markt und letztlich auch „auf den“ Obi gehen?

 „Kommste noch mit aufn Obi?“

 

Altgriechische Schlacken

Wenn ich während meiner früheren Tätigkeit als Musiklehrer im fünften Schuljahr den Begriff „Rhythmus“ einzuführen hatte, gönnte ich mir und der Klasse stets das Vergnügen, dieses eigenartige Wort in Unkenntnis der richtigen Schreibweise von verschiedenen Schülern an die eTafel schreiben zu lassen. Oft kam es dann vor, dass nach zehn Minuten eine ganze Reihe falscher Schreibungen an der Tafel prangte, wie zum Beispiel: „Rütmus, Rüttmus, Rüttmuß, Rütmuss, Rytmus, Ryttmus, Rytmuß“ und oft  noch etliche andere; ich glaube mich an einen Rekord von zwölf misslungenen Orthografievorschlägen zu erinnern. Früher oder später schrieb aber auch ein ganz Schlauer einmal „Rhytmus“, und wenn ich dann zugab: „Fast richtig!“, meldete sich sofort ein anderer Schüler, dem ein Aha-Erlebnis förmlich aus den Augen leuchtete, und schrieb „Rythmus“, weil er messerscharf geschlossen hatte, man müsse nur noch das „h“ an die richtige Stelle rücken, um orthografische Makellosigkeit herzustellen. Als ich dann aber selbst das nicht als korrekt durchgehen ließ, war die Klasse in der Regel mit ihren Ideen am Ende, denn auf die Wahnsinnsidee, das Wort mit zwei „h“ zu schreiben, kam nur ganz selten jemand.

In der Tat muss einmal die Frage erlaubt sein, was denn an den beiden „h“ so wichtig sei, dass man auf sie nicht verzichten könne. An der Aussprache würde sich nichts ändern, wenn man sie einfach wegließe und „Rytmus“ schriebe, und als Hinweis auf den griechischen Ursprung des Wortes sollte eigentlich das „y“ vollauf genügen. In Italien wird übrigens auf den griechischen Ursprung gepfiffen, indem man dort schlicht und ergreifend „ritmo“ schreibt. Dagegen suhlen sich die Engländer ähnlich wie die Deutschen in graecophiler Nostalgie und schreiben „rhythm“. Obwohl die englische Aussprache kaum besonders ursprungsgetreu sein dürfte, ist das Englische näher am griechischen Original als das Deutsche.  Zwar verkürzen die Engländer das Originalwort „ρυθμός“ brutal um die beiden letzten Buchstaben, aber sie verfälschen wenigstens nichts, so wie es die Deutschen tun, wenn sie aus dem griechischen Buchstaben „ό (Omikron)“  ein „u“ machen. Man mache sich einmal klar, welche Schizophrenie darin liegt, dass man  einerseits auf einer (vermeintlich) korrekten Transkription der griechischen Buchstaben herumreitet, sich andererseits aber nicht scheut, aus dem original griechischen „Rhythmos“ ein Wort zu machen, dessen Endung eher einen lateinischen Ursprung vorgaukelt.

Im Griechischen ist der erste Buchstabe von „Rhythmos“ ein  „ρ (rho)“. Warum zu dessen lautmäßiger Wiedergabe in unserer Schrift nicht ein schlichtes „r“ genügt, habe ich nie ganz verstanden, es sei denn, eine korrekte Aussprache erfordere, dass man dem „r“ noch ein schwindsüchtiges „h“ hinterher röchelt. In der phonetischen Praxis habe ich jedoch eher den Eindruck gewonnen, das „h“ werde artikulatorisch weitgehend ignoriert. Die Franzosen gehen demzufolge auch recht locker mit dem „rho-h“ um, indem sie es in „rythme“ einfach weglassen. Man beachte allerdings das anscheinend auch in Frankreich heilige „h“ nach dem „t“.

Offenbar ist das dem „r“ nachfolgende „h“ keineswegs so unverzichtbar, wie es uns einige „rheumatische Rhetoriker“ suggerieren. Wo haben es z. B. die „Anthropologen“ fallen gelassen? In der „Anthropologie“ steckt schließlich das altgriechische Wort für Mensch: „νθρωπος“. Nach dem „θ“, das mit „th“ umschrieben wird, folgt ein „ρ“, das bei „Rhythmus“ als „rh“ grafisch manifest wird. Doch wo bitteschön bleibt dieses „rh“ in der folgendermaßen korrekt geschriebenen „Anthropologie“? Ginge man konsequent zu Werke, müsste es nämlich „Anthrhopologie“ (mit zwei „h“!) heißen, was nun freilich dermaßen blöd aussieht, dass man wohl aus diesem Grunde hier einmal „Fünfe gerade sein“ ließ und das zweite „h“ einfach schlabberte.

Allerdings fragt man sich jetzt: Wenn man das „h“ einmal schlabbern kann, warum kann man es dann nicht immer schlabbern? Warum beharrt man beispielsweise auf orthografischen Ungetümen wie „Diphthong“ oder „Diphtherie“? Würde man „Diftong“ und „Difterie“ akzeptieren, wären alle Probleme aus der Welt. So aber muss jeder, der diese Wörter nicht täglich im Munde führt, erst im Duden nachschlagen, um sich über die korrekte Schreibweise zu informieren. Denn bei nüchternem Verstand kommt ein normaler Mensch allenfalls auf  „Diphterie“, doch um selbständig auf „Diphtherie“ zu kommen, muss man schon fast einen in der Krone haben!

Wie war das noch gleich? Heißt es „Atleth“ oder „Athlet“ oder gar „Athleth“. Natürlich kann man sich die richtige Schreibweise leicht einprägen, indem man sich vor Augen führt, dass „Athletik“ nichts mit „Ethik“ zu tun hat. Doch solche Eselsbrücken könnte man sich sparen, wenn man das altgriechische „Schlacken-h“ endlich einmal dahin befördern würde, wo es hingehört, nämlich in den Mülleimer der Sprachgeschichte. Dann könnte man sich das ewige Theater sparen, jedesmal bei dem Wort „Theater“ überlegen zu müssen, ob dieses dusselige „h“ hinter das erste oder hinter das zweite „t“ gehört, also ob es nun „Theater“ oder Teather“ heißt.

Ein regelmäßiger Theaterbesucher, dem das soeben tangierte Rechtschreibproblem zu simpel erschien, möge sich kurz der Frage stellen, ob es korrekt „Alphabet“ oder „Alphabeth“ heißt, um vielleicht ein wenig nachvollziehen zu können, dass es einem ausgewachsenen Mensch ziemlich auf die Nerven gehen kann, ständig mit solch läppischen Orthografieproblemen konfrontiert zu werden.

Im Unterschied zu dem „h“ nach dem „r“, das in Einzelfällen locker gehandhabt wird, ist das ebenso entbehrliche „h“ nach dem „t“ offenbar so etwas wie eine „heilige Kuh“, die nicht angetastet werden darf. Ob sich hierin der Einfluss der Theologie zeigt, die befürchten könnte, durch Wegfall des „h“ zur „Teologie“ zu verflachen, bleibe dahingestellt. Tatsache bleibt jedenfalls, dass die feine Unterscheidung zwischen den griechischen Buchstaben „θ (theta)“ und „τ (tau)“, die für uns Heutige völlig gleich klingen, uns die lästige Hinterlassenschaft beschert hat, immer wieder neu überlegen zu müssen, ob hinter dem „t“ ein „h“ kommt oder nicht.

In krassem Gegensatz zu der konsequenten Behandlung des „theta“, das unnachgiebig und beinhart stets mit „th“ umschrieben wird, steht der geradezu chaotische Umgang mit dem griechischen Buchstaben „φ (phi)“, der uns z. B. in dem schönen Wort „Philologie“ begegnet. Wie der Philosoph nach seiner griechischen Wortbedeutung ein „Freund der Weisheit“ ist, so ist der Philologe ein „Freund des Logos“, im weiteren Sinne also ein „Freund der Vernunft (oder auch der Wissenschaft)“ bzw. im engeren Sinne ein „Freund des Wortes“, also ein Sprachkundler. Wenn man sich andererseits daran erinnert, dass „Biologie“ mit „Lebenskunde“ übersetzt werden kann, liegt der ulkige Gedanke nahe, man könnte „Philologie“ vielleicht auch als „Phi-Kunde“ verdeutschen. Doch Ulk beiseite! So viel steht jedenfalls fest: Seit sich die „Phi-lologen“ des Buchstabens „phi“ angenommen haben, hat sich die Orthografie des „phi“ zu einem geradezu labyrinthischen Spezialgebiet entwickelt, für das ich einmal den Namen „Philografie“ vorschlagen möchte.

Worum es geht, lässt sich bereits an der verbalen Neuschöpfung „Philografie“ sehr schön verdeutlichen. In diesem Begriff steckt nämlich neben dem Buchstaben „φ“  das griechische Wort „γράφειν“ (schreiben), in dem ebenfalls der Buchstabe „φ“ vorkommt. Während wir nun das erste „φ“ mit „ph“ übersetzten, schrieben wir für das zweite „φ“ ein schlichtes „f“. Wer sich über solch hanebüchene Inkonsequenz  wundert, sei dahingehend belehrt, dass wir uns lediglich dem heute allgemein üblichen Umgang mit dem Buchstaben „φ“, also der heute üblichen „Philografie“ angepasst haben.

Nach welchen Kriterien heutzutage nämlich das „φ“ mal als „ph“, mal als „f“ geschrieben wird, bleibt im Dunkeln. Auch hat man sich nicht zu einer orthografischen „Scheißegal“-Regelung durchringen können, die es dem Geschmack des Einzelnen überlässt, ob er lieber „f“ oder „ph“ schreibt. Stattdessen hat man die bereits erwähnte „Philografie“ geschaffen, die fein säuberlich zwischen Fällen unterscheidet, in denen es „ph“ heißen muss, Fällen in denen es „f“ heißen muss, und solchen, bei denen beides möglich ist. Bei letzteren wird dann noch unterschieden zwischen stan­dard­sprachlicher Vorzugsform und zulässiger Alternative.

Die bereits erwähnten Philosophen und Philologen beharren weiterhin halsstarrig auf ihrer konventionellen Schreibweise mit „ph“ und würden jeden steinigen, der es wagte, sie modernistisch als „Filosofen“ oder „Filologen“ zu verunglimpfen. Ins gleiche Horn blasen die Philatelisten, Philharmoniker und Philanthropen. Ein wenig philanthropischer bzw. toleranter geben sich dagegen die Photonen und die Phonometriker, die sich durchaus auch ein Leben als „Fotonen“ und „Fonometriker“ vorstellen könnten. Die „Fotos“ halten die „Photonen“ sogar schon für leicht zurückgeblieben, da sie für sich selbst die Bezeichnung „Photos“ längst als veraltet empfinden. Auch die „Fotografen“ werden nur noch ungern an ihre „photographische“ Vergangenheit erinnert.

Ganz krass wird es dann beim Telefon. Während beim Telegrafen immerhin die konventionelle Schreibung „Telegraph“ noch toleriert wird, ist das „Telephon“ neuerdings ein Rechtschreibfehler, den meine Rechschreibprüfung auch brav rot unterschlängelt. Tröstlicherweise ist das Wort „Telephon“ immerhin noch im Duden zu finden, wenn auch nur noch mit der Erläuterung „veraltete Schreibweise für Telefon“. Fragt sich jetzt nur noch, ob wir hier in einem „philographischen“, „philografischen“, „filographischen“ oder „filografischen“ Tollhaus gelandet sind und wie die ganze Geschichte weitergehen soll.

Nachdem bei der letzten Rechtschreibreform der „Delphin“ aus dem sprachlichen Dunstkreis des „delphischen Orakels“ als „Delfin“ in die profane Welt der Fotos und Telefone entlassen wurde, könnte es jetzt passieren, dass uns künftig alle paar Jahre ähnliche Änderungen ins Haus stehen. Mit etwas Fantasie kann man sich gut vorstellen, dass als nächstes das bisher altphilologisch geschützte „Phantom“ an der Reihe wäre. Dieses könnte sich nämlich bewusst werden, dass es in den meisten Fällen nur ein Produkt der „Fantasie“ ist, und sich deshalb entschließen, der „Fantasie“ auch orthografisch zu folgen und die Welt künftig als „Fantom“ zu erschrecken, so wie es das „Fantôme“ in Frankreich schon seit langem tut. Es ist aber auch ein baldiger Aufstand der Amphibien denkbar, die auf Gleichbehandlung pochend dem „Delfin“ als „Amfibien“ hinterher schwimmen wollen. 

Sollten in einigen Jahren oder Jahrzehnten nach und nach die Philatelisten, Philharmoniker und Philanthropen zähneknirschend einer möglichen Schreibung mit „f“ zugestimmt haben, könnten sich irgendwann vielleicht sogar die Philosophen und Philologen bequemen, von ihrem altgriechischen Sockel herabzusteigen und sich als „Filosofen“ und „Filologen“ unters niedere Volk zu mischen. Wen es jetzt übrigens drängt, ob solch sprachlicher Geschmacklosigkeit ein großes Gezeter zu veranstalten, möge doch bitte einen kurzen Blick über die Alpen riskieren. In Italien heißt nämlich der „Phi­losoph“ nicht erst seit gestern „filosofo“!

Wenn dann irgendwann nach zähem Ringen das letzte „ph“ dem „f“ gewichen sein wird, könnte es auch dem „h“ nach dem „r“ an den Kragen gehen. Vielleicht werden sich die Rhetoriker ein wenig länger sträuben als die Rhesusaffen, denen das „h“ schon immer lästig war. Doch selbst die virtuosesten Redekünste der Rhetoriker werden nicht verhindern können, dass auch ihr orthografisches Fossil einmal ins Museum wandert. Beim „th“ bin ich dagegen weniger optimistisch. Zwar werden wir wahrscheinlich dereinst nicht nur ohne Schlips und Kragen sondern auch ohne „h“ ins entschlackte „Teater“ eingelassen werden. Doch angesichts der mächtigen Lobby, über die das „th“ in der Theologenschaft verfügt, wird es dazu heftiger Kämpfe bedürfen. Denn die erzkonservative Grundeinstellung der meisten Theologen wird mit Sicherheit dazu führen, dass sie jedes umstrittene „th“ mit Zähnen und Klauen verteidigen werden. Mag auch im Laufe der Zeit das eine oder andere antike Bollwerk unter dem Ansturm der Vernunft zusammenbrechen, die Theologen werden vermutlich selbst dann noch auf ihrem „th“ thronen, wenn bereits das letzte ihrer Schafe aus der Kirche ausgetreten ist.

So könnte ich mir im Einklang mit dem geschilderten Szenario vorstellen, dass im Zuge einer der nächsten Rechtschreibreformen die heutige Schreibweise „Rhythmus“ nach französischem Vorbild durch „Rythmus“ ersetzt wird, wobei das selbst heute schon recht lax behandelte „h“ nach dem „r“ endlich fallengelassen wird, während man mit Rücksicht auf den Klerus das „h“ nach dem „t“ vorerst noch beibehält. Der eine oder andere Musiklehrer wird vielleicht angesichts dieser Verstümmelung seines geliebten „Rhythmus“, der ihm genau in dieser Schreibweise ans Herz gewachsen war, eine heimliche Träne verdrücken. Doch er möge sich trösten. Das eingangs beschriebene orthografische Ratespiel im Unterricht kann nämlich nach wie vor stattfinden, denn welcher unvoreingenommene Schüler käme je auf den absonderlichen Gedanken, zwischen dem „t“ und dem „m“ noch ein „h“ einzuschieben?!

 

An die Luft und in die Pilze

Jeder kennt den leicht bärtigen Witz: „Erst ging se in de Pilze, jetzt stillt se.“ Reim dich oder ich fress’ dich!

Bei Lichte betrachtet und wörtlich genommen ist das Vorhaben, „in die Pilze“ zu gehen, weitaus ehrgeiziger, als es auf den ersten Blick scheinen mag.  Wenn sich ein Pilzsammler mit den Worten verabschiedet: „Ich gehe in die Pilze“, bin ich geneigt zu antworten: „Grüß mir die Maden!“ Denen müsste er nämlich im Pilzinnern auf Schritt und Tritt begegnen.

Man kann „in den Wald“ gehen, man kann „in die Stadt“ gehen. Man kann auch „in die Häuser“ gehen, aber das setzt voraus, dass man wirklich hineingeht und nicht nur zwischen ihnen herumsteht. Doch genau darauf beschränkt man sich, wenn man „in die Pilze“ geht. Man geht nicht in sie hinein sondern nur zwischen ihnen herum. Wahrheitsgemäß könnte man also höchstens sagen, man gehe „zwischen die Pilze“ oder auch „zu den Pilzen“.

Ebenso unvorsichtig wie die Pilzsammler drücken sich die Jäger aus, wenn sie „auf Sauen gehen“. Ein Jäger, der solches seiner Frau gegenüber ankündigt, sollte sich nicht wundern, wenn diese ihn böswillig missversteht und wegen sexueller Perversion verlässt. Dabei wollte der Jäger in Wahrheit dar nicht „auf Sauen“ gehen, sondern „auf Sauenjagd“.

Doch das alles ist noch harmlos gegen das ebenso schwierige wie selbstmörderische Vorhaben, „an die Luft“ zu gehen. Um die Schwierigkeit des Vorhabens zu erkennen, machen wir uns zunächst die Ausgangssituation klar: Im Normalfalle sind wir allseitig von Luft umgeben, das heißt wir befinden uns „in der Luft“. Um „an die Luft“ zu kommen, müssten wir zuvor aus ihr herausgelangen. Denn genau wie man sich außerhalb des Wassers aufhält, wenn man „am Wasser“ ist, müsste man sich außerhalb der Luft befinden, wenn man „an der Luft“ ist. Selbst mit aufwendigem technischen Gerät dürfte es schwer werden, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch das ist auch besser für unser Wohlergehen, da wir „an der Luft“ kaum lange überleben würden.

Dies sollte uns lehren, unser Frischluftbedürfnis künftig in die korrekten Worte zu kleiden: „Ich gehe mal in die frische Luft.“ Allerdings müssten wir aufpassen mit der kürzeren Formulierung: „Ich gehe mal in die Luft.“ Diese könnte nämlich missverstanden werden, weil „in die Luft gehen“ oft im Sinne von „in die Höhe gehen“ gebraucht wird. Das ist natürlich völliger Blödsinn, weil man ja auch vor dem Hochgehen bereits von Luft umgeben war. Und wie soll man in etwas hineingehen, wo man schon drin ist?! Wenn man es zu Ende denkt, muss man sogar berücksichtigen, dass die Luft mit zunehmender Höhe dünner wird. Wenn man nur hoch genug fliegt, kann man sogar den Luftraum verlassen. Es ist also denkbar, beim Steigen noch eher „aus der Luft zu gehen“ als „in die Luft zu gehen“!

Jemanden, der „in die Sonne“ gehen will, vor der Gefahr des Verbrennens zu warnen, ist vielleicht übertrieben, denn wir dürfen davon ausgehen, dass er nicht wirklich „in die Sonne“ sondern nur „in das Sonnenlicht“ gehen will. Trotzdem kann es nicht schaden, einmal „in sich“ zu gehen und über den Schwachsinn so mancher Formulierung nachzudenken. Man muss dabei nur aufpassen, dass man vor Entrüstung nicht „außer sich“ gerät.


 

Das böse Englisch

Kürzlich erhielt ich eine E-Mail von einem Bekannten, der als Manager in einem großen Industrieunternehmen tätig ist. Er müsse leider einen vereinbarten Termin „canceln“, schrieb er. Natürlich hätte er den Termin auch einfach „absagen“ können, denn das wäre auch nicht länger als „canceln“ gewesen. Aber vielleicht fand er „canceln“ einfach origineller oder schicker. Es kann aber auch sein, dass „canceln“ nur das erste passende Wort war, das ihm einfiel. Zwar gehört das Unternehmen, für das  mein Bekannter arbeitet, noch nicht zu denen, die bereits Englisch als offizielle Firmensprache eingeführt haben, doch durch seine vielen Dienstreisen ins Ausland dürfte das Englische für ihn inzwischen zu einer zweiten Muttersprache geworden sein. So verwundert es nicht, dass ihm manchmal die englischen Begriffe vor den deutschen einfallen.

Dies bestätigte auch meine Stieftochter, die auf dem Gymnasium an einem Englisch-Leistungskurs teilnahm. Einmal kam sie wieder ganz „ausgepowert“ nach Hause und stöhnte, dass sie im Englischunterricht etwas nicht habe „capturen“ können. Obwohl ich verstand, was sie sagen wollte, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, ob sie nicht deutsch reden könnte. Es sei ihr gerade kein passendes deutsches Wort eingefallen, erwiderte sie, und das gehe ihr oft so. Da sie sie sehr viel englisch denken würde, wüsste sie oft nicht, wie sie ihre englischen Gedanken auf Deutsch ausdrücken solle. Als sie sich einmal abends verabschiedete, um zu einer Kursfete zu gehen, verblüffte sie uns mit der Frage: „Gibt es da eine deadline?“ Wir müssen wohl sehr verständnislos geglotzt haben, denn nachdem sie angestrengt nach Worten gesucht hatte, fügte sie eine Erläuterung hinzu: „Ich meine so einen Zeitpunkt, wo ich wieder zu Hause sein muss.“

So lernt man immer wieder was Neues hinzu, denn das Wort „deadline“ war mir bis dato noch nicht begegnet. Das zeigt aber nur, dass ich ein wenig zurückgeblieben war. Denn – man höre und staune – „Deadline“ steht bereits im Online-Duden. Lange kann das allerdings noch nicht der Fall sein, sonst würde meine Rechschreibprüfung des Wort nicht als falsch markieren. „Hotline“ geht übrigens ohne Beanstandung durch, was im Einklang damit steht, dass sich dieses Wort inzwischen so eingebürgert hat, dass es fast jeder kennt und auch niemand mehr ernsthaft nach einer deutschen Bezeichnung dafür kräht.

Mit Ausnahme vielleicht des „Verein Deutsche Sprache e.V.“ (abgekürzt: VDS), der sich vehement dafür einsetzt, die deutsche Sprache vor der Überflutung mit englischen Wörtern zu schützen.  Auf seiner Homepage im Internet (www.vds-ev.de) veröffentlicht dieser Verein unter anderem einen so genannten „Anglizismen-Index“, bei dem tabellarisch in einer Spalte englische Wörter aufgelistet sind, denen in einer zweiten Spalte deutsche Wörter gegenübergestellt werden, die man an ihrer Stelle verwenden könnte oder sollte.

Demnach kann man z.B. anstelle von „Hotline“ folgende deutschen Ausdrücke verwenden: „Blitzruf, Schnellruf, -verbindung, Direktdraht, heißer Draht, Telefonauskunft“. Nur warum sollte man das tun, wenn bei „Hotline“ jeder weiß, was gemeint ist, wogegen man mit den vorgeschlagenen Alternativen auf Anhieb nur wenig anfangen kann oder sogar in die Irre geführt wird. Die „Telefonauskunft“ ist bereits auf die Abfrage von Telefonnummern spezialisiert und würde als verbaler Ersatz für „Hotline“ nur heillose Verwirrung stiften.

Als Alternative zum „Computer“ könnte man nach Vorschlag des VDS das schöne deutsche Wort „Rechner“ verwenden, das sogar einen Buchstaben weniger hätte. Aber ist „Rechner“ wirklich die korrekte Übersetzung für „Computer“? Wenn man versucht, „Computer“ wörtlich zu übersetzen, kommt allenfalls „Zusammentuer“ oder „Zusammensetzer“ heraus, deshalb sollte man es lieber lassen. Angesichts der enormen Fähigkeiten, über die heutige Computer verfügen, sollte man sie nicht als bloße „Rechner“ abtun sondern ihnen den Ehrentitel „Computer“ belassen. Die Bezeichnung „Rechner“ spart man sich besser für Geräte auf wie Tisch- und Taschenrechner, die wirklich nur rechnen können. Ein „Rechner“ wäre übrigens im Englischen ein „calculator“.

Als ich mich darüber informieren wollte, was der VDS zu dem verbreiteten Begriff „Handy“ anzumerken hat, stolperte ich zuvor beim Buchstaben „h“ über das „Haarspray“ und den genialen Alternativvorschlag „Haarsprüh“. Als ich mich von meinem Lachkrampf erholt und mich zum „Handy“ „durchgescrollt“ (oder sollte ich besser sagen „vorgerobbt“?)  hatte, fand ich hierzu folgende Ersatzvorschläge aufgelistet: „Funk(tele)fon, Händi, Mobiltelefon“.

Hier musste ich erst einmal tief schlucken und durchatmen, bevor ich mich zu einem Kommentar aufraffen konnte. Beginnen wir einmal mit dem nettesten Teil: „Händi“! Ach ist es nicht süß, und vor allem so urdeutsch! „Händi“ geht nämlich zurück auf den indogermanischen Wortstamm „hoendih“ (Faustkeil), findet sich im Mittelhoch­deutschen wieder als „hendhi“ (Handgriff) und nahm seine heutige Wortgestalt im Zuge der anglogermanischen Lautverschiebung an.

Nun zu den anderen Vorschlägen: Zunächst fällt auf, dass man beim „Funktelefon“ auch das „tele“ weglassen könnte, so dass ein „Funkfon“ entsteht. Beim „Mobiltelefon“ scheint jedoch eine Verkürzung zum „Mobilfon“ nicht statthaft zu sein. Vermutlich hat man’s beim Kommunizieren über Funk nicht ganz so weit (tele) wie beim mobilen Telefonieren. Doch lassen wir jetzt mal solche sarkastischen Albernheiten!

Ansonsten scheint den Urhebern der „deutschen“ Alternativvorschläge zum „Handy“ nicht ganz klar zu sein, dass das schöne altdeutsche Wort „Telefon“ gar nicht so furchtbar altdeutsch ist sondern aus dem Griechischen stammt. Auch scheint ihnen entgangen zu sein, dass „Handy“ zwar sehr englisch klingt, aber keineswegs die englische Bezeichnung für ein Mobiltelefon ist. Ein solches heißt nämlich im angelsächsischen Sprachraum „mobile telephone“. „Handy“ ist lediglich das englische Wort für „handlich“ und wurde als Bezeichnung des Mobiltelefons eigens für den deutschen Sprachraum geschaffen. So stehen wir denn staunend vor dem Paradoxon, dass hier jemand versucht, die deutsche Sprache vor einem in und für Deutschland geschaffenen Begriff („Handy“) zu schützen, um ihn durch einen Begriff wie „Mobiltelefon“ zu ersetzen, der dem englischen „mobile telephone“ sehr ähnlich ist. Um aber diesem ganzen Schwachsinn noch die Krone aufzusetzen, sollte man sich erinnern, dass „Mobiltelefon“ ebenso wie „mobile telephone“  in Wahrheit weder englisch noch deutsch sondern eine Mischung aus Lateinisch und Griechisch ist. Deutsch wäre ein „beweglicher Fernsprecher“.

Mit unfreiwilliger Komik behaftet ist auch das löbliche Unterfangen, die deutsche Sprache vor dem „englischen" Wort „tornado“ schützen zu wollen. Ob nämlich „Wirbelsturm“ so ganz die richtige Übersetzung ist, oder ob man hierbei nicht eher auf die Fährte eines „Hurrikans“ gelockt wird, lassen wir einmal offen. Doch wäre es sicher angebracht, bevor man die deutsche Sprache vor dem bösen englischen Wort „tornado“ schützt, erst einmal die englische Sprache vor dem bösen spanischen Wort „tornado“ zu schützen.

Ähnlich genial ist der Vorschlag, das hässliche englische Wort „Browser“ durch das schöne deutsche Wort „Navigator“ zu ersetzen. Peinlich nur, dass dem hierfür verantwortlichen Sprachschützer entgangen ist, dass „Navigator“ kein bisschen deutsch ist sondern ein unverändert aus dem Lateinischen übernommenes Fremdwort. Wenn wir’s deutsch haben wollten, müssten wir das übersetzen und „Seemann“ sagen. Ein „Webbrowser“ wäre dann ein „Netzseemann“, auch „Fischer“ genannt. Doch dies ist nur ein kleiner Scherz am Rande ebenso wie der Vorschlag, „Windows Explorer“ durch „Fensterforscher“ zu ersetzen.

Wenn ich im Zentrum meiner Heimatstadt parken will, muss ich am Parkscheinautomaten einen stinknormalen „Parkschein“ ziehen. Wenn ich dagegen vor der Einlassschranke eines Kölner Parkhauses stehe, erscheint auf einem Display „Parkticket wird produziert“, und fahre ich ins Parkhaus des Remscheider „Allee-Center“, so muss ich einen „Chip Coin“ anfordern, obwohl es eine „Parkmünze“ auch getan hätte. Aber so unterschiedlich sind nun mal die Geschmäcker: Den einen kann’s nicht ausgefallen und „modern“ genug sein, die anderen regen sich über jedes neue englische Wort auf, das sie nicht verstehen, und wollen es durch ein deutsches ersetzen.

Doch ob das immer gut ist, muss bezweifelt werden. Zwar ist bei der soeben erwähnten „Parkmünze“ die deutsche Bezeichnung genauso treffend wie die wichtigtuerische englische, aber ein „Musical“ ist ein „Musical“ und kein „Musikschauspiel“, und „Pop Art“ ist keine „Volkskunst“. Und wenn ich mich statt mit „body lotion“ mit „Hautemulsion“ oder „Körpermilch“ einreiben soll, dann dreht sich mir so der Magen um, dass ich schon keine Lust mehr dazu habe.

Im Übrigen werden wir uns gegen die von manchen beklagte Überflutung des deutschsprachigen kaum effektiv zur Wehr setzen können. Wenn die „Kids“, die heute mit Computer und Internet groß werden, einmal erwachsen sind, werden wir noch unser blaues Wunder erleben. Ob wir das schlimm finden sollen oder nicht, ist, wie gesagt, eine Geschmacksfrage.

Doch solange noch nicht alle Deutschen Englisch gelernt haben, und das dürfte auf viele Ältere zutreffen, ist ein wenig Rücksichtnahme angebracht, und es ist zu begrüßen, wenn jetzt sogar die Politik aktiv wird und sich für mehr Verständlichkeit in der Öffentlichkeit einsetzt. So sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass in Deutschland gekaufte Geräte mit einer deutschen Bedienungsanleitung versehen sind. Die meisten ausländischen Hersteller halten sich auch daran und übersetzen ihre „Manuals“ in alle wichtigen europäischen Sprachen.

Manchmal beschränken sich solche Übersetzungen aber auf den guten Willen, wie zum Beispiel folgende Passagen aus der Bedienungsanleitung einer zusammenklappbaren Tischtennisplatte. Beim Aufklappen der Platte soll man folgendermaßen vorgehen: „Drücken gleichzeitig dir Riegel röt Zunge. Die Platte bis zur Spielposition senken...Für ein besser Sicherheit und eine bessere Spiel Komfort vergewissert sich, dass die Riegel in Spiel Position unter dir Platte verriegelt ist.“ Und das Zusammenklappen beginnt so: „Ziehen die beide Griff unter die Platte zum Entriegeln anheben.“

Also da ist einem ja das englische Original schon fast lieber als so ein Radebrechen.

Erstaunlich ist nur, dass man selbst dieses Kauderwelsch noch einigermaßen verstehen kann.

 

Kättschapp

„Pommes“ ist französisch und heißt „Äpfel“. An der „Frittenbude“ müsste man also eigentlich Äpfel kriegen, wenn man „Pommes“ bestellt. Zum Glück jedoch ist in den meisten Imbissbuden Französisch Fremdsprache, so dass man trotzdem die gewünschten „Pommes frites“ bekommt. In besonders feinen „französischen“ Restaurants gibt es übrigens keine „Pommes frites“, da heißen sie „Stäbchenkartoffeln“. „Pommes frites“ ist nicht französisch fein genug.

Apropos feine französische Küche. Die Franzosen haben’s gerade nötig, sich in Asterix-Comics und -Filmen über die britische Küche zu mokieren. Ohne verallgemeinern zu wollen, kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass ich weder in England noch anderswo je einen solchen Fraß vorgesetzt bekommen habe wie gerade in Frankreich. Und wenn sich ein deutsches Hotel erdreisten würde, seinen Gästen ein Sparfrühstück nach französischem Vorbild anzubieten, könnte es ganz schnell dichtmachen.

Manche mögen die „Pommes“ am liebsten ohne alles, anderen sind sie so zu trocken, weshalb sie „Majo“ oder „Ketchup“ oder beides hinzufügen. Die französische „Mayonnaise“ darf man jetzt auch gut deutsch „Majonäse“ schreiben, also genau wie man’s spricht. Damit ist dann die Majonäse, wie man so schön sagt, „eingedeutscht“ genau wie der „Frisör“ und das „Büro“. 

Was der „Majo“ recht ist, muss dem „Ketchup“ billig sein, und deshalb ist jetzt auch die  Schreibung „Ketschup“ erlaubt. Aber darf man das jetzt auch so sprechen wie’s geschrieben wird? Oder muss man es brav weiter englisch aussprechen? Wenn letzteres erwünscht ist, handelt es sich nicht um eine Eindeutschung sondern um blanken Unsinn. Wenn das Wort nach wie vor anders ausgesprochen werden soll, als es deutschen Ausspracheregeln entspricht, kann man es auch gleich so lassen, wie es ist. „Ketschup“ jedenfalls  ist  Quatsch, um nicht zu sagen „Quetschab“!

Wenn man das Wort adäquat eindeutschen will, muss man wenigstens zu der Schreibung „Ketschap“ übergehen. Besser noch wäre „Kätschap“ damit  niemand auf die Idee kommt,  „Ketschap“ ähnlich  auszusprechen wie „Betschaf“ (Bet-Schaf). Damit könnte man es bewenden lassen,  wäre da nicht der Fluch der bösen Tat, begangen von jenen „Stopp“-Reformern, die glaubten, dem harmlosen englischen Lehnwörtchen „stop“ noch ein zweites p andienen zu müssen. Will man sich wenigstens einen Hauch reformerischer Konsequenz bewahren, kommt man nicht umhin, auch dem  „Ketschap“ noch ein zweites p zu schenken, also „Kätschapp“.

Wollte man nun die orthografische Korrektheit auf die Spitze treiben, müsste man sogar noch ein zweites t einfügen, damit niemand daran denkt, das ä wie in „spät“ zu dehnen. Damit wären wir dann beim „Kättschapp“ und am Ende unseres Eindeutschungswerkes angelangt, denn solider und unanfechtbarer ist Orthografie nicht mehr denkbar.

Manche Eindeutschungen sind so gründlich vollzogen worden, dass der Ursprung nahezu in Vergessenheit geraten ist. Wer denkt z.B. bei dem „urdeutschen“ Wort „Streik“ noch daran, dass es vom englischen „strike“ stammt? Oder dass sich hinter „Keks“ die englischen „cakes“ verbergen? Auf der anderen Seite gibt es Wörter, bei denen man fälschlich einen englischen Ursprung vermuten könnte. „Tippen“ z.B. kommt nicht aus dem Englischen, obwohl es mit dem englischen  „tip“ verwandt ist.

Neulich wurden im Familienkreise Erfahrungen mit verschiedenen Ärzten ausgetauscht. Hierbei äußerte sich Tante Amalie wenig erbaut über einen Orthopäden, den sie kürzlich aufgesucht hatte. Der sei ihr einfach zu aufdringlich, rede zu viel und habe vor allem die Angewohnheit, dem Patienten auf die Schulter oder im Sitzen sogar auf die Knie zu „tatschen“. „Wie schreibt man eigentlich <tatschen>?“ warf ich mal so nebenbei ein. Kurze Denkpause…und dann: „T - o - u - ch - en…das ist englisch! In Wuppertal  gibt es sogar ein Geschäft, das heißt <Touch me>.“

Tja, so kann’s gehen. In Wahrheit steht „tatschen“ mit genau dieser Schreibweise im Duden und ist so wenig englisch wie die gut altdeutschen Wörter „klatschen, patschen, platschen, grapschen“. Bei „tätscheln“, das von „tatschen“ abgeleitet ist, würde wohl keiner mehr auf den Gedanken kommen, es stamme aus dem Englischen. Doch wenn man sich einmal daran erinnert, dass es neben dem deutschen Wort „tuschieren“, das von „Tusche“ kommt, auch noch das gleichklingende Fremdwort „touchieren“ gibt, das sich vom französischen „toucher“ herleitet,  wundert man sich über mögliche Verwirrungen nicht mehr.

Während manche Fremdwörter durchaus elegant der deutschen Sprache einverleibt wurden, ist dies bei anderen Wörtern kläglich misslungen. Welcher Teufel mag wohl  die Eindeutscher geritten haben, die aus dem französischen „wagon“ den deutschen „Waggon“ machten?! Welche Funktion mag wohl das zweite g haben? Soll dadurch etwa erreicht werden, dass die Betonung von der zweiten Silbe auf die erste rutscht? Oder hat sich das g vielleicht selbständig gemacht und sich klamm heimlich von dem ihm zugedachten Platz auf einen andern geschlichen? Der einzige Sinn, den ein zweites g hätte haben können, hätte in dem Versuch bestanden, das dem Deutschen unbekannte nasale Ausschwingen der Endsilbe „on“ nachzubilden. Hätte man also „Wagong“ geschrieben, wäre das wenigstens nachvollziehbar gewesen, allerdings auch nur dann, wenn man gleichfalls „Ballong“ und „Kartong“ geschrieben hätte. Vielleicht hat man aber auch nur gedacht, weil der Ballon zwei l hat, sollte man beim Waggon nicht knausern und auch ihm einen Doppelkonsonanten gönnen. Beim Karton war das nicht mehr nötig, weil der bereits zwei mittige Konsonanten hat, und „Kartton“, „Karrton“ oder gar „Karrtton“ wäre sicher zu viel  des Guten gewesen.

Es ist nicht auszuschließen, dass nach dem Streik, Keks oder Schal auch noch andere englische Asylbewerber einen deutschen Pass erhalten werden. Ein erster Anwärter könnte das beliebte Wörtchen „cool“ sein. In der Patientenaufnahme eines großen Krankenhauses wurde mir kürzlich die (elend lange!) Wartezeit durch den Anblick eines Schildes verkürzt, auf dem unter einer gezeichneten Kuh die Aufschrift zu lesen war: „Bleib kuhl!“ Auf einer Radtour in der Gegend des Kaiserstuhls stieß ich mitten im Wald auf eine so genannte „Viehgurenalm“. So nannte der Künstler seine Ausstellung von Tierfiguren, die er aus Alltagsgegenständen wie Messern, Gabeln, Schrauben, Muttern oder auch alten Gießkannen usw. zusammengefügt hatte. Am Stamm eines dicken Baumes waren Zeitungsausschnitte und sonstiges Informationsmaterial über den Künstler angeheftet. Auch wurde uns seine „Händi“-Nummer mitgeteilt.

Es könnte also die Zeit nicht mehr fern sein, wo man mit seinem „kuhlen Händi“ herumtelefonieren wird, um „Mietings“ zu „känzeln“ oder „Dschopps“ zu „söhtschen“. So wie man heute schon nicht mehr „shopping“ sondern dudenkonform „shoppen“ geht, wird man sicher auch bald auf gut altdeutsch „schoppen“ gehen, und dazu wird man nicht mehr beim „shop“ sondern beim „Schopp“ Stopp machen. Ob es hierdurch freilich zu einem neuen Wirtschafts-„buhm“ und damit zu einer „Ohs“ an der Börse kommen wird, oder ob das Ganze doch eher in einer sprachlichen „Bähs“ münden wird: Taim uill schöu!

 

Dachs und Dax

„Gruß und Kuß, Dein Julius“ schrieb man früher, und zwar völlig korrekt! „“Gruss und Kuss“ wäre zur Not auch durchgegangen. Heute ist dies anders. Der „Gruß“ ist vom „Kuss“ phonetisch wie orthografisch klar geschieden, ebenso wie der „Fuß“ vom „Fluss“ und der „Spaß“ vom „Fass“. Es ist ein unbestreitbares Verdienst der jüngsten Rechtschreibreform, endlich Klarheit in den Gebrauch von „ss“ und „ß“ gebracht zu haben. Diese Leistung hebt sich positiv von anderen weniger gelungenen Neuregelungen ab und hat ein ausgesprochenes Lob verdient.

Auch handelt es sich hier im Unterschied zu peripheren Kleinigkeiten wie „Stängel“ oder „Delfin“ um einen recht deutlichen Eingriff in die bisherige Rechtschreibpraxis, wie mir kürzlich klar wurde, als ich hinter einem Kleintransporter herfuhr, auf dessen Rückwand einträchtig die Worte „Faßbier“ und „Bergstrasse“ prangten. Obwohl bisher durchaus akzeptabel, sind sie nach der neuen Rechtschreibung fehlerhaft. Der bedauernswerte  Bierhändler muss jetzt entweder sein Auto neu bemalen lassen oder sich weiterhin dem Gelächter seiner orthografisch geschulten Umwelt aussetzen.

Ganz bis in die Ecken wurde allerdings nicht gefegt, sonst hätte z.B. auffallen müssen, dass man nicht nur „Strauß“ sondern auch „aus“ mit „ß“ schreiben müsste, da nämlich die Erweiterungen „außen“ und „außer“ mit scharfen „ß“ gesprochen und geschrieben werden. Die Schreibung mit einfachem „s“ wäre nur gerechtfertigt, wenn „aus“ sich ähnlich verhielte wie „Haus“ oder „Maus“, wenn es also analog zu „hausen“ und „mausen“ nicht „außen“ sondern „ausen“ hieße.

Doch das ist nicht die einzige „Wollmaus“, die beim orthografischen Groß- oder besser Kleinreinemachen übersehen wurde. Auch im folgenden Falle wurde nichts unternommen, obwohl es durchaus nahe liegend und sinnvoll gewesen wäre. Wenn zum Beispiel ein „Dachs“ auf dem First eines „Dachs“ sitzt, wohin er sich jetzt einmal zu Demonstrationszwecken verirrt haben möge, liegt fast der gleiche phonetisch-orthografische Fall vor wie früher bei „Gruß“ und „Kuß“, nämlich dass  zwei verschieden auszusprechende Wörter gleich geschrieben werden.

Leider hat man dieses Problem völlig übersehen oder übersehen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Dabei wäre das Problem auf ziemlich einfache Weise aus der Welt zu schaffen gewesen, hätte man sich nur dazu entschließen können, die Buchstabenfolge „chs“ in den Fällen, in denen sie wie „x“ ausgesprochen wird, auch im Schriftbild  durch „x“ zu ersetzen. Denn was könnte wohl dagegen sprechen, den „Dachs“ in „Dax“ umzutaufen?  Nix! Denn die Verwechslungsmöglichkeit mit dem  „DAX“ als Abkürzung für den „Deutschen Aktien-Index“ wäre sicher kein stichhaltiger Einwand, da sich der Dachs inzwischen längst als bildliche Darstellung des DAX etabliert hat. In sämtlichen Börsenzeitschriften tummelt sich der Dachs munter in Gesellschaft der beiden anderen Börsentiere: Bulle und Bär,

Rufen wir uns kurz einige Wörter mit der konservativ-ausführlichen  x-Laut-Schreibweise ins Gedächtnis: Lachs, Hachse, Wachs, wachsen, Wuchs, Fuchs, Wichse, wichsen, Wechsel, wechseln, Drechsler, drechseln, Buchse, Büchse, ausbüchsen, Ochse …  Dem steht die Fraktion der ökonomisch-knappen Schreibweise gegenüber:  Fax, faxen, Pixel, pixeln, Mixtur, mixen, Hexe, hexen, Haxe, Nixe, Boxer, Oxer usw.

Was spricht dagegen, diese beiden Fraktionen an einen Tisch zu bringen, um sich auf eine einheitliche Schreibweise zu einigen?! Etymologische Gründe sollten hier keine Rolle spielen, denn sonst müssten wir als erstes einmal dem „Fax“ vorhalten, dass es sich von „Faksimile“ herleite und sich gefälligst „Faks“ zu schreiben habe. Also mit solchen „Faxen“ sollten wir gar nicht erst anfangen!

Deshalb  erscheint uns die Ansicht der Fortschrittspartei durchaus plausibel, man solle „wichsen“ ähnlich schreiben wie „fixen“ oder „mixen“. Man muss es ja nicht gleich mit zwei „X“ schreiben wie in dem Film „der WiXXer“

Was spricht ferner gegen „Lax“, „Lux“ oder „Fux“? Wem eine solche Schreibweise zu „lax“ erscheinen sollte, dem sei entgegengehalten, dass sie so neu und unerhört gar nicht ist, wie sie scheinen mag. Bereits im 17. Jahrhundert lebte nämlich ein bedeutender Komponist und Musiktheoretiker namens Johann Nepomuk Fux. Und in meiner Heimatstadt Wermelskirchen ist inzwischen eine Straße nach dem verdienten Industrieunternehmer Emil Lux benannt.

Natürlich muss man auch der konservativen  Fraktion das Wort erteilen, weil sie vielleicht Argumente vorbringen könnte, die für eine einheitliche Schreibung mit „chs“ sprechen. Denn mit dem gleichen Recht, mit dem man statt „Lachs“ „Lax“ sagen könnte, sollte man anstelle von „Fax“ auch „Fachs“ sagen können. „Fichsen“ oder „michsen“ würden sicher ebenfalls zu einer sprachlichen Vereinheitlichung beitragen. Und wenn dann noch  die „Hechse“, die Nichse“ und  der „Bochser“ mitmachten, wäre die Welt der Luchse und Füchse wieder in Ordnung.

Ein starkes Argument der konservativen Fraktion ist das Wort „Wuchs“, das bekanntlich mit einem leicht gedehnten „u“ ausgesprochen wird. Was für ein Frevel, würde man ihm diese Dehnung rauben, indem man sich den Jux erlaubte, es kurzerhand in „Wux“ umzutaufen! Nein, das geht wirklich zu weit! Allerdings kann die modernistische Vereinfachungsfraktion kontern: Wenn der „Wuchs“ so großen Wert auf eine gedehnte Aussprache legt, möge er sich orthografisch bitte nicht an dem Vorbild von „Fuchs“ und „Luchs“ orientieren, sondern sich lieber flugs mit dem gedehnten Wort „flugs“ zusammentun und sich künftig „Wugs“ schreiben.

In dem Streit zwischen der „chs“- und der „x“-Fraktion rutscht die „Hachse“ seit geraumer Zeit nervös von einer Hinterbacke auf die andere. Denn da sie sich auf Speisekarten auch schon oft als „Haxe“ gelesen hat, ist sie dermaßen verunsichert, dass sie überhaupt nicht mehr weiß, welchem Lager sie sich anschließen soll. Nach einem hilfesuchenden Blick in Richtung “Achse“, den diese allerdings nur mit einem kühlen „Achsel“-zucken quittiert, ruft sie deshalb in ihrer Verzweiflung klamm heimlich per Handy die „Axt“ zu Hilfe, die ja nach Schiller bekanntlich im Hause den Zimmermann ersetzt, damit diese den Streit auf ihre Weise schlichten möge. Und da man sich kaum vorstellen kann, dass die Axt aus dem Streit gerne als „Achst“ hervorgehen möchte, ist nunmehr der Ausgang des Konflikts vorhersehbar.

Eine ultralinke Partei möchte übrigens noch weiter gehen und sogar „Knax“ statt „Knacks“ und „häxeln“ statt „häckseln“ schreiben. doch das sollte man wohl besser bleiben lassen, da „Knacks“ etwas mit „knacken“ und „häckseln“ etwas mit „hacken“ zu tun hat. Die Buchstabenfolge „cks“ durch „x“ zu ersetzen verbietet sich auch deshalb, weil man sonst sehr bald vor der peinlichen Frage stünde, ob man die Mehrzahl von „Wrack“ nicht „Wrax“ schreiben müsste.

Nachdem unsere ohnehin schon reichlich verunsicherte „Hachse“ oder „Haxe“ den letzten Absatz gelesen hat, keimt in ihr zu allem Überfluss noch der schlimme Verdacht, sie könnte möglicherweise etwas mit den „Hacken“ zu tun haben, die man sich ablaufen kann, und müsste sich vielleicht gar „Hackse“ schreiben. Doch nachdem sie eine Weile ängstlich und  nervös im Internet herumgekraxelt ist, findet sie im Online-Duden die erlösende Auskunft, sie stamme vom mittelhochdeutschen und völlig k-freien „hahse“ ab, womit diese arme Seele endlich Ruh hat.

Die „Axt“ dagegen hat noch einiges an Holzhackerarbeit zu leisten, bis die letzte „Achse“ oder „Echse“ ihren halsstarrigen Widerstand aufgegeben hat. Bis dahin heißt es: schön wachsam bleiben, so dass z.B. keiner die Aussprache der beiden Wörter „wachsam“ und „wachsen“ verwechselt und meint, es hieße „waxam“ und „wach-sen“.

 

Die Hemisphären der Menschheit

Die Endung „-heit“ hat zwei unterschiedliche Funktionen. Zum einen wird sie als Mittel benutzt, um Adjektive zu  substantivieren, macht also aus „rein“ „Reinheit“, aus „dumm“ „Dummheit“ und aus „gesamt“ „Gesamtheit“. Zum anderen dient sie zur Bezeichnung der Gesamtheit einer Vielzahl von Individuen: „Menschheit“.

Glaubt man nun der Sprache, zerfällt die Menschheit in zwei Teile, nämlich die Christenheit und die Judenheit. Andere „-heiten“, jedenfalls solche mit Gruppenbezeichnungscharakter konnte ich in der deutschen Sprache nicht ausfindig machen. Sie scheint ebenso wenig eine „Heidenheit“ zu kennen wie eine „Atheisten-, Ungläubigen-, Spiritisten- oder Satanistenheit“. Selbst großen Weltreligionen wie Islam, Buddhismus oder Hinduismus wird die Ehre, als ­„-heit“ anerkannt zu werden, verweigert.

Die Gesamtheit aller Christen kann man lapidar als „Christenheit“, die Gesamtheit aller Juden als „Judenheit“ bezeichnen. Wer letzteren Begriff übrigens noch  nicht gehört haben sollte, schaue im Duden nach: es gibt ihn wirklich!  Aber wie soll man nun die Gesamtheit aller Buddhisten bezeichnen? Von einer „Buddhistenheit“ jedenfalls habe ich noch nie gehört. Oder müsste es eher „Buddhaheit“ heißen, vielleicht gar „Buddhenheit“ ? Aber die Mühe des Herumprobierens können wir uns sparen: es gibt schlicht keine Möglichkeit, den Buddhismus in irgendeiner Weise mit dem Suffix „-heit“ in Verbindung zu bringen. Ebenso wenig sind mir Bezeichnungen wie „Hinduheit“ bzw. „Hinduistenheit“, „Islamheit“ oder „Muslimenheit“ je über den Weg gelaufen.

Was geht hier vor?

Nun, es ist zu vermuten, dass die Begriffe „Mensch-, Juden-, Christenheit“ zu einer Zeit geprägt wurden, als sich in unserem Kulturkreis die relevante Welt noch auf die soeben genannten Bereiche beschränkte. Die mittelalterliche Gedankenwelt beinhaltete neben allgemein menschlichem nur christliches und jüdisches Denken, alles andere wurde als „Heidentum“ abgetan, war außen vor und ziemlich weit weg. Deshalb war es auch völlig überflüssig und unangebracht, etwa die „Heiden“ in den Status einer „Heidenheit“ zu erheben.

Dass es sich hierbei in der Tat um eine „Erhebung“ gehandelt hätte, versteht man vor dem Hintergrund, dass die Bezeichnung „-heit“ ursprünglich mehr beinhaltete als es etwa in dem Wort „Wahrheit“ zum Ausdruck kommt, wo „heit“ lediglich als operatives Suffix fungiert, um das Adjektiv „wahr“ zu substantivieren. Bei Wikipedia hat ein emsiger Sprachforscher die hoffentlich richtige Information veröffentlicht: „ -heit stammt vom gotischen Wort haidus = Ehre, Art und Weise, Geschlecht, Stand, Eigenschaft ab.“  Wie man sieht, steckt hierin also nicht nur „Art und Weise oder Eigenschaft“, sondern auch „Stand und Ehre“. In dem Anhängsel „-heit“ schwingt also aus alten Zeiten eine elitäre Bedeutungskomponente mit, und damit etwa die „Heiden“ in Verbindung zu bringen, wäre ein ziemliches Unding gewesen. Der fast schon sarkastisch anmutende Gleichklang von „Heiden“ und „haidus“ soll uns jetzt nicht weiter stören.

Offenbar hat sich an der damaligen Bewertung bis heute wenig geändert, denn immer noch gibt es neben der Menschheit nur die Juden- und Christenheit, während allen anderen Gruppierungen und Seinsbereichen der Zugang zu dieser – wie sich herausstellt – elitären Bezeichnung verschlossen bleibt. Darum kennen wir in Analogie zur „Menschheit“ keine „Tierheit“ oder gar „Elefantenheit“, „Hundheit“ und „Katzenheit“! Selbst so nahe liegenden Termini wie „Bürgerheit, Arbeiterheit, Abgeordnetenheit, Rentnerheit“ verweigert sich unser Erinnerungsvermögen. Warum das so ist, haben wir vorhin erfahren: Die einzige „-heit“, die primär den Namen verdient, ist die  Menschheit, und die zerfällt in Judenheit und Christenheit.

Dass hierin eine unterschwellige Diffamierung anderer Religionen enthalten sein könnte, ist ein zwar unbewiesener aber nahe liegender Verdacht.

Um diesen Verdacht noch ein wenig zu untermauern, führe ich eine weitere unscheinbare, aber bezeichnende Eigenart des Sprachgebrauchs an. Man redet vom „Christentum“ ebenso wie vom „Judentum“. Niemals jedoch habe ich vom „Hindutum“ „Buddhentum“, „Muslimentum“ oder irgendwelchen sprachlichen Varianten hiervon reden hören. Die soeben genannten Religionen werden stattdessen sprachlich abwertend in die „-ismus“-Ecke gestellt: „Hinduismus, Buddhismus, Islamismus“, wobei man im letzteren Falle noch fein zwischen „Islam“ und „Islamismus“ zu unterscheiden hätte, was uns aber jetzt vom Hölzchen aufs Stöckchen führen würde und deshalb unterbleibt.

Wie steht es nun mit der Anwendung der leicht anrüchigen Endung „-ismus“ auf die religiösen Vertreter der noblen „-heit“-Sphäre? Gibt es entsprechend dem „Buddhismus“ einen „Christismus“ oder „Christianismus“? Nein, einer solchen Verunzierung seiner spirituellen Grundlage mit dem abscheulichen Anhängsel „-ismus“ hat das „christliche Abendland“ offenbar einen Riegel vorgeschoben.

Mit dem Judentum geht man da nicht ganz so zimperlich um und nimmt den Begriff „Judaismus“ ins offizielle Wörterbuch auf, wenn auch nicht ganz klar wird, was eigentlich damit gemeint ist. Eine besonders militante Form wie beim „Islamismus“ scheint hier nicht vorzuliegen, denn sonst würde in diversen Lexika der Begriff „Judaismus“ nicht einfach als Synonym zu „Judentum“ gehandelt. Immerhin bleibt am Ende die amüsante Erkenntnis, dass rein sprachlich die jüdische Religion die universellste ist, denn sie ist von allen Weltreligionen die einzige, die in allen drei Sprach-Varianten, nämlich als „Judenheit“, „Judentum“ und „Judaismus“ vorkommt.

Zum Schluss plagt mich nur noch ein rein sprachliches Problem: Warum heißt es eigentlich „Menschheit“ und nicht „Menschenheit“? Schließlich heißt es ja auch „Christenheit“ und nicht „Christheit“, ebenso wie „Judenheit“ und nicht „Judheit“! Die Sprache will uns doch nicht ernsthaft suggerieren, die Menschheit bestünde nur aus einem einzelnen Menschen!? Dass die „Gottheit“ nur aus einem Gott besteht, ist in monotheistischen Religionen nicht ungewöhnlich und daher intellektuell nachvollziehbar, aber an der Singularität der „Menschheit“ möchte der Verstand schier verzweifeln.

 

Der Fluch der Mannheit

Nachdem wir bereits im letzten Kapitel leichte Probleme hatten, die Verwendung von Singular und Plural in „Menschheit“ und „Christenheit“ zu verstehen, wird das Erstaunen nicht geringer, wenn wir uns einmal den Begriffen „Kindheit“ und „Mannheit“ zuwenden.

Auch hier wird wie bei „Menschheit“ der Singular verwendet.  Analog zu der Frage, warum es nicht  „Menschenheit“ heißt, kann man nun fragen, warum es nicht „Kinderheit“ und „Männerheit“ heißt. Wir nähern uns der Lösung dieser Frage, wenn wir bedenken, dass etwa bei „Kindheit“ nicht die Gesamtheit aller Kinder angesprochen werden soll, sondern der Zustand, in dem man sich während der „Kinderzeit“ befand. Es heißt also zu Recht (einzahlig) „Kindheit“ und nicht (mehrzahlig) „Kinderheit“, weil nämlich von etwas die Rede ist, das sich auf jedes einzelne Kind als Individuum bezieht.

Warum es freilich nun plötzlich wieder „Kinderzeit“ und nicht „Kindzeit“ heißt, gehört zu den Bocksprüngen der deutschen Sprache, die jeden ernsthaft nach Erkenntnis Strebenden zur Verzweiflung oder gar zur Weißglut treiben können. Aber lassen wir das!

„Mannheit“ und „Kindheit“ sind in Wörterbüchern als gängige Sprachschatzelemente enthalten. Aber wie steht es mit „Frauheit“? Fehlanzeige! Laut Duden existiert das Wort nicht. Die Frauen scheinen demnach im Gegensatz zu Männern und Kindern eine Randgruppe zu bilden, die das Attribut  „-heit“ nicht verdient. Sie sind wohl nur dazu da, den Männern Kinder zu gebären und sich danach vom Acker zu scheren.

Doch im Internet-Zeitalter geraten solche überlieferten und offensichtlich patriarchalischen Sprachstrukturen in Bewegung. Nach dem Motto: „Was es nicht gibt, gibt es im Internet“, fand ich dort über hundert Seiten, auf denen die verbale Neuschöpfung „Frauheit“ auftauchte. Ein Pressebericht über die Ausstellung einer Künstlerin namens Marlene Dumas  zum Beispiel enthielt die Passage: „Female: Das sind alle Frauen, das ist Frauheit an sich in allen Varianten.“ Sprache ist also entwicklungsfähig, wie man an diesem Beispiel sieht.

Wird das (männliche) Kind zum Manne, so geht es aus dem Stadium der „Kindheit“ in das der „Mannheit“ über. Und letztere ist, glaubt man den Worten eines um das Jahr 1900 wirkenden englischen Autors namens Henry Varley, mit einem Fluch belegt.

Als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, fand ich eines Tages auf meinen Schreibtisch ein dünnes Heftchen, dessen Herkunft ich nur erahnen konnte. Wenn ich nicht an Geister glauben wollte, musste ich annehmen, dass meine Eltern ihre Hand im Spiel hatten. Aber ich traute mich nicht nachzufragen, weil das, was ich da las, mir die Wangen dermaßen zum Glühen brachte, dass ich mich am liebsten in das nächste Mauseloch verkrochen hätte.

Worum ging es in Henry Varleys „Aufklärungsschrift“ von 1900 mit dem schönen Titel „Der Fluch der Mannheit“? Einleitend kündigte der Autor an, sich einmal ganz freimütig mit einem heiklen Thema auseinandersetzen zu wollen, das jungen Männern auf den Nägeln brenne und das ja leider ansonsten so gerne totgeschwiegen werde. Man müsse die Dinge beim Namen nennen und nicht um den heißen Brei herumreden. Denn schließlich dürfe man heranwachsende Jungen nicht in ihrer Not allein lassen, sondern müsse ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Insbesondere müsse man sie vor dem gewissenlosen Treiben vereinzelter unmoralischer Vertreter der Ärzteschaft schützen, die nicht vor der schamlosen Falschbehauptung zurückschreckten, Selbstbefleckung sei unschädlich oder sogar gesund. Es sei skrupellos und geradezu verbrecherisch, jungen Menschen die Wahrheit über die Folgen eines lasziven Umgangs mit ihrem Körper zu verschweigen. Denn wer einmal den körperlich-seelischen Verfall und das elende Dahinsiechen jener armen Kreaturen, die ihrem fleischlichen Laster verfallen waren, habe miterleben müssen, der könne nur jeden mit flammenden Worten dazu aufrufen, Gott in heißen Gebeten anzuflehen, ihn von dieser verderblichen Geißel zu erlösen.

Schade, dass ich keine wörtlichen Zitate aus dieser Schrift anführen kann, denn ich besitze leider kein Exemplar mehr davon. Ebenso unvermittelt wie die Schrift auf meinem Schreibtisch auftauchte, war sie irgendwann auch wieder verschwunden. Im Handel ist sie nicht mehr erhältlich, nur in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen werden noch einzelne Ausgaben aufbewahrt. Wer sich also dafür interessiert, möge dort nachfragen.

Nach der Geschichte vom Klapperstorch war dies übrigens der zweite Anlauf meiner Eltern in Sachen Aufklärung. Den dritten Vorstoß in dieser Hinsicht unternahm mein Vater, als ich im zarten Alter von 25 Jahren war. Da nahm er mich einmal bedeutungsvoll zur Seite und eröffnete mir: „Jung, du bist ja jetzt alt genug und darfst alles wissen. Also wenn wir früher keine Kinder kriegen wollten, dann nahmen wir immer diese Pariser.“

Das Gelächter über diesen wohlgemeinten, aber leicht anachronistischen Aufklärungsversuch übertönt selbst im Nachhinein nur unvollkommen die Qualen, die der „Fluch der Mannheit“ in einer jungen Seele ausgelöst hatte. Jahrelang lebte ich in der Vorstellung, ein verworfener Mensch zu sein, weil ich es trotz aller Bemühungen nicht schaffte, mich vom verwerflichen Laster der „Selbstbefleckung“ zu befreien.

„Jungens, lasst mir nur die Mädchen in Ruh!“ posaunte einmal ein Gemeindemissionar namens Michel, nachdem er die weiblichen Teilnehmerinnen am Konfirmandenunterricht nach Hause geschickt hatte. Ich kann mich nicht mehr an den Inhalt, nur noch an den Tonfall der Rede erinnern, die sodann wie ein Sturmwind über unsere Köpfe hinwegbrauste. Mädchen auch nur anzuschauen, erschien uns jedenfalls danach als die verruchteste und gotteslästerlichste Tat, die sich ein Mensch überhaupt einfallen lassen konnte.

„Ich habe gehört, dass in dieser Klasse gesaubeutelt wird.“ eröffnete eines Tages unser damaliger Religionslehrer Herbert Degen, Bruder des nicht unbekannten Komponisten Helmut Degen, eine Unterrichtsstunde. Am Rande sei vermerkt, dass dieser Gottesmann weitgehend kahlköpfig war und diesen Umstand dazu benutzte, seiner Rede gesteigerte Plastizität zu verleihen. Wenn er nämlich kundtun wollte, dass ihm etwas besonders abwegig oder gar unsinnig erschien, pflegte er sich flach aufs Lehrerpult zu werfen und seinen kahlen Schädel mit der rechten Hand ergreifend auszurufen: „Man fasst sich an den Schädel!“

Auch in der erwähnten Stunde fasste er sich mehrfach an den Schädel, weil er einfach nicht begreifen konnte, wie ansonsten doch gute Schüler und rechtschaffene Jungens „so etwas“ tun können. Denn was da unter den Bänken alles so heimlich getrieben werde, sei in höchstem Maße verwerflich. Aus dem anschließenden Wortgewitter, das wir mit ängstlich geduckten Köpfen über uns ergehen ließen, ist mir noch der eine Satz erinnerlich: „Wer das jetzt tut, der wird es nie wieder los, bis er zwanzig ist.“ Was für eine fürchterliche Zukunftsdrohung erschien dem Dreizehnjährigen damals, was heute dem über Sechzigjährigen, der „es“ immer noch nicht losgeworden ist, nur noch ein mildes Lächeln abnötigt!

Der „Fluch der Mannheit“ macht mir heute nicht mehr Bange, dafür sehe ich mit zunehmendem Unbehagen den „Fluch der Greisheit“ auf mich zukommen. Denn diese dürfte weit eher von jenem Siechtum betroffen sein, das sich in Verbindung mit jugendlichem Laster als leere Drohung herausgestellt hatte. Dass es das Wort „Greisheit“ im deutschen Sprachgebrauch nicht gibt, bedeutet nicht, dass wir davon verschont blieben. Sollten wir uns nicht schon vorher aus dem Leben verabschiedet  haben, wird uns die „Greisheit“ völlig ungeachtet ihrer sprachlichen Nichtexistenz unweigerlich und gnadenlos ereilen.  Ob andererseits die Existenz des schönen Wortes „Weisheit“ ein Garant dafür ist, dass wir im Alter von ihr tatsächlich befallen werden, ist fraglich.

 

Die Orgel

Auf seiner Startseite im Internet stellt sich der „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) mit folgenden Worten vor: „Wir schätzen unsere deutsche Muttersprache, die <Orgel unter den Sprachen>, wie Jean Paul das einmal so schön formulierte. Sie ist eine wunderbare Sprache, sie fördert das Denken und ermöglicht eine vielfältige Ausdrucksweise. Um sie als große und eigenständige Kultur- und Wissenschaftssprache zu erhalten und vor dem Verdrängen durch das Englische zu schützen, gründeten wir im Jahr 1997 den Verein Deutsche Sprache.“

Jean Paul war zweifellos ein bedeutender deutscher Dichter, der durch den Vergleich mit einer Orgel seine besondere Wertschätzung der deutschen Sprache zum Ausdruck bringen wollte. Dies ist völlig legitim und natürlich, denn  von einem Dichter der deutschen Sprache wird man kaum anderes erwarten, als dass er sich lobend  über das Medium äußert, in dem er seine Gedanken ausdrückt. Doch zwischen Liebeserklärungen und objektiven Feststellungen klafft gelegentlich ein leichter Unterschied. Und diese ernüchternde Erkenntnis veranlasst uns zu der Frage, inwiefern der Vergleich der deutschen Sprache mit einer Orgel berechtigt ist.

So wie die Orgel gelegentlich auch als „Königin der Instrumente“ bezeichnet wird, wäre dementsprechend die deutsche Sprache eine „Königin der Sprachen“. Nun müsste man schon ein genauester Kenner aller lebenden und toten Weltsprachen sein, um beurteilen zu können, ob ihr eine solche Vorrangstellung zusteht oder nicht. Ich wage eine solche Beurteilung nicht und vermute einmal bis zum Beweis des Gegenteils, sie sei eine Sprache wie andere auch.

Was die deutsche Sprache mit einer Orgel gemeinsam haben könnte, wird ein wenig klarer, wenn man daran denkt, dass unter allen Instrumenten die Orgel dasjenige ist, welches die gewaltigste Klangfülle hervorbringen kann. Wenn die Orgel des Kölner Doms mit allen Registern inklusive der 32-füßigen Subkontrabasspfeifen loslegt, dann erbebt die Erde. Ähnlich großspurig und aufgeblasen kommt die deutsche Sprache daher, wenn sie von ihren Verehrern zu einem erhabenen Kulturgut hochstilisiert wird. Andere Völker und „normale“ Deutsche mögen in der Sprache ein schlichtes Verständigungsmittel sehen. Für die „Sprachschützer“ dagegen ist sie ein „Kulturgut“, das es vor schädlichen Fremdeinwirkungen zu bewahren gilt.

Was macht eigentlich die deutsche Sprache zu einem „Kulturgut“? Sind es nicht die Werke der Dichter und Denker, die ihre Gedanken mit Hilfe der deutschen Sprache schriftlich niederlegten? Doch hätten diese ihre Gedanken nicht genau so gut in einer anderen Sprache ausdrücken können?  Verwechseln wir also nicht Form und Inhalt, wenn wir dem Material das Lob spenden, das eigentlich dem Handwerker gebührt?! Ein Bildhauer kann aus Tonerde, also im Grunde aus Dreck, ein bewundernswertes Kunstwerk schaffen. Trotzdem würde niemand auf den Gedanken kommen, deshalb der Tonerde ein Denkmal zu setzen.

Neben ihrem imposanten, ja selbstherrlichen Auftreten hat die deutsche Sprache mit einer Orgel gemein, dass sie wie diese ungeheuer kompliziert ist. Die Orgel besteht aus einem komplexen Zusammenwirken von Manualen, Pedalen, Trakturen, Windladen, Blasebälgen, Ventilen und vielen anderen mechanischen Details. Ähnlich begegnet man in der deutschen Sprache einem komplizierten Geflecht von Deklinationen, Konjugationen, Präpositionen, Attributen, adverbialen Bestimmungen, Prä-, In- und Suffixen... und Internetseiten, die sich mit der schwerwiegenden Frage befassen, ob bestimmte Präpositionen oder Verben den Genitiv, Dativ oder Akkusativ oder mal dies und mal das regieren. In punkto Komplexität kann die deutsche Sprache also locker mit einer Orgel konkurrieren und sie sogar noch weit übertreffen. Das legt den Gedanken nahe, einmal etwas näher zu prüfen, wie weit man den Verglich zwischen Sprache und Orgel treiben kann.

Für die Klangfülle und -vielfalt einer Orgel ist eine Vielzahl von so genannten Registern verantwortlich, das sind Pfeifensätze, die sich voneinander in Bauart und Klangfarbe unterscheiden. Ein kompliziertes Umschaltsystem ermöglicht es, mit den Tastaturen der Orgel verschiedene Register einzeln oder auch gleichzeitig anzusteuern.

Stellen wir uns einmal vereinfachend vor, eine imaginäre „Sprachorgel“ enthalte eine „Tastatur“, die aus einer Reihe von Präfixen (Vorsilben) wie „be-, er-, ver-“ usw. besteht, über die man unterschiedliche Verben als „Register“ ansteuern kann. Dann könnte eine Zuordnungstabelle von Tasten und Registern z. B. folgendermaßen aussehen:

 

be

er

ver

an

ab

auf

ein

aus

ent

merken

x

-

x

x

-

x

-

-

-

hören

-

x

x

x

x

x

x

-

-

horchen

-

-

-

-

x

x

-

x

-

lauschen

x

x

-

-

x

-

-

-

-

passen

-

-

x

x

x

x

x

-

-

spüren

-

x

x

-

-

x

-

-

-

laden

x

-

x

-

x

x

x

x

x

holen

-

x

-

-

x

x

x

x

-

füllen

x

x

x

x

x

x

x

x

-

leeren

-

-

-

-

-

-

-

x

x

decken

x

-

x

-

x

x

x

-

x

leben

x

x

x

-

x

x

x

x

-

gehen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

geben

x

x

x

x

x

x

x

x

-

nehmen

x

-

x

x

x

x

x

x

x

tragen

x

x

x

x

x

x

x

x

-

stehen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

lassen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

denken

x

x

x

x

-

-

x

x

-

wachsen

x

x

x

x

-

x

x

x

x

heben

x

x

x

x

x

x

-

x

x

rühren

x

-

x

x

-

x

x

-

-

stecken

-

-

x

x

x

x

x

-

-

stechen

x

x

-

x

x

x

x

x

-

sorgen

x

-

x

-

-

-

-

x

x

sagen

x

-

x

x

x

x

-

x

x

wischen

-

x

x

-

x

x

-

x

x

Den Tasten seien hierbei die Spalten, den Registern die Zeilen zugeordnet. Ein Kreuz bedeutet, dass ein Tastendruck einen klingenden Ton liefert, ein Strich kennzeichnet dessen Ausbleiben. So würde zum Beispiel ein Druck auf die Taste „be“ dem Register „lauschen“ den Ton „belauschen“ entlocken, während das Register „passen“ stumm bliebe, da es den Ton „bepassen“ allenfalls mit „i“ statt mit „a“ gäbe.

Ein Blick auf die obige Tabelle zeigt, dass man nur mit wenigen Registern („gehen,  stehen, lassen“) vollständige Musik machen kann, während andere Register so lückenhaft sind, dass oft statt eines Tons nur heiße Luft kommt. Wäre die deutsche Sprache von einem Orgelbauer ersonnen worden, so hätte er selbstverständlich dafür gesorgt, dass alle Register auf Tastendruck einen Ton liefern. Dann könnte man sicher einen Termin aus dem Kalender „ausmerken“ oder den Kalender von sämtlichen Terminen „entmerken“. Zwischenbemerkungen könnte man nicht nur „einwerfen“ sondern auch „einmerken“, und Erledigtes könnte nicht nur „abgekakt“ sondern auch „abgemerkt“ werden. Schmerzen könnte man nicht nur „verdrängen“ sondern auch „entspüren“, Geheimnisse könnte man anderen nicht nur „entlocken“ sondern auch „enthorchen“.

Ein sprachlicher „Orgelbauer“ hätte wohl auch dafür gesorgt, dass ein Gefäß, das man „befüllt“ hat, anschließend wieder „entfüllt“ oder alternativ „beleert“ werden kann. Ein Gefäß zu „entleeren“ ist nämlich Unsinn, denn ebenso wie das „Entkleiden“ die Kleider raubt, sollte das „Entleeren“ die Leere rauben, so dass mit „entleeren“ - logisch betrachtet - genau das Gegenteil von dem gesagt wird, was gemeint ist. Logisch wäre „entleeren“ nämlich ein Synonym für „füllen“. Ebenso wäre einem Orgelbauer niemals ein Konstruktionsfehler wie „entfernen“ unterlaufen, welches ja nicht die Ferne sondern die Nähe rauben soll, also eigentlich „entnahen“ meint und demzufolge nicht „ent-“ sondern „befernen“ heißen müsste.

Am Bau der deutschen Sprachorgel waren also offenbar nicht nur intelligente Orgelbaumeister sondern mindestens zu gleichen Teilen auch krasse Stümper und Pfuscher beteiligt. Welcher Flickschuster mag uns z. B. Wortschöpfungen wie „anberaumen“ oder „einverleiben“ hinterlassen haben. Bleibt nur zu wünschen, dass sich die Sprache solche Stoffwechselschlacken irgendwann auch wieder „ausverleibt“ und diese dann auf der nächsten Mülldeponie „abberaumt“.

In dem Eingangszitat wird die deutsche Sprache eine „wunderbare“ genannt, von der zudem behauptet wird: „Sie fördert das Denken.“ Wie „wunderbar“ die deutsche Sprache tatsächlich ist, mag der Leser selbst entscheiden, wenn er dieses Buch zu Ende gelesen hat, ohne vorher einzuschlafen. Und dass die Sprache ein unerlässliches Mittel ist, um Gedanken auszudrücken, ist unbestritten. Doch ob sie auch „das Denken fördert“, ist noch keineswegs sicher.

Sicher ist nur, dass sie das Auswendiglernen fördert. Und da ist so einiges auswendig zu lernen, über das man nicht allzu gründlich nachdenken darf. Wer zum Beispiel lernen muss, dass es „die“ Tür aber „das“ Tor heißt, dass man „für“ mit „f“ und „vor“ mit „v“ schreibt, oder dass der „Samen“ stillvergnügt ohne das „h“ auskommt, das dem „Rahmen“ lebenswichtig zu sein scheint, wer also diese ganzen hanebüchenen Marotten der deutschen Sprache auswendig lernen muss, tut gut daran, während des Lernens den denkenden Teil seines Gehirns abzuschalten, weil er sonst leicht bekloppt wird.

Spätestens wenn er genötigt ist, sich Konjugationen wie „stehen, stand, gestanden“ oder „gehen, ging, gegangen“ reinzuziehen und sich zaghaft zu fragen beginnt, warum es dann nicht auch „sehen, sand, gesanden“ oder „flehen, fling, geflangen“ heißt, sollte er das Denken lieber den Pferden überlassen, weil diese die größeren Köpfe haben. Sonst könnte er nämlich auf den ketzerischen Gedanken kommen, bei den Insassen einer psychiatrischen Landesklinik sei Vernunft noch eher anzutreffen als bei den Orgelbaumeistern der deutschen Sprache.

Bei Lichte betrachtet erweist sich die deutsche Sprache also nicht unbedingt als ein der Orgel des Lübecker Doms entsprechendes Wunderwerk, sondern eher als ziemlich prosaischer Leierkasten, bei dem die Luft nicht immer besonders edel durch die Pfeifen streicht.

 

Drunter und drüber

Beim Sport ist es in der Regel  so, dass die unterlegene Mannschaft der überlegenen „unterliegt“. Aber kann man dies auch umdrehen? Kann die überlegene Mannschaft der unterlegenen „überliegen“? Sachlich kann sie es, sprachlich nicht.

Allerdings ist das Wort „überliegen“ keineswegs unbekannt, wie eine Suche im Internet ergibt. Doch benutzt man es für ganz andere Dinge als die hier in Rede stehenden, nämlich z.B. für Pflanzensamen, die in der Erde jahrelang herumliegen, bevor sie zu keimen beginnen, oder für Schiffe, die übermäßig lange im Hafen vor Anker liegen. In dem hier gemeinten Sinne von „siegen“ oder „ge­win­nen“ ist „überliegen“ lexikalisch nicht erfasst. Ob diese sprachliche Unterschlagung eines verbalen Gegensatzes zum „Unterliegen“ damit zusammenhängt, dass in unserem Beamtenstaat zwar ständig „Unterlagen“ angefordert, doch nie „Überlagen“ gewährt werden?

Wer Wert darauf legt und viel Zeit hat, kann seine Urlaubsfilme mit Musik „unterlegen“. Diese unterlegte Musik nennt man dann auch „Hintergrundsmusik“, was streng genommen nicht so ganz zusammenpasst. Denn für eine „unterlegte“ Musik sollte man eigentlich die Bezeichnung „Untergrundsmusik“ erwarten. Nun wäre allerdings „Untergrundsmusik“, die meist aufrührerischen Charakter hat, für einen Urlaubsfilm nicht unbedingt geeignet. Auch „Vordergrundsmusik“ käme für unseren Film kaum in Frage, nicht nur weil es das Wort nicht gibt, sondern auch weil wir eine Musik, die sich in den Vordergrund drängt, als Filmmusik schlecht gebrauchen könnten. Deshalb sind wir mit der „Hintergrundsmusik“ immer noch am besten bedient. Nur müssten wir diese - sprachlich konsequent – dem  Film eigentlich nicht „unter-“ sondern „hinterlegen“.

Der Mensch besteht aus „Leib und Seele“, was nur unwesentlich von der Aussage differiert, er bestehe aus „Körper und Geist“. Die Begriffe „Seele“ und „Geist“ werden nahezu synonym gebraucht. Insbesondere macht es keinen großen Unterschied, ob man von „geistlichem“ oder „seelischem“ Beistand redet. Entsprechend sollte also auch kein nennenswerter Bedeutungsunterschied zwischen „Leib“ und „Körper“ existieren. Umso staunenswerter ist die Beobachtung, dass stets vom „Oberkörper“ und „Unterleib“, aber nie vom „Oberleib“ und „Unterkörper“ gesprochen wird.

Wenn man nun auch nicht ganz versteht, warum es einmal „-leib“ und einmal „-körper“ heißt, so ist zumindest vollkommen klar. warum es einmal „Ober-“ und einmal „Unter-“ heißt. Der eine Teil ist oben, der andere unten. Warum es jedoch „Ober-“ und „Unterhemd“ heißt, ist dagegen weit weniger klar, denn das eine ist ja wohl kaum oben, während das andere unten ist. Vielmehr ist das eine drunter, das andere drüber. Also sollte man dem Unterhemd bei einigermaßen klarem Verstand nicht ein „Oberhemd“ sondern ein „Überhemd“ überziehen. Schließlich nennt man einen Mantel ja auch nicht „Oberzieher“ sondern „Überzieher“. Diskussionsfähige Alternativen wären auch noch „Drunter-„ und „Drüberhemd“.  Wenn man sich aber unbedingt auf den Begriff „Oberhemd“ versteifen möchte, dann sollte man es wenigstens konsequenterweise nicht „über-“ sondern „oberziehen“.

Selbst ein so anerkannter Begriff wie „Oberfläche“ ist nur dann wirklich sauber, wenn es z.B. um eine Wasseroberfläche geht, denn die ist in der Tat „oben“. Bei einem liegenden Blatt Papier dagegen müsste man schon eigentlich zwischen „Ober-“ und  „Unterfläche“ unterscheiden. Selbst bei einer Kugel ist der Begriff „Oberfläche“ nicht unproblematisch, weil allenfalls die Hälfte der Fläche oben, die andere Hälfte aber unten ist. Sprachlich sauberer wäre es deshalb, den Begriff „Oberfläche“ etwa durch „Außenfläche“ zu ersetzen.

Mit „oben“ und „unten“ treibt die deutsche Sprache noch manch seltsames Spiel. „Herr Ober, bitte zahlen!“ Der so angesprochene ist ein „Oberkellner“, wobei die Frage, ob es auch einfache „Kellner“ oder gar „Unterkellner“ gibt, ein Geheimnis der gastronomischen Branche ist, das dem Gast vorenthalten wird, denn für ihn sind alle Kellner „Ober“-Kellner. Andere Berufsgruppen sind diesbezüglich transparenter. Jeder weiß, dass es einen „Amtmann“ und einen „Oberamtmann“, einen „Arzt“ und einen „Oberarzt“, einen „Studienrat“ und einen „Oberstudienrat“ gibt, wogegen Berufsbezeichnungen wie „Unteramtmann“, „Unterarzt“ oder „Unterstudienrat“ nicht existieren. Diese Überlegungen ließen sich noch auf viele weitere Fälle, wie Studiendirektoren, Stadtdirektoren, Bürgermeister, ja selbst (Kranken-) Schwestern ausdehnen, zu denen ausnahmslos entsprechende „Ober-“ Formen existieren.

Danach erscheint es nun sehr auffällig, dass diese Bezeichnungspraxis nur beim Militär durchbrochen wird, indem es zwar den „Offizier“, nicht aber den „Oberoffizier“ gibt. Zwar hat es die Bezeichnung „Oberoffizier“ mal in der Nationalen Volksarmee der DDR gegeben, aber nach deren Untergang herrscht wieder Ordnung in der Nomenklatur, die neben dem „Offizier“ nur den „Unteroffizier“ kennt. Offenbar spielt beim Militär der Gedanke der „Unterordnung“ eine so große Rolle, dass man dies selbst dem Vertreter einer bereits gehobenen Position verbal unter die Nase reibt, damit er sich trotz seiner Überlegenheit über den „Schützen Arsch“ immer noch der Kategorie der „Untermenschen“ zugehörig fühlt.

Dabei kann er sich noch glücklich preisen, dass er nicht zu der Art von „Untermenschen“ gehörte, denen einst die Rassisten des nationalsozialistischen Regimes zu Leibe rückten. Letztere dürften sich wohl eine Zeit lang als „Übermenschen“ gefühlt haben, bevor ihnen die Russen zeigten, dass sie noch nicht einmal „Obermenschen“ waren.

Die sprachliche Existenz von „Unter-“ und „Übermensch“ legt die Frage nahe, ob es noch weitere menschliche Formen gibt, wie etwa einen  „Neben-“ oder „Vordermenschen“. Diese sind mir zwar noch nicht begegnet, wohl aber die Bezeichnung „Vormensch“, womit man eine prähistorische Vorform des Menschen meint. Doch wo ein „Vormensch“ zur Stelle ist, sollte ein „Nachmensch“ oder „Hintermensch“ nicht weit sein. Obwohl der Begriff der Standardsprache unbekannt ist, würde er sich sehr gut eignen, um Menschen zu bezeichnen, die ihrer Zeit hinterherhinken. Auf George W. Bush z. B. würde angesichts seines fundamentalistischen Sendungsbewusstseins und seiner mittelalterlichen Kreuzzugsideologie der Begriff „Hintermensch“ bestens passen.

„Sei untertan der Obrigkeit.“ heißt es schon in der Bibel, wobei das merkwürdige Sprachgewächs „Obrigkeit“ bei näherer Betrachtung für einen leichten Anfall von „Heitrigkeit“ sorgen könnte. Denn da es das Wort „obrig“ ebenso wenig gibt wie das Wort „heitrig“,  müsste es analog zur „Heiterkeit“ eigentlich korrekt  „Oberkeit“ heißen. So heißt es denn auch auf gut plattdeutsch in Johann Sebastian Bachs „Bauernkantate“: „Mer hahn en neue Oberkeet“. Die „Verhochdeutschung“ von „Oberkeet“ zu „Obrigkeit“ ist nicht unbedingt eine Veredelung.

So mancher getreue „Untertan“ ist ganz unglücklich, weil er verzweifelt und vergeblich nach seinem Herrn und Gebieter, nämlich dem „Obertan“ sucht. Aber ebenso wie sich der versteckt hält, will es der „Obrigkeit“ nicht gelingen, eine „Untrigkeit“ ausfindig zu machen, über die sie herrschen könnte. Die real existierende „Niedrigkeit“ ist kein echtes Gegenstück zur „Obrigkeit“, da „niedrig“ das Gegenteil von „hoch“ ist. Das Gegenstück zur „Niedrigkeit“ wäre also sprachlich korrekt die „Hochheit“, die aber so nicht heißt, sondern „Hoheit“ genannt wird.

Wenn sich nun allerdings die hohen Herrschaften eine solch rigorose Verkürzung ihrer sprachlich korrekten Bezeichnung herausnehmen und aus einer „Hochheit“ faulenzerisch eine „Hoheit“ machen dürfen, sollte es in Zukunft auch dem niederen Volke erlaubt sein, ökonomisch „Farad“, „nahaltig“ und „Nabar“ zu schreiben.

 

Gemüse und Gerippe

Unter „Gebirge“ versteht man eine Ansammlung von Bergen. Also versteht man unter „Geschlecht“ eine Ansammlung von … schlecht! (Hihihi!)

Dieser Kalauer basiert auf der Theorie, der Wortbeginn „Ge“ bezeichne immer eine Anhäufung von irgendetwas. Diese Verallgemeinerung ist jedoch unzulässig, denn sie trifft nur manchmal aber keineswegs immer zu. So ist das Geschlecht ebenso wenig eine Kollektivbildung wie das Gemälde, das Gedeck, das Gefühl oder das Gesicht. Kollektivbildungen sind nur möglich, wenn es  Individuen gibt, die sich zusammenschließen können, so wie die Berge zum Gebirge.

Was den Bergen recht ist, sollte den Hügeln billig sein. Doch ein „Gehügel“ sucht man in der deutschen Sprachlandschaft vergebens. Immerhin begegnen wir im feuchten Element dem „Gewässer“ und auf dem Trockenen seinem Gegenstück, dem „Gelände“. In der Luft finden wir zwar kein „Gelüfte“, aber wenigstens das „Gewölk“. Wenn uns der Sinn danach steht, können wir uns sogar durch wildes „Geklüfte“ zu höheren „Gefilden“ emporarbeiten.

Als leidenschaftliche Pilzsammler scheuen wir uns nicht, mitunter die ausgetretenen Pfade zu verlassen und uns durch „Gebüsch“ oder „Gestrüpp“ zu kämpfen. „Büsche“ sind allen geläufig, aber was sind „Strüppe“? Nie gehört? „Strupp“ kennt auch die elektronische Rechtschreibhilfe nicht, steht aber im Duden und ist irgendwas Struppiges.

Wenn wir nun zu einer pilzreichen Lichtung vorgedrungen sind, wähnen wir uns vielleicht im „Gepilz“. Doch da sind wir einer sprachlichen Täuschung aufgesessen. Auch die Suche nach dem „Geblätter“ der Bäume bleibt erfolglos, die scheinen sich mit ihrem „Geäst“ zu begnügen. Genauso angeschmiert sind wir, wenn wir  - aus dem „Gesträuch“ kommend - nach dem etwas stattlicheren „Gebäum“ Ausschau halten. Na ja, trösten wir uns mit dem „Gehölz“!

Die „Gehölze“ gehören zu den „Gewächsen“. Noch während man in diesem Zusammenhang vergeblich auf das “Gepflanze“, „Geblüme“, „Gekraute“, „Gegrase“, „Gefarne“ und „Gemoose“ lauert, läuft einem unvermittelt das „Gemüse“ über den Weg. Dieses eigenwillige Sprachkind ist laut Dudens Herkunftswörterbuch eine Kollektivbildung zu „Mus“, bezeichnete also ursprünglich Speisen aus zu Brei gekochten Nutzpflanzen und wurde erst später auch auf die ungekochten Nutzpflanzen übertragen. Mit den Begriffen „Apfel-“ oder „Pflau­men­mus“ im Hinterkopf wundert man sich ein wenig, warum das Obst nicht auch zum Gemüse gerechnet wird. Aber manche Leute rechnen ja noch nicht einmal die Kartoffeln zum Gemüse, wenn sie als Beilage zum Fleisch „Kartoffeln und Gemüse“ essen.

Im Tierreich stoßen wir auf das „Getier“ und das „Gewürm“. Während das „Gekreuch und Gefleuch“, von dem man gelegentlich hört, keinen Platz im Wörterbuch besitzt, findet man dort wenigstens noch das „Geziefer“, das aber nur noch als veraltete Form von „Ungeziefer“ geduldet wird. Es ist schon reichlich seltsam, dass man ausgerechnet dem „Gewürm“ und „Geziefer“ die Ehre der Kollektivbildung angedeihen ließ, während man sie so ehrenwerten Tierklassen wie den Fischen oder Vögeln versagte. Denn von einem „Gefische“ oder „Gevögel“ habe ich noch nie gehört, jedenfalls nicht in dem hier gemeinten Sinne!

Wie mit den Tieren, die man  zum „Getier“ zusammenfasst, könnte man eigentlich auch mit den Menschen verfahren. Doch die scheinen sich mit Händen und Füßen gegen die Bezeichnung „Gemensch“ zu sträuben. Dagegen lieben es manche Menschen, sich in bescheidener Demut als „Geschöpf“ zu bezeichnen. Von „Geschöpf“ habe ich übrigens zwar bei Tieren aber noch nie im Zusammenhang mit Pflanzen reden hören. Die sind wohl keine Geschöpfe Gottes?

Als „Krone der Schöpfung“ ist der Mensch mit allem ausgestattet, was er zum Leben braucht. Während das „Gehirn“ sich den anspruchsvolleren geistigen Aufgaben zuwendet, sind für die niedere Tätigkeit der Verdauung die „Gedärme“ und sonstigen „Eingeweide“ zuständig. Bastian Sick sagt einmal: „Verzichte auf Mithilfe, Hilfe genügt!“ Vielleicht würde er hier sagen: „Verzichte auf Eingeweide, Geweide genügt!“ In der Tat wurde das „Ein“ dem mittelhochdeutschen „Geweide“ nachträglich angeflickt. Zur Verdeutlichung!

Damit die Eingeweide was zu tun bekommen, muss zuvor das „Gebiss“ arbeiten. Dieses muss sich ständig die lästige Frage anhören, warum es sich von der Vergangenheitsform „biss“ ableitet und nicht von der Gegenwart, warum es sich also nicht „Gebeiß“ nennt. Schließlich heißt es doch auch ganz gegenwärtig „Gehör“ und nicht etwa vergangen „Gehörte“. Auch das „Gesicht“ kommt ganz gegenwärtig von sichten. Dass man es nicht „Geseh“ oder „Geschau“ genannt hat, ist weniger verwunderlich als die Tatsache, dass man es auf das gesamte Antlitz bezieht. Vor allem, dass sich die Nase mitten im Gesicht befindet, ist äußerst merkwürdig, könnte doch hierdurch der falsche Eindruck entstehen, man würde mit der Nase sehen. Da man jedoch in Wahrheit mit der Nase riecht, sollte man wenigstens erwarten, dass sie mit einem „Geriech“ ausgestattet wäre, ähnlich wie das Ohr über ein „Gehör“ verfügt.  Aber nicht einmal der „Geruch“ ist ein Attribut des Riechorgans sondern nur des Gerochenen. Arme Nase!

„An der Nase des Mannes erkennt man seinen Johannes.“ Zwar entbehrt dieser Spruch jeglicher sachlichen Grundlage, leitet jedoch elegant über zu den tieferen Körperregionen, wo wir auf das „Gemächt“ stoßen. „Gemächt“ kommt tatsächlich von „mächtig“, weil die „Macht“ des Mannes ursprünglich etwas mit seiner Zeugungskraft zu tun hatte. Dem Gemächt gegenüber befindet sich das „Gesäß“. Dieses muss sich eine ähnliche Frage gefallen lassen wie das Gebiss, nämlich warum es sich so gewunden konjunktivisch „Gesäß“ nennt und nicht gerade heraus „Gesitz“ oder „Gesetz“. Da gibt es jetzt gar nichts zu lachen! „Gesetz“ wäre nämlich nichts weiter als eine exakte sprachliche Analogie zum „Gestell“. Letzteres denkt überhaupt nicht daran, sich „Gesteh“ zu nennen und schon gar nicht „Geständ“, was formal dem „Gesäß“ entspräche.

Mit jedem Geschöpf geht es früher oder später einmal zu Ende, und dann ist bald von ihm nur noch ein Gerippe übrig. Das „Gerippe“ führt uns sprachlich hinters Licht, weil es die unzutreffende Vermutung suggeriert, es bestünde nur aus Rippen. In Wahrheit stellen jedoch die Rippen nur eine bescheidene Teilmenge der Knochen dar, die man mit dem Begriff „Gerippe“ ansprechen will. Deshalb wäre die Bezeichnung „Geknoche“ sicher zutreffender, auch wenn sie dem deutschen Sprachgebrauch bisher entgangen ista. Wir können uns allerdings auch auf die allgemeine Bedeutung des Begriffs „Bein“ als Synonym für „Knochen“ besinnen und vom „Gebein“ reden.

Bei Lichte betrachtet sind wir allerdings mit dem „Gebein“ kaum besser dran als mit dem Gerippe. Denn die praktische Anwendung des Begriffs ist keineswegs sauber, wie das folgende Beispiel zeigt: „Die Gebeine meines Großvaters ruhen auf dem Waldfriedhof.“ Im Klartext  meint dieser Satz, dass Opas Knochen auf dem Friedhof liegen. Und wenn „Bein“ das gleiche bedeutet wie „Knochen“, könnten auch seine „Beine“ dort begraben sein. Auch die Gesamtheit seiner Knochen bzw Beine, also sein „Gebein“ könnte auf dem Friedhof ruhen. Aber seine „Gebeine“...?! Hatte Opa denn gleich mehrere Skelette?

 

Von Engelschören und Kegelclubs

Alle Jahre wieder taucht beim pflichtgemäßen Abhören von Weihnachtsliedern unterm Tannenbaum irgendwann der unvermeidliche „Engelschor“ auf und entfacht in tausenden Familien heiße Diskussionen um die schwerwiegende Frage, ob es nicht eigentlich „Engelchor“ heißen müsse.

Schließlich sei es nicht der Chor eines Engels sondern ein Chor von Engeln, meint einer. Aber es heiße doch auch  „Engelsgesicht“, erwidert ein anderer. Das könne man nicht vergleichen, mischt sich ein dritter ein, bei „Engelsgesicht“ handle es sich um das Gesicht eines Engels, und damit sei das „s“ durch den Genitiv begründet, was übrigens auch für „Engelshaar“ gelte.  Aber man sage doch auch „Engelschar“ und nicht „Engelsschar“, kontert wiederum der erste, ferner habe er noch nie etwas von „himmlischen Heersscharen“. gehört. „Moment mal“, piepst der jugendliche Pfiffikus der Familie dazwischen und äußert Zweifel, ob „Engelshaar“ überhaupt richtig sei, er habe nämlich gerade in der Schule gelernt, dass bei Wörtern, die auf „el“ enden, kein „s“ angehängt wird. Er beginnt aufzuzählen: „Kegelklub, Nebelhorn, Hagelschauer, Pendeluhr ...“ – „Du Eselskopf“ wird er mit beißendem Saekasmus unterbrochen: „Hast du noch nie etwas von Himmelstor oder Adelsprädikat gehört?!“

An diesem Punkt der Diskussion angelangt wird es einem der Teilnehmer zu dumm. Er eilt zum Bücherregal und schnappt sich den Duden. Eifriges Blättern fördert rasch die Gewissheit zu Tage, „Engelschar“ und „Engelshaar“ seien richtig. „Engelschor“ steht jedoch nicht drin, ebenso wenig wie „Engelchor“. Dumm gelaufen!

Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Entweder man belässt es bei der Erkenntnis, dass es aus logischen Gründen eigentlich „Engelchor“ heißen müsste, dass sich aber sämtliche Weihnachtslieder wenig darum scheren, oder man diskutiert noch vom Hölzchen aufs Stöckchen kommend einige Stunden weiter.

Was für so anregenden und immer wieder unterhaltsamen weihnachtlichen Gesprächsstoff sorgt, ist das so genannte „Fugen-s“, das zur Gruppe der „Fugenlaute“ oder „Fugenelemente“ gehört. Die Sprachwissenschaftler verstehen darunter die in vielen zusammengesetzten Wörtern vorkommenden  eingestreuten Laute oder Silben, welche die beiden Wortbestandteile miteinander verbinden, ähnlich wie Bausteine durch Mörtel verfugt werden. Die vorherrschende Meinung besagt, dass Fugenelemente meist keine Bedeutung haben sondern der Erleichterung der Artikulation dienen.

Dies würde bedeuten, dass Komposita etwa auf Grund eines Fugen-s leichter auszusprechen sein sollten. „Umstandskleid“ mit Fugen-s geht in der Tat eine Spur glatter von der Zunge als „Umstandkleid“ ohne Fugen-s, da bei letzterem zwei Explosivlaute aufeinander treffen. Andererseits wäre „Umstandkleid“ wesentlich leichter zu artikulieren als etwa die fugen-s-geschmückte „Wohnungssuche“ (Wohnungsuche ohne Fugen-s ist laut Duden falsch!). Versuchen Sie es einmal, und Sie werden merken, dass die Aufeinanderfolge eines scharfen und eines weichen „s“ Sie ganz schön zum Zisch-Säuseln bringt.

„Erleichterung der Artikulation“? Ja, warum in aller Welt sagt man dann nicht „Wohnungsuche“ ohne Fugen-s, oder besser: warum schreibt man es nicht so? Denn sprechen tut man es im Grunde doch ohnehin nur mit einem einzelnen „s“. Oder machen Sie sich etwa die Mühe, wirklich „Wohnungs-Suche“ zu artikulieren, mit zwei abgesetzten „s“? Wenn ja, wären Sie prädestiniert für den Job eines Tagesschausprechers. Jeder normale Sterbliche würde das doppelte  „s“ in „Wohnungssuche“  umgehen und durch ein einzelnes „s“ ersetzen, das sich zwischen scharf und weich irgendwie durchmogelt, also ungefähr „WohnungXuche“.

Apropos „Tagesschau“: heißt die wirklich so, mit „s-sch“? Wäre nicht „Tagschau“ oder auch „Tageschau“ erstens  kürzer und zweitens viel einfacher auszusprechen als das Doppelgezische in „Tages-Schau“? Je länger ich mir das Wort  anschaue, desto unsicherer werde ich, ob es wirklich so merkwürdig geschrieben wird. Meine Zweifel werden schließlich so groß, dass ich vorsichtshalber im Internet nachschaue. Aber auf der Homepage der Tagesschau prangt deutlich „Tagesschau“ mit zwei „s“, man fasst es nicht! Man fasst es wirklich nicht!  Bei der Nabelschau wird der Nabel beschaut, bei der Tagesschau wird der Tag beschaut, worin liegt der Unterschied? Warum also „Nabelschau“ und „Tagesschau“ und nicht „Nabelsschau“ und „Tagschau“ oder „Nabelsschau“ und „Tagesschau“ oder „Nabelschau“ und „Tagschau“? Mit Logik ist dem nicht beizukommen.

Bleiben wir noch kurz bei der „Tagesschau“. Dann müsste es eigentlich auch „Schafesschur“ heißen, folgere ich messerscharf. Ich schaue im Internet-Duden nach und erfahre, dass dort der Begriff „Schafesschur“  unbekannt ist und auch das Wort „Schafsschur“ als orthografisch falsch klassifiziert wird: „Schafschur“ ohne Fugen-s sei richtig, wird mir verkündet. Also ehrlich, jetzt weiß ich bald gar nicht mehr, was läuft. Ich finde es zwar ganz toll, dass man mir den Doppelzisch bei „Schafsschur“ erspart, aber „Ratsschenke“ und „Himmelssaal“ mit Doppel-„s“ sollen nun wieder richtig sein. Da soll sich noch einer auskennen!

Nachdem ich mir an „Fischstäbchen“ und „Fleischstücken“ artikulatorisch einen abgebrochen habe, frage ich mich,  warum noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, die  Aussprache dieser Zungenbrecher durch ein eingefügtes Fugen-e zu erleichtern. Denn „Fischestäbchen“ und „Fleischestücke“ wären doch erheblich glatter auszusprechen als die orthografisch korrekten Formen. Sie würden auch keinerlei Bedeutungswandel verursachen wie etwa die alternativen Formen „Fischerstäbchen“ oder „Fleischerstücke“, die man möglicherweise auf teils obszöne teils makabre Weise missverstehen könnte.

Ich gebe allerdings zu, dass „Fleischestücke“ zunächst etwas merkwürdig klingt, doch das liegt nur daran, dass wir es nicht gewohnt sind. Nach kurzer Eingewöhnungsphase (die sich übrigens mit Fugen-s nicht leichter ausspricht  als ohne) würden uns die „Fleischestücke“ nicht nur nach innen sondern auch nach außen ganz selbstverständlich über die Lippen gehen. Wir würden überhaupt nichts Seltsames mehr daran finden, und unsere Zunge würde es uns danken. Man könnte hier natürlich auch alles beim Alten lassen und sich mit der üblichen Aussprache „Fisch-Täbchen“ und „Fleisch-Tücke“ zufrieden geben.

Ein „Wischschwamm“ würde freilich bei laxer Aussprache leicht zu einem sächsischen „Wigwam“ und würde – um dem zu entgehen - durch ein eingestreutes „e“ als  „Wischeschwamm“ sicher an Deutlichkeit gewinnen. Auch ein „Fischeschwarm“ wäre  bestimmt  zungenfreundlicher als der lexikalisch korrekte „Fischschwarm“.

Je mehr Beispiele man untersucht, desto größer wird der Zweifel, ob es sich bei der Theorie von der Artikulationserleichterung durch Fugenelemente nicht um einen ausgewachsenen Blödsinn handelt. Denn oft verzichtet man auf Fugenelemente gerade in solchen Fällen, wo sie hilfreich wären. Zum Beispiel dann, wenn etwa zwei gleiche Explosivlaute aufeinander folgen.

Warum in aller Welt heißt es lexikalisch „Brotteig“ und nicht der leichteren Aussprache halber  „Brotsteig“ oder „Broteteig“? Warum „Lastträger“ und nicht  „Lastenträger“? Auf der anderen Seite heißt  es dann plötzlich wieder „Bootssteg“ statt „Bootsteg“, wobei wir ein weiteres Mal an der angeblich aussprache­er­leich­ternden  Funktion des Fugen-s  irre werden. Besonders unlogisch erscheint die Angelegenheit,  weil das zusätzliche „s“ in „Bootssteg“ nicht nur die Aussprache erschwert, sondern noch nicht einmal als Genitiv-s zu begründen ist. Denn schließlich handelt es sich nicht um einen Steg des Bootes sondern um einen Steg für das Boot.

Der Träger eines Hutes müsste dagegen sowohl wegen des Genitivs als auch wegen der leichteren Aussprache unbedingt  „Hutsträger“ heißen. Durch die zwingende Logik dieser Überlegung verunsichert, schaue lieber noch einmal im Internet nach, ob es auch wirklich „Hutträger“ lautet, so wie ich es im Ohr habe. Der Duden kennt das Wort zwar nicht, aber eine beliebte Suchmaschine findet über 11000-mal das Wort „Hutträger“, wogegen „Hutsträger“ nur mit einer einzigen Fundstelle vertreten ist. Daraus nun den Schluss zu ziehen, dass auf 11000 Dummköpfe nur ein einziger vernünftig denkender Mensch kommt, scheint mir zwar nicht ganz unrealistisch aber am Ende doch etwas zu gewagt.

Auf der Suche nach möglichen Erklärungen für all diese Ungereimtheiten stöbere ich  bei Wikipedia und finde dort folgende Ausführungen zum Stichwort „Fugenlaut“:

„Die Fugenelemente im Deutschen sind:

-e-, -s-, -es-, -n-, -en-, -er-, -ens-, -al-, -o-

Je ein Beispiel: Hundeleine, Ansichtskarte, Freundeskreis, Urkundenfälschung, Heldentat, Kindergeld, Schmerzensgeld, Gymnasiallehrer, Elektroschock

Die Fugenelemente haben nie eine Bedeutung; weder grammatisch, noch lexikalisch. Sie unterscheiden sich damit von den Infixen. Diese haben eine eindeutige Funktion. Die Fugenelemente haben eine rein phonetisch-artikulatorische Funktion, d.h. sie dienen als Gleit- bzw. Übergangslaut zwischen zwei lautlich schwer zu verbindenden Konsonanten. "Geburttagfeier" wäre schwer zu sprechen, Geburt-s-tag-s-feier ist hingegen viel leichter auszusprechen.“

Letzteres finde ich jetzt sehr interessant. „Geburttag“ ist also schwer zu sprechen?  Aber doch keinesfalls schwerer als „Brotteig“! Oder?! Warum also mal so, mal so?  Die Ahnung einer möglichen Erklärung dämmert mir, als ich mir vor Augen führe, dass „Geburtstag“ der „Tag der Geburt“ ist, und dass somit das „s“ in „Geburtstag“ auf einen Genitiv hindeutet, also „Geburts-Tag“. „Brotteig“ dagegen ist nicht der „Teig des Brotes“ sondern der „Teig für das Brot“, welches dann als Zielobjekt dem „s“-freien Akkusativ zuzuordnen wäre. Auch das zweite „s“ in „Geburtstagsfeier“ fände so eine verständliche Erklärung durch den Genitiv als „Feier des Geburtstags“. Die „phonetisch-artikulatorische Funktion“ mag nun auf das erste „s“ (zufällig auch!) zutreffen, auf das zweite angewendet ist sie jedoch schlichter Unsinn, denn „Geburtstagsfeier“ spricht sich um keinen Deut leichter als „Geburtstagfeier“.

Wir sehen, dass der Autor des oben zitierten Wikipedia-Artikels  keineswegs über den ultimativen Durchblick verfügte, als er zwar wichtigtuerisch den Unterschied zwischen Fugenelementen und „Infixen“ betonte, sich dann aber in den Fallstricken seiner selbst gewählten Terminologie verfing. Mir scheint nämlich, dass er gerade etwas  als Beispiel für bedeutungsfreie Fugenlaute angeführt hat, was er vielleicht besser als Exempel für bedeutungsschwangere Infixe verwendet hätte. Denn sind die „s“-Laute in „Geburtstagsfeier“ nicht eher als auf den Genitiv verweisende Einfügungen funktionale „Infixe“ anstatt –wie der Autor behauptet – rein artikulationstechnische Fugenelemente?!

Ich kann es mir nicht verkneifen, noch einen weiteren kleinen Seitenhieb auf den oben angeführten Wikipedia-Artikel loszulassen. Das „al“ in Gymnasiallehrer“ soll demnach ein Fugenelement sein, das als „Gleit- bzw. Übergangslaut zwischen zwei lautlich schwer zu verbindenden Konsonanten“ dient?! Im Klartext heißt dies, „Gymnasilehrer“ enthielte zwei „lautlich schwer zu verbindende Konsonanten“, im vorliegenden Falle also „i“ und „l“, denen es durch den Übergangslaut „al“ zu einer glatteren Aussprache zu verhelfen gelte. Hierin erfahren wir gleich zwei hochinteressante Neuigkeiten, nämlich erstens dass „i“ ein Konsonant ist, zweitens, dass sich „Gymnasiallehrer“ wegen der zwei aufeinander folgenden „l“ leichter aussprechen lässt als „Gymnasilehrer“. Entsprechend soll wohl das „o“ in Elektroschock“ den ansonsten schwer zu artikulierenden Begriff „Elektrschock“ zungenfreundlicher gestalten. Da kann man sich  eigentlich nur noch über die Geduld des (elektronischen) Papiers wundern, die solch geballten Schwachsinn über sich ergehen lässt.

Um für weitere Betrachtungen ein wenig Material zur Verfügung zu stellen, lasse ich eine kleine Liste von Begriffspaaren folgen, die mir hinsichtlich der Verwendung bzw. Nichtverwendung von Fugenelementen interessant erschienen:

ohne Fugenelement

mit Fugenelement

Grundsteuer

Hundesteuer

Wundbett

Stundenglass

Kirchturm

Kirchenglocke

Kirchmeister

Kirchendiener

Kirschkuchen

Pflaumenkuchen

Erdbeertorte

Rosinenkuchen

Apfelkuchen

Apfelsinentorte

Schuldirektor

Regierungsdirektor

Amtmann

Amtsvorsteher

Jugendheim

Altersheim

Engelschar

Engelshaar

Edelstein

Adelsstand

Landmann

Landsmann

Abstandhalter

Anstandsdame

Brotteig

Bootssteg

Eisenbahnbrücke

Eselsbrücke

Rathaus

Ratskeller

Gasthaus

Wirtshaus

Rindfleisch

Rindergehacktes

Kalbfleisch

Kalbshaxe

Rehmedaillon

Schweinemedaillon

Hirschgulasch

Hasenpfeffer

Pilzgericht

Pfifferlingspfanne

Kartoffelsuppe

Erbsensuppe

Weltraum

Weltenbummler

Weltkrieg

Weltenbrand

Radrennen

Pferderennen

Winterspeck

Frühlingsrolle

Winterschlaf

Winterszeit

Kindheit

Kinderzeit

Jahrmarkt

Jahresversammlung

Wissenschaft

Wissensdrang

Wasserturm

Aussichtsturm

Mannheit

Manneskraft

Pappelwald

Eichenwald

Meerenge

Meerestiefe

Landzunge

Landessprache

Weidezaun

Weidenrose

Weidegrund

Wiesengrund

Pappnase

Knollennase

Mausmatte

Mausefalle

Mauspfad (gibt’s in Köln)

Mäuseturm (gibt’s in Bingen)

Fischschuppen

Geräteschuppen

Mittagessen

Mittagsschlaf

Es dürfte außerordentlich schwer fallen, für viele der angeführten Beispiele eine plausible Erklärung zu finden. Warum es „Kirchmeister“ aber nicht „Kirchdiener“ sondern „Kirchendiener“ heißt, ist weder logisch noch phonetisch irgendwie zu begründen. Dass man zum Backen eines „Pflaumenkuchens“ sicher eine Vielzahl von Pflaumen braucht, leuchtet jedem ein, aber dass man einen „Kirschkuchen“ nur aus einer Frucht herstellen kann, glaubt keiner, auch wenn es die sprachliche Formulierung behauptet. Auch zum Backen eines „Apfelkuchens“ wird man in der Regel mehr als einen Apfel brauchen, so dass man kaum versteht, warum es nicht „Äpfelkuchen“ heißt.

Beim „Pferderennen“ kann man sich sehr gut vorstellen, wie dort Pferde um die Wette laufen, aber wogegen rennt das einzelne Rad beim „Radrennen“? Gegen die Zeit? Auf die logisch nahe liegende Idee, von einem „Räderrennen“ zu sprechen, ist noch keiner verfallen, aber wenn es nicht so genau kommt, sollten sich die Freunde des Reitsports vielleicht anpassen und in Zukunft nur noch  knapp formulierte „Pferdrennen“ veranstalten.

Ich versteige mich einmal zu der Behauptung, dass selbst der ausgekochteste  Sprachwissenschaftler keine überzeugende Erklärung dafür finden wird, warum es nicht „Mittagsessen“ und „Mittagschlaf“ sondern „Mittagsschlaf“ und „Mittagessen“ heißt. Auch wenn manche der Sprache gerne ein logisch verbrämtes Mäntelchen überhängen möchten, irgendwann ist damit Schluss, und die Sprache zeigt sich unverhüllt als Vertreterin hemmungsloser „Freilogikkultur“.

So kommen wir am Ende zu der Erkenntnis, dass die Fugenelemente – selbst wenn sich in einzelnen Fällen Ansätze von Regelhaftigkeit  zeigen – Kinder des Chaos sind und weder logischen noch phonetisch-artikulatorischen Grundsätzen folgen. Sie zu einer schützenswerten Spezies zu erklären, scheint  mir deshalb ebenso verfehlt, als wenn man etwa die Stechmücke unter Naturschutz stellen würde.

Manche regen sich darüber auf, wenn die offizielle Behördensprache auf das eine oder andere Fugenelement verzichtet und z.B. von „Essenmarken“ statt von „Essensmarken“ oder von „Einkommensteuer“ statt von „Einkommenssteuer“ spricht. Sie sehen hierin einen bedauernswerten Niedergang unserer deutschen Sprachkultur. Ich dagegen sehe in solchen Bestrebungen eher begrüßenswerte Ansätze zu einer überfälligen Entrümpelung der deutschen Sprache, die an all dem Mist, den Generationen von Schwachköpfen in sie hineingemüllt haben, regelrecht zu ersticken droht.

Was spricht gegen einen flexiblen und intelligenten Umgang mit Fugenelementen? Was spricht dagegen, sie da, wo sie die Aussprache behindern („Ratssitzung“) einfach wegzulassen, oder da, wo sie die Aussprache erleichtern, einzufügen („Hutsträger“)? Eine generelle Abschaffung verbietet sich, weil sie gelegentlich wesentlich für die Wortbedeutung sind. Den „Landsmann“ im Sinne von „Volksgenosse“ kann man seines Fugen-s nicht berauben, ohne ihn zum „Landmann“, also Ackerbauern zu machen.

Aber muss man jedes dümmliche und überflüssige Fugen-s lexikalisch festschreiben? Muss es unbedingt „Zeitungsleser“ heißen, obwohl kein Mensch so recht versteht, warum es dann nicht auch „Buchsleser“ und  „Briefsleser“ heißt? Muss man unbedingt, wenn man eine Wohnung sucht, ein „Wohnungssuchender“ sein, obwohl jemand, der einen Rat sucht, deshalb noch lange kein „Ratssuchender“ ist sondern schlicht ein „Ratsuchender“ bleibt?

Wenn wir uns auf einen lockeren Umgang mit Fugenelementen einigen könnten, würde sich die Chance eröffnen, dass künftige Weihnacht(s)abende nicht mehr mit fruchtlosen Diskussionen über „Engel(s)chöre“ und dergleichen belastet wären. Wir brauchten uns nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob wir uns am „Festtagsschmaus“ oder nur am „Festtagschmaus“ laben. Und die „Weihnachtlieder“ würden unterm „Weihnachtbaum“ sicher nicht weniger stimmung(s)voll erklingen als die „Weihnachtslieder“ unterm „Weihnachtsbaum“!

 

Wunderliche Berufswelt

„Der Schreiner schreinert in der Schreinerei einen Schrein.“ Wie herrlich einheitlich und konsistent sind hier die Bezeichnungen für den Beruf, die Tätigkeit, die Werkstatt und das hergestellte Produkt! Ähnlich verhält es sich bei dem Satz: „Der Tischler tischlert in der Tischlerei einen Tisch.“, wobei die Konsistenz bereits geringfügig darunter leidet, dass man sich fragen muss, woher das „l“ in „Tischler“ kommt.  Dieser fertigt doch wohl keinen „Tischl“  sondern einen „Tisch“, und warum er den nicht einfach als „Tischer“ in der „Tischerei“ „tischert“, ist nicht ganz nachzuvollziehen. Schließlich heißt der Schreiner ja auch nicht „Schreinler“. Dass ein Schreiner heute nicht nur Schreine sondern auch Tische und sonstige Möbel macht und ein Tischler nicht nur Tische sondern auch Schränke, Stühle und Bettgestelle, ja dass die Begriffe „Schreiner“ und „Tischler“ heute nahezu synonym gebraucht werden, soll uns hier nicht weiter kümmern, denn es geht uns nur um die Sprache, nicht um die Sache.

Die  kleine Ungereimtheit, die uns beim „Tischler“ störte, ist nichts verglichen mit den Kapriolen, welche die deutsche Sprache schlägt, wenn sie sich etwa dem Beruf des Müllers zuwendet. Wollte man die Arbeit des Müllers einmal in sprachlicher Analogie zu der des Schreiners beschreiben und würde also einen Satz aus Berufsbezeichnung, Tätigkeit, Werkstatt und Endprodukt bilden, so käme z.B. folgendes zustande: „Der Müller müllert  in der Müllerei das (oder den) Müll.“ Ich gebe zu, das klingt ein wenig seltsam, vor allem wegen der pikanten Missverständlichkeit des letzten Wortes. Bei der folgenden ebenfalls denkbaren Variante würde diese humoristische Komplikation allerdings entfallen: „Der Mühler mühlert in der Mühlerei das Mühl“. Klingt doch ganz passabel!

Geht man einmal von der Überlegung aus, dass die Bezeichnung „Schreiner“ eigentlich vom seinem Produkt  „Schrein“ abgeleitet ist, und nimmt man auf dem Gebiet des Müllereiwesens entsprechend das Produkt „Mehl“ als Stammwort, so ergibt sich: „Der Mehler mehlert in der Mehlerei das Mehl.“ Das wäre ähnlich konsistent wie die eingangs zitierte Formulierung den Schreiner betreffend. Denkbar wäre auch noch – ausgehend von „mahlen“ als Stammwort: „Der Mahler mahlt in der Mahlerei das Mahl.“, wobei wir uns die Bemerkung „Prost Mahlzeit!“ bitte verkneifen! Diesmal muss es übrigens „mahlt“ heißen und nicht „mahlert“, weil „mahlen“ das primäre Wort ist, das sich zum „Mahler“ ähnlich verhält wie „weben“ zum „Weber“, der bekanntlich „webt“ und nicht „webert“. Vielleicht hätte man oben auch gar nicht „müllert“ usw. sagen dürfen sondern „müllt“, „mühlt“, „mehlt“ sagen müssen, aber das wird mir jetzt zu kompliziert.

Der reale Sprachgebrauch verfährt nun mit dem Mehl keineswegs so logisch, wie wir es soeben spaßeshalber ausprobiert haben, dafür aber wesentlich fantasievoller: „Der Müller mahlt in der Mühle das (Korn zu) Mehl.“ Das klingt natürlich viel musikalischer, farbiger und poetischer als der Einheitsbrei der oben genannten Alternativexperimente. Aber es ist auch schon ein wenig verrückt. Weniger weil man den Müller mit einem Abfallproduzenten oder seine Tätigkeit mit der eines Malers verwechseln könnte - diese Gefahr ist gering – sondern wegen des Kontrastes zwischen dem artikulatorisch kurzen „Müller“ und der langen „Mühle“ sowie der Lautverschiebungs-Orgie, die in dem Satz gefeiert wird.

Apropos Lautverschiebung: Gut dass die Rechtschreibreformer noch nicht gemerkt haben, dass „Mehl“ von „mahlen“ kommt, sonst würde es jetzt garantiert „Mähl“ heißen, ähnlich wie der alte „Stengel“ neuerdings „Stängel“ heißt, weil er von „Stange“ kommt.

Ist schon der Müller sprachlich ein etwas ausgefallener Zeitgenosse,  so gibt es deren noch weitaus merkwürdigere, wie wir gleich sehen werden. Viele Berufsbezeichnungen werden von der ausgeübten Tätigkeit hergeleitet. So ist zum Beispiel jemand, der jagt, ein Jäger, jemand, der dichtet, ein Dichter, jemand, der richtet, ein Richter und jemand, der fischt, ein Fischer. Nicht so der Schmied: der „schmiedet“ zwar, ist aber deshalb keineswegs, wie man erwarten sollte, ein „Schmieder“ sondern eben nur ein „Schmied“.

Es ist schon recht bemerkenswert, welch extravagante Sonderstellung sich dieser Herr anmaßt. Man stelle sich einmal vor, was herauskäme, wenn andere es ihm gleich täten. Dann wäre nämlich der Jäger nur noch ein „Jäg“ oder „Jag“, der Dichter ein „Dicht“, der Richter ein „Richt“ und der Fischer womöglich gar nur noch ein „Fisch“. Wenn jetzt der Fischer Grund hat, sich über diese sinnentstellende Verstümmelung zu entrüsten, was sollte dann erst der Müller sagen, wenn man seine Berufsbezeichnung entsprechend verkürzte?!

Frönen wir einmal kurz dem unschuldigen Vergnügen, uns einige Analogformulierungen  zu dem Satz: „Der Schmied schmiedet in der Schmiede das Eisen.“ auszudenken:

„Der Web webt in der Webe das Tuch.“

„Der Schneid schneidet in der Schneide einen Rock.“

„Der Bau baut in der Baue das Getreide.“

„Der Jag jagt in der Jage das Wild.“

„Der Schlacht schlachtet in der Schlachte das Vieh.“

„Der Lehr lehrt in der Lehre die Schüler.“

„Der Schleif schleift in der Schleife die Scheren.“

„Der Back backt in der Backe das Brot.“

Au Backe! Doch lasset uns kurz in unserem Gelächter innehalten und uns fragen, warum wir eigentlich lachen. Okay, die Vorstellung des in der Backe gebackenen Brotes ist sicher komisch. Doch das ist nur deshalb komisch, weil es einen oder mehrere Körperteile gibt, die man zufällig als „Backe“ bezeichnet. Wäre dem nicht so und würde es stattdessen einen Körperteil namens „Schmiede“ geben, so wäre „Der Schmied schmiedet in der Schmiede das Eisen.“ ebenso lustig. Schließlich sind die beiden Satzbildungen – ausgehend von den Verben „schmieden“ bzw. „backen“ - formal völlig identisch und wirken auf uns nur deshalb so unterschiedlich, weil der eine Satz vertraut und der andere nur ein Fantasieprodukt ist. Doch nur wenn wir ab und zu unsere Fantasie spielen lassen, können wir bemerken, wie hochgradig seltsam oft Dinge sein können, die uns ansonsten so selbstverständlich und altvertraut erscheinen.

Damit sind wir allerdings mit den Wunderlichkeiten der Berufswelt noch keineswegs am Ende. Denn hatten wir uns schon über die Sonderstellung des Schmieds gewundert, fragen wir uns erst recht, was wir mit einem Lotsen oder Boten anfangen sollen. Na ja, der Lotse „lotst“ wenigstens noch, aber was macht der „Bote“? „Boten“ tut er jedenfalls nicht, allenfalls überbringt er Botschaften, Briefe oder Päckchen. Der Winzer macht alles mögliche, nur nicht „winzen“, und der „Küfer“ bestreitet seinen Lebensunterhalt nicht mit „küfen“, obwohl die Fässer, Bütten oder Bottiche, die er macht, hier und da früher auch „Küfen“ genannt wurden.

Offenbar gebricht es nicht wenigen Berufsbezeichnungen sprachlich an einer zugehörigen Tätigkeit. So habe ich noch nie gehört, dass ein Arzt „arztet“, ein Polizist „polizistert“, ein Minister „ministert“ oder ein Kanzler „kanzelt“ oder „kanzlert“. Hieraus allerdings den Schluss zu ziehen, alle diese Herrschaften seien untätig, dürfte nur in Einzel- und Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, in der Regel machen sie einen eher vielbeschäftigten Eindruck. Warum hat es also der Sprachgebrauch verabsäumt, die Tätigkeit der genannten Berufe zu verbalisieren? Sollten die Aktivitäten von Ärzten oder Ministern zu undurchsichtig sein, um sie in Worte zu fassen? Es soll hier niemandem etwas unterstellt werden, aber es ist schon ein wenig verwunderlich, dass etwa dem Beruf des Richters das Tätigkeitswort „richten“ zugesellt ist, während man ein entsprechendes Verb beim Rechtsanwalt vergeblich sucht. Wer übrigens hinreichende Erfahrungen mit Vertretern dieses Berufsstandes sammeln konnte, weiß auch warum: Die Sprache hatte vermutlich einfach Probleme, sich zwischen „lügen“, „betrügen“, „täuschen“ und  „schröpfen“ zu entscheiden.

„Hirt“ und „Wirt“ sind zwei weitere Berufe, denen die  zugeordnete Tätigkeit „hirten“ bzw. „wirten“ fehlt. Zwar „bewirtet“ der Wirt seine Gäste, aber er „wirtet“ nicht. Der Hirt tut noch weniger, indem er weder „hirtet“ noch seine Schafe „behirtet“. Stattdessen „hütet“ er sie und nimmt das Geheimnis, warum er dann nicht „Hüter“ oder noch prägnanter „Hut“ heißt, mit ins Grab.

Abgesehen von den – rein sprachlich gesehen - „untätigen“ Berufen sind zumindest die meisten alteingesessenen Berufe nicht nur real sondern auch verbal aktiv. Beim Bäcker weiß man zwar nie so ganz genau, ob er nun „bäckt“ oder „backt“, aber dass er eins von beiden tut, ist sicher. Vom Metzger weiß man definitiv, dass er zungenbrecherisch „das Metzgermesser wetzt“, aber ob sich seine Tätigkeit jetzt „metzgen“ oder „metzgern“ oder keines von beiden nennt, bedarf noch einer flächendeckenden Klärung.

Dass der Maler „malt“, ist indessen sicher. Doch was malt er eigentlich? Vor dem sprachlichen Hintergrund, dass der Fischer einen Fisch fischt und der Drucker einen Druck druckt, sollte man erwarten, dass der Maler ein „Mal“ malt. Doch weit gefehlt! Nicht einmal das Vorbild des Webers, der ein „Gewebe“ webt, reicht dem Maler. Er gibt sich nicht mit einem simplen „Gemale“ zufrieden, sondern ein hochtrabendes „Gemälde“ muss her. Offenbar müssen Künstler immer ein wenig dicker auftragen als Normalsterbliche. Würde sich der Weber diesen Habitus zu Eigen machen, müsste er sein Gewebe künftig „Gewöbde“ nennen, der Fischer könnte seinen gefangenen Fisch vielleicht als „Gefüschde“ titulieren, und der Drucker würde am Ende gar ein „Gedrückde“ oder – der glatteren Aussprache wegen - ein „Gedrückse“ produzieren.

Sollte der Maler jetzt einen puristischen Rappel kriegen und ihm das „Gemälde“ zu schwülstig erscheinen, könnte er sich immer noch entschließen, ein schlichtes „Bild“ zu malen. Doch halt, wäre die Anfertigung eines Bildes nicht eher Sache eines Bildhauers? Sprachlich sollte es so sein, doch die Produkte bildhauerischer Tätigkeit werden heutzutage nur noch selten „Bilder“ sondern meist „Plastiken“ oder „Skulpturen“ genannt. Im Mittelalter mag es noch so gewesen sein, dass „Bildhauer“ (dreidimensionale) „Heiligenbilder“ fertigten, die dann irgendwann teilweise den „Bilderstürmern“ zum Opfer fielen. Doch heute produzieren Bildhauer eben keine „Bilder“ mehr, sondern „Plastiken“, „Skulpturen“ oder sogar „Denkmale“, sofern es nicht „Denkmäler“ heißt. Letztere wären aber - wörtlich genommen - eher etwas zum Malen und nicht zum Hauen! Denn schließlich heißt es Denk-„male“ und nicht Denk-„haue“, obwohl man sich in Einzelfällen durchaus darüber streiten kann, ob die Verewigten nicht eher eine der letzteren Bezeichnung entsprechende Behandlung verdient hätten.

Nachdem wir uns weiter oben über den Schmied gewundert haben, der mit seiner Berufsbezeichnung so grobschlächtig aus der üblichen Bezeichnungspraxis ausbricht, läuft uns am Abend anlässlich eines Restaurantbesuchs plötzlich ein weiterer Querkopf über den Weg, nämlich der Koch. Auch dieser feine Herr hat es offenbar nicht nötig, sich an allgemeine Regeln zu halten, indem er sich nicht nach dem Beispiel von „Bauer, Schneider, Metzger, Bäcker“ schlicht und bescheiden  „Kocher“ oder „Köcher“ nennt, nein, er gründet mit dem Schmied einen sprachlichen Eliteclub  und nennt sich kurz und prägnant „Koch“.

Allerdings übertrifft der Koch den Schmied noch bei weitem an Extravaganz, wenn es um die Bezeichnung ihrer Arbeitsstätte geht. Denn während sich der Schmied mit einer simplen „Schmiede“ zufrieden gibt, ist dem Koch eine sprachlich analoge „Koche“ nicht genug, ja nicht einmal eine umlautig aufgemotzte „Köche“ reicht ihm. Erst die phonetisch noch weiter entlegene  „Küche“ befriedigt seinen Drang nach sprachlicher Exklusivität. Wenn es dabei dem phonetisch eher düsteren Koch um eine klangliche Aufhellung seines Arbeitsplatzes gegangen sein sollte, ist es ein wenig unverständlich, warum er  beim „ü“ stehen blieb, obwohl die  „Kiche“ noch viel heller geklungen hätte. Vielleicht hat er befürchtet, in einer „Kiche“ würde nicht mehr gekocht sondern nur noch gekichert.

 

Kunterbunte Musikantenwelt

Jemand, der Fußball spielt, ist ein „Fußballer“, jemand, der Geige spielt, ist ein „Geiger“. Demnach sollte jemand, der Flöte spielt, ein „Flöter“ sein. Doch ganz so einfach ist die Sache offenbar nicht, denn im Gegensatz zum „Geiger“ ist der „Flöter“ weder meiner Rechtschreibprüfung noch Dudens Universalwörterbuch bekannt. Der Internet-Enzyklopädie Wikpedia dagegen ist der Begriff „Föter“ sehr wohl geläufig, wenn auch nicht in der Bedeutung eines Flötenspielers sondern als Bezeichnung für eine in Australien und auf südostasiatischen Inseln beheimatete Singvogelfamilie. So gibt es u.a. den Grünrücken- und Braunbrustflöter, den Schwarzschopf- und Grauschopf-Wippflöter, den Busch-, Zimt-, Blau- oder Buntflöter.

Mit einem Vogel möchte natürlich der Flötenspieler, schon gar nicht wenn er ein professioneller ist, verwechselt werden und nennt sich deshalb vornehm „Flötist“. Entsprechend würde sich auch der Oboist entrüstet gegen die Bezeichnung „Oboer“ verwahren, und würde man einen Klarinettisten gar fälschlich als „Klarinetter“ titulieren, müsste man schon fast mit Prügel rechnen. Auch Fagottisten, Saxophonisten oder Hornisten würden sehr aggressiv reagieren, würde man sie als „Fagotter“, „Saxophoner“ oder „Horner“ bezeichnen. Insbesondere letztere könnten sich durch die klangliche Nähe zu „Hornochsen“ empfindlich getroffen fühlen und auf Rache sinnen. Die klangliche Nähe von „Hornisten“ zu „Hornissen“ wollen wir jetzt mal nicht weiter vertiefen.

Allein die „Trompeter“ scheinen ein so dickes Fell zu haben, dass sie nicht nur keinen Anstoß an dieser ordinären Bezeichnung nehmen sondern nicht einmal auf den Gedanken kommen, man könnte sich mit der vornehmerem Bezeichnung „Trompetist“, schmücken, die es in der Standardsprache demzufolge auch gar nicht gibt. Man könnte vermuten, diese Vorliebe fürs Grobe käme von der gewaltigen Lautstärke, die man mit einer Trompete erzeugen kann. Doch dann müsste man sofort schließen, dass Posaunenspieler, deren Instrumente fast noch mehr Krach machen können als Trompeten, unbedingt „Posauner“ heißen müssten, doch die nennen sich jetzt wieder vornehm „Posaunisten“. Selbst die „Tubisten“ mit ihren riesigen grobschlächtigen Instrumenten kämen nicht auf den Gedanken, sich als „Tubaer“ oder „Tuber“ beschimpfen zu lassen.

Trompeter können übrigens „trompeten“, ähnlich wie Geiger „geigen“ und Flötisten „flöten“ können. Posaunisten dagegen können zwar etwas „ausposaunen“, doch das würden sie eher verbal als instrumental tun, denn als Bezeichnung für das Spiel auf ihrem Instrument ist der Ausdruck „posaunen“ zumindest sehr unüblich. Noch weniger kann ein Hornist „hornen“ oder ein Fagottist „fagotten“. Man fragt sich, was letztere überhaupt machen, während die anderen munter „geigen“, „flöten“ und „trompeten“. Dumm rumsitzen und Trübsal blasen?!

Doch Scherz beiseite. Die sprachliche Sonderstellung der Trompeter, die sie mit einigen anderen Instrumentalisten wie „Geigern“, Fiedlern“, Pfeifern“ und „Trommlern“ teilen, könnte damit zusammenhängen, dass ihnen eine besonders alte und traditionsreiche Rolle in der gesellschaftlichen Gebrauchsmusik zukommt.

„Fiedler“ spielten bereits im Mittelalter zum Tanz auf, und als die Fiedel ab dem 15. Jahrhundert  allmählich durch die „Geige“ verdrängt wurde, übernahmen die „Geiger“ ihre Rolle. Obwohl die Geige sich von einer Fiedel recht deutlich unterscheidet, bezeichnet man auch heute noch das Spiel auf der Geige, insbesondere wenn man sich abfällig darüber äußern möchte, als „Gefiedel“.

In der Kölner „Schildergasse“ hatte ich einmal Gelegenheit, der Darbietung eines Straßensängers zu lauschen, der nach guter alter Tradition der fahrenden Sänger des Mittelalters seinen Gesang auf der „Fiedel“ begleitete, und obwohl die „Fiedel“ in Wahrheit eine Geige war, nannte er sich „Klaus der Fiedler“. Sein Äußeres war das eines gesellschaftlichen Aussteigers. Langes struppiges Haar, ein ebenso struppiger Vollbart sowie lange speckige Lederhosen verliehen ihm ein zwar ungepflegtes aber auch imponierend urwüchsiges Aussehen. Die musikalische Komponente seines Auftritts wurde durch einen Akkordeonspieler komplettiert, dessen Rolle allerdings ähnlich untergeordnet war wie die Rolle Manuel Andracks in der Harald Schmidt Show. Sein Gesang war rau und grölend und in erster Linie darauf bedacht, möglichst weithin gehört zu werden. Entsprechendes galt für sein Geigenspiel. Den Bogen hatte er entgegen allen Regeln derart überspannt, dass dieser die Form eines Schießbogens angenommen hatte, und er bearbeitete damit sein Instrument dermaßen vehement, dass nach kurzer Zeit die Hälfte der Bogenhaare zerrissen war. Sein Vortrag war indes so eindrucksvoll, dass er eine erkleckliche Zuhörerschaft zu fesseln vermochte. Wer sich für die deftigen, zum Teil zotigen, zum Teil herb politsatirischen Gesänge dieses urwüchsigen Originals näher interessiert, kann Tonträgeraufnahmen seiner Gesänge im Handel erwerben.

Verzeihen Sie die Abschweifung, aber sie dürfte plastisch machen, wie sehr die „Fiedel“ oder die „Geige“ in der musikalischen Volkstradition verwurzelt sind. Ähnliches gilt für die traditionsreichen „Trommler- und Pfeifer-Korps“, die bei Aufmärschen und Umzügen jeglicher Art in Erscheinung treten. Vom 14. bis 18. Jahrhundert gab es zudem den Beruf des „Stadtpfeifers“, der als städtischer Angestellter für die Ausgestaltung von Festlichkeiten der Stadt verantwortlich war und gegebenenfalls zusätzlich noch als „Türmer“ mit signalgebenden Aufgaben betraut war. (Der Vater des berühmten Johann Sebastian Bach war Stadtpfeifer und Hoftrompeter zu Eisenach.)

Die schon sprichwörtlichen „Pauken und Trompeten“ wurden immer dann eingesetzt, wenn es darum ging, dem Auftritt von Königen, Fürsten oder sonstigen hochgestellten Persönlichkeiten spektakulären Glanz zu verleihen. Angesichts dieser ehrenvollen Aufgabe entpuppt  sich die vorhin als ordinär deklarierte Bezeichnung „Trompeter“ sogar eher als eine Art Ehrentitel und eine Auszeichnung gegenüber anderen weniger bedeutsamen Instrumentalisten. Umso unverständlicher erscheint es deshalb zunächst, warum die stets mit den Trompetern im Doppelpack auftretenden Paukenspieler sich mit der kaum weniger ehrenhaften Bezeichnung „Pauker“ nicht dauerhaft wohl fühlten und sich in „Paukisten“ umbenannten. Dies kann nur damit zusammenhängen, dass sie eine Verwechslung mit schlagwütigen Vertretern der Lehrerschaft  befürchteten, die man bekanntlich in Abkürzung des Begriffs „Arschpauker“ auch als „Pauker“ bezeichnete.

Nachdem wir gesehen haben, dass die auf „-er“ endenden Spielernamen keineswegs, wie es anfangs den Anschein hatte, despektierlich zu verstehen sind, sondern sich im Gegenteil auf besonders wichtige Instrumentalisten mit langer Tradition beziehen, haben wir leichte Schwierigkeiten, die „Schlagzeuger“ und „Keyboarder“ als ausgesprochene „Newcomer“ in diese Reihe einzuordnen. Eine – wenn auch nicht restlos überzeugende - Begründung könnte in der beträchtlichen Popularität der Instrumente und in ihrer stücktragenden Rolle in der zeitgenössischen Popularmusik zu suchen sein.

Freilich könnte man z.B. für die Bezeichnung „Schlagzeuger“ auch rein sprachliche Verlegenheitsgründe anführen, indem man sich einmal schaudernd vorstellt, wie die Alternative „Schlagzeugist“ klingen würde. Doch dies ist kein wirkliches Argument, denn in vielen Fällen, speziell in solchen, die zu sprachlichen Holprigkeiten führen würden, verzichtet man kurzerhand auf eine spezifische Benennung und begnügt sich damit, einfach an den Namen des Instrumentes den Zusatz „-spieler“ anzuhängen. So nennt man z.B. jemand, der Mundharmonika spielt, einfach „Mundharmonikaspieler“, und ich habe noch nie gehört, dass man einen Mundharmonikaspieler auch als „Mundharmonikist“ oder „Mundharmoniker“ bezeichnet, obwohl letzteres durchaus ähnlich edel klingt wie „Philharmoniker“. Gleichfalls sind mir noch nie „Dudelsackisten“ oder gar „Dudelsacker“ untergekommen.

Auch auf den Gedanken, einen Triangelspieler etwa als „Triangelisten“ zu bezeichnen, ist bisher noch niemand verfallen, und gegen die Benennung „Triangler“ gab es Proteste des Deutschen Angelsportbundes. Ebenso wenig ist mir ein Beckenspieler je als „Beckenist“, „Beckist“ oder „Beckener“ über den Weg gelaufen, während die Bezeichnung „Becker“ ohnehin am Veto der deutschen Bäckerinnung scheiterte. Noch weniger gibt es „Gonger“ oder „Gongisten“, „Kastagnetter“ oder „Kastagnettisten“, „Tam-tamer“ oder „Tam-tamisten“. Offenbar fehlt es diesen ein wenig ausgefalleneren Instrumenten an einer hinreichend großen Lobby, um ihren Spielern zu einer spezifischen Tätigkeitsbezeichnung zu verhelfen.

Letztere sucht man auch fast immer vergeblich bei so genannten historischen Instrumenten, die eigentlich nur noch in Museen herumstehen, von denen jedoch einige hin und wieder ausgegraben werden, um alte Musik stilgerecht aufzuführen. Da gibt es Geräte mit so wohlklingenden Namen wie „Clarino“, „Rankett“, „Pommer“ oder „Serpent“, aber es gibt weder einen „Clarinisten“, „Rankettisten“, „Pommeristen“ oder „Serpentisten“. Der „Zinker“ ist kein „Zink“-Spieler sondern eine Romanfigur von Edgar Wallace, und ein „Positivist“ ist nicht der Spieler eines Positivs, sondern der Vertreter einer philosophischen Strömung. Selbst dem Spieler eines so bekannten Instruments wie der Laute war es nicht vergönnt, als „Lautist“, „Lauter“ oder „Lauterer“ in den erlauchten Kreis der spezifisch benannten Musiker aufgenommen zu werden.

Anscheinend bedarf es einer geradezu überwältigenden Popularität, um Bezeichnungen wie „Schlag­zeuger“ oder „Keyboarder“ zu generieren. Was mich als eher klassisch orientierten Klavierspieler dabei ein wenig wurmt, ist der Umstand, dass zumindest sprachlich gesehen das Keyboard dem klassischen Klavier den Rang abgelaufen hat, indem es zwar den „Keyboarder“, nicht aber den „Klavierer“ gibt. Nicht einmal die Ersatzbezeichnung „Klavierist“ wird dem armen Klavierspieler vergönnt, so dass ihm nur der neidische Seitenblick verbleibt auf den „Cembalisten“, den „Organisten“ und sogar den „Akkordeonisten“, der erstaunlicherweise ebenfalls lexikalisch registriert ist.

Will sich der Klavierspieler auch einmal vornehmer benennen, darf er dies als „Pianist“ tun, was aber im Grunde ein sehr merkwürdiger Titel ist. Denn „Pianist“ kommt vom italienischen „piano“, was „leise“ bedeutet, so dass man unweigerlich bei der Frage landet, ob denn ein Pianist ein „Leisetreter“ sei. Diese sprachliche Verwirrung kommt daher, dass man sich angewöhnt hat, die vollständige Bezeichnung des Instruments, das ein „Pianist“ bedient, als „Piano“ abzukürzen. Doch ebenso wenig wie ein Pianist ein Leisetreter ist, ist sein Instrument eines, auf dem man nur leise spielen kann. Das Besondere an diesem Instrument ist vielmehr, dass im Unterschied zu früheren Tasteninstrumenten wie Cembalo oder Spinett der Spieler die Lautstärke durch stärkeren oder schwächeren Anschlag der Tasten beeinflussen kann. Dass man demzufolge laut (forte) und leise (piano) spielen kann, trug dem Instrument den Namen „Fortepiano“ oder auch „Pianoforte“ ein. Aus dem gleichen Grunde, der das „Automobil“ zum „Auto“ werden ließ“, wurde irgendwann aus dem „Pianoforte“ das „Piano“. Warum allerdings nicht ebenso das „Fortepiano“ zum „Forte“ und sein Spieler zum „Fortist“ wurde, bleibt eines der ungelösten Rätsel der Kulturgeschichte, das besonders demjenigen rätselhaft erscheint, der einmal der donnernden Aufführung eines Klavierkonzertes von Prokofjew beiwohnen durfte.

Ich kann noch hinzufügen, dass ich einmal anlässlich eines Konzerts mit „alter Musik“ im zugehörigen Programmheft die Bezeichnung „Fortepianist“ lesen konnte, wogegen mir ein „Pianofortist“ noch nie begegnet ist, und das völlig ungeachtet der Tatsache, dass „Pianoforte“ im Vergleich mit „Fortepiano“ eigentlich die gängigere Benennung ist.

Verlassen wir die sprachlichen Merkwürdigkeiten im Umfeld des Klaviers und kommen  zu einem Instrument, dessen Saiten nicht mit Hilfe einer komplizierten Mechanik sondern noch ganz unmittelbar durch Anzupfen mit den Fingern zum Schwingen gebracht werden. Die Spieler dieses Instrumentes nennen sich „Harfenisten“, was erst dann Anlass zum Staunen gibt, wenn man Vergleiche zu anderen Instrumentalspielern zieht.  Der Spieler einer Klarinette heißt „Klarinettist“, der einer Oboe „Oboist“, der einer Posaune „Posaunist“. Was würden Sie sagen, wenn sich diese Herrschaften plötzlich „Posaunenist“, „Oboenist“ oder „Klarinettenist“ nennen würden?! Doch genau so seltsam benimmt dich der Spieler der Harfe, indem er nicht dem Vorbild aller anderen folgend das Endungs-„e“ seines Instruments durch „-ist“ ersetzt und sich „Harfist“ nennt sondern stattdessen als „Harfenist“ eigensinnig aus der Reihe tanzt. Ob die kapriziöse Namensgebung für den Harfenspieler damit zusammenhängt, dass es sich bei der Harfe um ein ausgesprochenes Dameninstrument handelt, ist allenfalls eine vage Vermutung und sicher nicht schlüssig zu belegen. Immerhin ist es schon ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass die Saiten dieses sprachlich zu Extravaganzen neigenden Instrumentes  fast ausschließlich von weiblichen Händen zum Klingen gebracht werden. Es mag zwar auch vereinzelte männliche Harfenisten geben, doch in all den Konzerten, die ich bisher miterlebt habe, sind mir ausschließlich Harfenistinnen begegnet.

Die Harfe gehört übrigens zu den vielen gezupften Saiteninstrumenten, die auf das Vorbild der antiken „Kithara“ und der mit ihr verwandten handlicheren „Lyra“ zurückgehen. Während die Lyra z.B. in dem Wort „Lyrik“ steckt, finden wir die Kithara abgewandelt in der Gitarre aber auch der Zither wieder. Während man nun einen Gitarrenspieler „Gittarist“ nennt, ist die Bezeichnung „Zitherist“ für einen Zitherspieler unüblich. Auch von einem „Zitherer“ habe ich noch nie gehört, mag Zithermusik auch manchmal leicht zitterig klingen. Um diesem kleinen verbalen Spaß die Krone aufzusetzen, hält die Instrumentengeschichte tatsächlich noch die Bezeichnung „Zitter“ für ein auch „Cister“ genanntes lautenähnliches Zupfinstrument bereit, dessen Spiel von ruhegestörten Nachbarn sicher als fürchterliches „Gezitter“ dürfte empfunden worden sein.

Auch die Familie der gestrichenen Saiteninstrumente ist nicht ganz frei von sprachlichen Merkwürdigkeiten. Wenn man sich z.B. einmal vergegenwärtigt, was sprachlich hinter dem Wort „Cello“ steckt, könnte man Schreikrämpfe bekommen. Haben Sie je von einem „Chenspieler“ oder einem „Leinspieler“ gehört? Genau das verbirgt sich aber hinter dem Wort „Cellist“, denn „cello“ ist eine Endung, die im Italienischen zur Verkleinerung benutzt wird und etwa dem deutschen „chen“ oder „lein“ entspricht. Vollständig heißt das Instrument „Violoncello“, ist also eine kleine „Violone“, nicht zu verwechseln mit „Violine“. Letztere ist nämlich eine kleinere „Viola“ (welche auch als „Bratsche“ bekannt ist) , wogegen „Violone“  ein alter Name für den heutigen Kontrabass bzw. dessen Vorläufer ist und eine stark vergrößerte Viola meint. Da das Wort „Violoncello“ für die wiederum verkleinerte Violone ein wenig lang geraten ist, und Instrumentalmusiker oft ein wenig sprechfaul sind, suchten sie nach einer Abkürzung, und da „Violon“ wegen Verwechslungsgefahr nicht in Frage kam, blieben sie beim „Cello“ hängen, das sich inzwischen trotz der unsinnigen Ursprungsbedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert hat. „Cello“ ist übrigens kaum unsinniger als „Auto“, das übersetzt nichts weiter als „selbst“ heißt und nur in der Zusammensetzung „Automobil“ („Selbstbewegt“) einen Sinn ergibt. Trotzdem weiß jeder, dass in einem „Autohaus“ keine „Automaten“ sondern „Automobile“ verkauft werden. Solange also jeder weiß, was gemeint ist, tun auch unsinnige Abkürzungen ihren Dienst.

Was wäre übrigens die Musik ohne ihre ursprünglichste Form, den Gesang, der in allen möglichen Tonlagen erklingen kann. Eine Sängerin mit sehr hoher Stimme singt „Sopran“ und darf sich „Sopranistin“ nennen, während eine Frau mit tieferer Stimme „Alt“ singt und „Altistin“ genannt wird. Ein Sänger mit Bass-Stimme ist ein „Bassist“, und wie selbstverständlich sollte man jetzt vermuten, dass jemand, der Tenor singt, „Tenorist“ heißt. Doch wie es scheint, hat sich die Sprache den Scherz erlaubt, die Kreation des Begriffs „Tenorist“ einfach zu vergessen. So bleibt nichts weiter übrig als zu sagen: Enrico Caruso war ein berühmter „Tenor“.

Das ist aber gerade so, als würde man von einem berühmten Pianisten als von einem „berühmten Klavier“ sprechen oder einen Geiger als „berühmte Geige“ bezeichnen. Was übrigens ein international renommierter Flötist zu der Ehrenbezeichnung „berühmte Flöte“ sagen würde, muss ich wohl nicht weiter ausführen.

 

Merkwürdige Fälle

Die Berliner Jöre wäre sicher dankbar, wenn man ihr endlich mal richtijet Deutsch lernen würde. Vor allem müsste man sie abjewöhnen, immer die Fälle durcheinander zu bringen. Ja, da wäre denn mal det erste, datt man klarstellt, datt man keinem wat „lernen“ kann, sondern datt er dat „Lernen“ jefälligst selber zu tun hat.

Die Tätigkeit, einem anderen etwas beizubringen, heißt nämlich nicht „lernen“ sondern „lehren“.  Und „lehren“ steht – wie uns die deutsche Grammatik lehrt – nicht mit dem Dativ sondern mit dem Akkusativ. Ob dies damit  zusammenhängt, dass die Lehrer die Schüler lieber im Akkusativ („Anklagefall“) vor sich sehen als im Dativ („Gebefall“), ob es also aus Lehrersicht wichtiger ist, die Schüler im Akkusativ anpfeifen oder anmotzen zu können, als ihnen im Dativ etwas geben zu müssen, ist zwar nicht erwiesen aber auch keinesfalls abwegig. Denn das Band zwischen Lehrtätigkeit und Akkusativ dürfte noch zu Zeiten der „Rohrstockpädagogik“ geknüpft worden sein, als „lehren“ und „prügeln“ noch zwei eng verwandte Begriffe waren. Vielleicht glaubte man damals aber auch, das Wichtigste am Lehren sei, die Schüler zu „leeren“, d. h. ihnen sämtliche Flausen auszutreiben.

Unter ein wenig humaneren Voraussetzungen wäre „lehren“ sicher nicht mit dem Akkusativ sondern mit dem Dativ verknüpft worden. Denn jemand, der „mir“ im Dativ gutes Deutsch erklären, erläutern, beibringen oder nahe bringen kann, der könnte es „mir“ eigentlich auch „gebend“ im Dativ lehren, anstatt „mich“ damit „anklagend“ im Akkusativ zu malträtieren.

Dass der „Dativ“ etwas mit „geben“ (lateinisch: dare, datum) zu tun hat, ist klar, doch warum dieser Fall überhaupt so heißt, ist nicht in gleicher Weise einleuchtend. Denn in aller Regel sitzt im Dativ nicht der Geber, sondern der  Empfänger der Gabe. Wenn man „jemandem“ etwas gibt, sei es nun ein Bonbon oder eine Ohrfeige, so befindet sich der so Beschenkte eindeutig im Dativ. Letzterer ist deshalb weniger ein „Gebefall“ als vielmehr ein „Nehme-„ oder „Empfangsfall“, so dass er – nach dem lateinischen Wort „recipere“ (empfangen) – viel treffender mit „Rezeptiv“ bezeichnet wäre. Die Bezeichnung „Dativ“ dagegen stellt die Realität leicht auf den Kopf, indem sie den Nehmer zum Geber macht.

Aber in unserer Gesellschaft ist eine derartige verbale Verdrehungspraxis keineswegs unüblich, wie das Beispiel von „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ zeigt. Hier findet eine merkwürdige Begriffsverwirrung statt. Denn derjenige, der arbeitet, ist nicht der „Arbeitgeber“ sondern der „Arbeitnehmer“. Im Allgemeinen sollte man erwarten, dass bei einem Geschäft jeder der beiden Partner etwas gibt und etwas anderes dafür nimmt. Der „Arbeitgeber“ sollte also, wie der Name sagt“, Arbeit geben und etwas anderes dafür bekommen. Doch sein Geschäftspartner, der „Arbeitnehmer“,  hat dummerweise nichts anderes anzubieten als seine Arbeit, so dass er dem „Arbeitgeber“ nichts anderes als Arbeit geben kann. Der Arbeitnehmer gibt also dem Arbeitgeber letztendlich nur das zurück, was er zuvor von ihm bekommen hat. Da die effektive Leistung des Arbeitnehmers also unterm Strich gleich Null ist (ist doch logisch, oder?), darf es sich nicht verwundern, wenn der Arbeitgeber sich irgendwann dieses Schmarotzers entledigt und ihn vor die Tür setzt.

Näher an der Wirklichkeit als der „Dativ“ ist in vielen Fällen der „Genitiv“, was man etwa mit „Herkunftsfall“ übersetzen könnte. „Der Sohn des Vaters“ ist ein treffendes Beispiel für die Sinnhaftigkeit dieser Bezeichnung, denn nichts ist klarer, als dass der Sohn vom Vater herkommt. Doch die Freude über erlangten Einklang mit der Vernunft ist nur non kurzer Dauer. Denn warum soll man „des Todes“ unbedingt im Genitiv gedenken? Vielleicht weil der Gedanke von ihm generiert wurde? Klingt logisch, steht aber in krassem Widerspruch zu der Forderung, sich des Akkusativs zu bedienen, wenn man „an ihn denken“ oder „ihn bedenken“ möchte

Der geneigte Leser möge es mir (im Dativ) nicht „verdenken“, wen ich im Folgenden ein wenig abschweifen sollte.

Die Engländer – auf deren einfache Sprache man an dieser Stelle mal wieder einen neidischen Seitenblick werfen kann – kennen zwar auch noch den vorangestellten Genitiv: „A man’s home is his castle“. (Eines Mannes Heim ist seine Burg) Für den alltäglichen Gebrauch bilden sie jedoch den Genitiv meist einfach und einheitlich, indem sie dem betreffenden Wort ein „of“ voranstellen. „The Turn of the Screw“ lautet der Titel einer Oper des britischen Komponisten Benjamin Britten, was in korrektes Deutsch übersetzt heißt: „Die Drehung der Schraube“. Man könnte allerdings auch eine wörtliche Übersetzung vornehmen: „Die Drehung von der Schraube“. Und schwuppdiwupp hat sich die Schraube aus dem Genitiv heraus und in den Dativ hinein gedreht. Man sieht das zwar nicht, weil bei weiblichen Substantiven Genitiv und Dativ formal gleich sind, doch „von“ gehört zu den Präpositionen, die den Dativ erzwingen. Ist es nicht der Gipfel der Absonderlichkeit, dass ausgerechnet die Präposition, die ausdrücklich eine Herkunft bezeichnet, und deren englisches Pendant sogar zur Bildung des Genitivs dient, nicht mit dem Genitiv sondern mit dem Dativ verknüpft wird! Das ist fast so pervers, wie dem Weibe das sächliche Geschlecht angedeihen zu lassen. (vgl. das Kapitel „Kampf der Geschlechter“.)

Apropos Kampf der Geschlechter. Beim Manne ist es ganz selbstverständlich, dass man alle vier Fälle säuberlich unterscheidet: „Der Mann, des Mann(e)s, dem Mann(e), den Mann“. Die Frau dagegen wird folgendermaßen abgespeist: „Die Frau, der Frau, der  Frau, die Frau“. Hierbei wird zwischen dem Nominativ und dem Akkusativ ebenso wenig unterschieden wie zwischen dem Genitiv und dem Dativ. In dieser grammatikalischen Knauserei eine Diskriminierung des weiblichen Geschlechts zu sehen, würde die deutsche Sprache sicher als böswillige Unterstellung zurückweisen und ihre Anwälte einschalten.

Davon abgesehen zeigt das letzte Beispiel aber auch recht deutlich, dass der ganze Wirrwarr unterschiedlicher Flexionen, die man in der deutschen Sprache antrifft, so fürchterlich lebenswichtig gar nicht sein kann. Man fragt sich nämlich, warum es die deutsche Sprache für notwendig erachtet, manche Fälle so penibel zu unterscheiden, während sie andere ebenso bedenkenlos in einen Topf wirft. In „Unser täglich Brot gib uns heute“ ist „uns“ ein Dativ. Doch bei „und führe uns nicht in Versuchung“ ist das gleiche „uns“ ein Akkusativ. „Es blies der Jäger wohl in sein Horn, und das Blasen der Jäger war weithin zu hören.“ Hierin ist „der Jäger“ sowohl der Nominativ Singular als auch der Genitiv Plural.

Wenn sich die deutsche Sprache einen derart schludrigen Umgang mit den Fällen erlauben kann, liegt die Frage nahe, wofür man dann überhaupt noch Fälle braucht. Um uns der Beantwortung dieser Frage zu nähern, erinnern wir uns einmal an eine Passage aus dem köstlichen Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann, der in der Rolle des Primaners Hans Pfeiffer seine Mitschüler zu diversen Streichen anstiftet. So hängt eines Tages an der Pforte des Gymnasiums ein Schild: „Wegen Bauarbeiten geschlossen“. Nachdem sich die Lehrer über die menschenleere Schule gewundert und endlich die Ursache entdeckt haben, fürchten sie eine Blamage und beschließen zu deren Vermeidung einfach so zu tun, als hätten sie das Schild selbst aufgehängt. Am anderen Morgen gefällt sich der Schüler Rosen in der Rolle des Kameradenschweins und meldet sich, um die Übeltäter zu verpetzen. Doch als er gerade begonnen hat: „Es ist wegen dem Schild...“, wird er sofort von Professor Crey, genannt „Schnauz“ harsch unterbrochen: „...des Schildes! Rosen! Es heißt nicht wegen dem Schild sondern wegen des Schildes!“

So, jetzt wissen wir, wozu die Fälle gut sind. Sie dienen in erster Linie dazu, dass sich Szenen wie die oben erwähnte Tag für Tag in ungezählten Klassenzimmern wiederholen können. „Das Bild hängt nicht an die Wand. Wir hängen das Bild an die Wand. Das Bild hängt an der Wand!“ „Es heißt nicht seitlich dem Weg sondern seitlich des Weges!“ „Es heißt nicht neben des Hauses sondern neben dem Hause!“

Es gibt für einen Schüler sicher kein größeres Vergnügen, als brav auswendig zu lernen, welche Präposition welchen Fall nach sich zieht. Und damit es schön viel zu lernen gibt, macht man es in einigen Fällen so richtig schön unlogisch, damit nur ja keiner von selbst drauf kommt. So heißt es etwa nicht „trotz dem schlechten Wetter“ sondern „trotz des schlechten Wetters“. Aber wer kann erklären, warum es dann trotzdem plötzlich „trotzdem“ und nicht folgerichtig „trotzdes“ oder „destrotz“ heißt?! Schließlich sagt man ja auch nicht „demwegen“ sondern „deswegen“, weil „wegen“, wie wir oben professoral belehrt wurden, den Genitiv regiert. „Trotz“ regiert zwar auch den Genitiv, glaubt sich aber wohl als Trotzkopf „trotzdem“ nicht an diese Regel halten zu müssen.

Wie unlogisch es ist, die Herkunftspräposition „von“ mit dem Dativ zu verknüpfen, erwähnte ich schon. Nicht weniger ungereimt ist der „Akkusativ“ nach „für“, das als empfängerbezogene Präposition viel sinnvoller beim Dativ aufgehoben wäre. An diesen beiden Beispielen bewahrheitet sich nicht nur das inzwischen geflügelte Wort: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.“ sondern auch das soeben neu geschaffene: „Der Akkusativ nimmt’s den Dativ weg.“

Überhaupt herrscht zwischen den Fällen  ein wüstes Gezerre um die Präpositionen. So geht man unweit des Meeres im Genitiv spazieren, während man im Dativ nahe dem Ufer stehen bleibt. Mit dem Akkusativ geht man in das Haus hinein, aber aus dem Haus heraus kommt man mit dem Dativ. Warum man nicht „in dem Haus hinein“ geht, hat den oberschlauen Grund, dass „in“ sowohl mit dem Dativ als auch mit dem Akkusativ stehen kann und dabei einen leichten Bedeutungswandel erfährt. „In dem Haus gehen“ bedeutet demnach ein Umhergehen innerhalb des Hauses, während „in das Haus gehen“ das Hineingehen meint.

Vor einer solchen sprachlichen Finesse würde vielleicht sogar ein Kritiker und Verächter der deutschen Sprache den Hut ziehen, wäre da nicht schon wieder sofort die Inkonsequenz, dass die Sprache das Außen nicht genau so behandelt wie das Innen. Würde sie das nämlich tun, könnte man gemütlich im Akkusativ „aus das Haus“ herausgehen und anschließend im Dativ „aus dem Haus“ spazieren gehen. Das wäre sprachliche Konsistenz und Verlässlichkeit. Aber nein: Der Abwechslung halber hat sich die Sprache diesmal darauf kapriziert, mich im Dativ „aus dem Haus“ zu schicken, damit ich anschließend ebenfalls im Dativ „außer dem Haus“ spazieren gehen kann. „Auch gut“, würde ich gerne sagen, aber dann bitte auch in der anderen Richtung konsequent! Dann würde ich nämlich gerne auch „in dem Haus“ hineingehen und „inner dem Haus“ herumspazieren. Auch würde ich gerne das Bild „an der Wand“ hängen, um es anschließend „anner der Wand“ hängen zu sehen.

Wie man sieht, lasse ich gerne mit mir reden, aber ich wünsche mir von der Sprache schon ein gewisses Maß an Konsequenzm. Und genau das ist es, woran es der deutschen Sprache in erschreckendem Maße mangelt. Das Gezerre der Fälle um die Präpositionen und die daraus resultierenden kasuistischen Haarspaltereien sind ebenso lächerlich wie ermüdend, und das einzig befriedigende Ende dieses wenig unterhaltsamen Possenspiels bestünde darin, die Streithähne dem nächsten Hahnenköppverein zu übergeben.

Ja, Sie haben völlig richtig gehört. Ich habe soeben behauptet, man könne auf diese ganzen Fallunterscheidungen weitgehend verzichten. Wenn Sie anderer Meinung sind, denken Sie einmal darüber nach, was es mit dem so genannten „Ablativ“ auf sich hat, den es im Lateinischen gibt. Ich habe nie verstanden, wozu der nütze war, außer dass ich den Spruch auswendig lernen musste: „A ab e ex und de qua sine pro und prae stehen mit dem Ablativ.“ Ich gehe einmal davon aus, dass noch nie jemand von Ihnen im Deutschen den Ablativ wirklich vermisst hat, denn was soll das auch sein, wird sich jeder fragen.

Eben! Und wozu brauchen wir dann außer dem „Nominativ“ noch einen „Genitiv“, „Dativ“ und „Akkusativ“, wäre die nächste Frage. Die ehrliche Antwort kann nur lauten, dass wir sie in Wahrheit hauptsächlich dazu brauchen, um uns das Leben schwer zu machen. Ansonsten könnte man zwar nicht ganz aber weitgehend darauf verzichten. Die Engländer haben das erkannt und die Fälle so gut wie abgeschafftw# bzw. auf das Allernotwendigste beschränkt. Nominativ und Akkusativ brauchen nicht mehr unterschieden zu werden, weil sich Subjekt und Objekt aus der Stellung im Satzbau ergeben, Genitiv und Dativ werden durch die Präpositionen „of“ und „to“ angedeutet. Es gibt nur zwei Artikel, nämlich „the“ und „a“, die lediglich die Funktion haben, zwischen bestimmt und unbestimmt zu unterscheiden. So einfach kann es gehen, wenn man nur will.

Alle die spitzfindigen Unterscheidungen, die uns bisher begegnet sind, könnten hinfällig werden, wenn wir unsere Sprache nach englischem Vorbild vereinfachen würden. Statt „der, die, das“ und noch mal „die“ für den Plural könnten wir einheitlich „die“ sagen (weil „die“ am häufigsten vorkommt), für den unbestimmten Artikel bietet sich „ein“ als kürzeste Variante an. Den Genitiv könnten wir durch Bildungen mit „von“ ersetzen. Was heute durch Dativ und Akkusativ unterschieden wird, könnte sich wie im Englischen entweder aus der Stellung im Satz ergeben oder durch Präpositionen verdeutlicht werden.

Betrachten wir als Beispiel einmal die englische Volksliedzeile: Give a dog a bone.“ In vereinfachtes Deutsch übertragen wäre das: „Gib ein Hund ein Knochen.“ Hier wird einfach durch die Reihenfolge der Satzglieder festgelegt, dass der Hund den Knochen bekommen soll und nicht der Knochen den Hund. Wollte man die Satzglieder vertauschen, würde eine erläuternde Präposition fällig: „Gib ein Knochen an ein Hund.“ entsprechend dem englischen: „Give a bone to a dog.“

Auf gewisse deutschsprachige Spezialscherze wie z.B. das Umstellen von Subjekt und Objekt müsste dann freilich verzichtet werden. Der heute mögliche Satz: „Den Hund schlägt der Mann.“ würde mit Einheitsartikel zu: „Die Hund schlägt die Mann.“, was dann so nicht mehr geht, wenn die Schläge dem Hund und nicht dem Mann wehtun sollen. Aber so furchtbar neu ist dieses Problem nicht, denn auch heute gibt es schon Fälle, wo man die richtige Reihenfolge von Subjekt und Objekt einhalten muss. Wenn die Prügel an die richtige Adresse gelangen sollen, muss es auch heute schon unbedingt heißen: „Die Frau schlägt die Katze.“ und nicht: „Die Katze schlägt die Frau.“

Alles in allem zeichnet sich mehr oder weniger deutlich eine Erkenntnis ab, die man in den lapidaren Satz kleiden könnte:

Fälle sind Abfälle.

In deren Abschaffung bzw. Reduktion auf Unentbehrliches könnte der eine oder andere eine Verarmung der deutschen Sprache sehen. Doch das wäre ungefähr so, als würde jemand, der sein vollgemülltes Zimmer aufräumt, eine Verarmung seiner Umgebung beklagen.

 

Musik, Lyrik und Grammatik

Musik und Lyrik können zwar getrennt in Erscheinung treten als Instrumentalmusik und lyrische Dichtung, doch zu ihrer ältesten und vornehmsten Bestimmung gelangen sie erst, wenn sie sich im Gesang vereinen.

Wie kommt es nun, dass die beiden Geschwister, die so eng zusammen gehören und im Allgemeinen so wunderbar harmonieren, plötzlich uneins sind, wenn es um die Aussprache ihrer Namen geht?! Während die Lyrik der Meinung ist, die erste Silbe müsse betont werden, vertritt die Musik die Auffassung, der Akzent gehöre auf die zweite Silbe. Vom dem auf der ersten Silbe betonten lateinischen Wort  „musica“ kann sie das übrigens nicht geerbt haben, allenfalls vom französischen „musique“.

Dass die heute übliche Aussprache des Wortes „Musik“ mit Ton auf der zweiten Silbe kein Naturgesetz ist, beweist die hessische Spezialität „Handkäs mit Musik“, wobei nicht mehr ganz klar ist, was in diesem Zusammenhang unter „Musik“ zu verstehen ist. Die Theorie, es handele sich um eine Anspielung auf mögliche Verdauungsgeräusche, die durch die in der Marinade enthaltenen Zwiebeln provoziert werden, ist nur eine von mehreren spekulativen Erklärungsvarianten. Wir gehen hierauf nicht weiter ein und begnügen uns mit der Feststellung, dass im vorliegenden Zusammenhang „Musik“ mit kurzem u, weichem s und mit Betonung auf der ersten Silbe auszusprechen ist.

Während die Hessen der standardsprachlich auf der zweiten Silbe betonten „Musik“ in den Rücken fallen, erhält diese ebenso kräftige Unterstützung von der Physik, der Mathematik, der Kritik und sogar von der Politik. Sie alle pochen auf die Betonung der letzten Silbe, wobei einige von ihnen – vor allem die Politiker – aufpassen müssen, dass niemand auf den Gedanken kommt, ihnen einen „Tick“ zu unterstellen.

Dem „Tick“ mit der Schlusssilbenbetonung (mit 3 s!) frönen übrigens nur relativ wenige Disziplinen, während die meisten Fachgebiete ihre Namen auf  weiter vorn liegenden Silben akzentuieren. Zu dieser Mehrheitsgruppe gehören z.B.  die „Numismatik“, die „Belletristik“, die „Artistik“, die „Ethik“, sowie die „Hermeneutik“, „Semantik“, „ Methodik“, „Didaktik“ und „Pädagogik“, um nur einige zu nennen. Auch die „Logik“ zieht am gleichen Strang, wobei manche Logiker die Nase sogar so hoch tragen, dass sie „Logik“ nicht nur auf der ersten Silbe betonen, sondern sogar „Loggik“ sagen und sich dabei ungeheuer gebildet vorkommen.

Phonetisch ganz besonders extravagant gibt sich die Grammatik. Im Gegensatz etwa zur „Dramatik“, die sich vor dem „-tik“ ein langes „a“ wünscht, erheischt sich die „Grammatik“ an der gleichen Stelle ein kurzes „a“, möchte also ausgesprochen werden wie „Gramattik“. Die Grammatik begibt sich auf diese Weise in einen höchst pikanten bis amüsanten Widerspruch zu ihrer Schwester, der Orthografie. Denn diese verlangt der letzten Reform zufolge eine Konsonantenverdopplung nach kurzen Vokalen. So hat es in Zukunft bekanntlich nicht mehr „Stop“ und „Tip“ zu heißen, sondern „Stopp“ und „Tipp“. Dies ist ja auch dringend erforderlich, denn sonst bestünde die akute Gefahr, dass  alle Welt zu der falschen Aussprache „Stoop“ oder „Tiep“ überginge!

Die Grammatik tut freilich so, als hätte sie von alledem nichts gehört, und meint, man könne in ihrem Falle alle gängigen Rechtschreib- und Ausspracheregeln ignorieren. Sollte dieses Beispiel Schule  machen, spricht man demnächst die Statik wie „Stattik“, die Batik wie „Battik“ und die Numismatik wie „Numismattik“.

Im Neuen Testament ist mal irgendwo vom Splitter im Auge des Nächsten die Rede, auf den man mit Fingern zeige, während der Balken im eigenen Auge gar nicht wahrgenommen werde. So geht es hier der Orthografie. Sie stürzt  sich mit Gekreische auf die armen (englischen!) Sünder „Stop“ und „Tip“, ohne zu bemerken, dass die urdeutschen Wörtchen „ab“ und „an“ ja mindestens genau so böse sind, solange sie sich nicht „app“ und „ann“ schreiben. Und dass sie den orthografischen Balken im Auge der Grammatik in Form des unverdoppelten „t“ nach kurzem „a“ großzügig übersieht, ist ja wohl ein übel riechender Fall von Vetternwirtschaft!

 

Musique und Majonäse

In einer Eingabe vom 23. August 1730 an den Rat der Stadt Leipzig legt Johann Sebastian Bach den „Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music“ vor. Bei dem Wort „Music“, das hier den Singular bezeichnet, dürfte es sich um eine Verkürzung des lateinischen Wortes „musica“ handeln. Wenn jedoch im weiteren Verlauf des Briefes eine Mehrzahl musikalischer Veranstaltungen angesprochen wird, benutzt Bach Formulierungen wie „Sontägliche Musiquen“ oder „Fest-Tages Musiquen“.

Als ich mich über diese merkwürdig französelnde Pluralbildung ein wenig moquieren wollte, bemerkte ich zu meiner Überraschung, dass die automatische Rechtschreibprüfung meines Textprogramms zwei der soeben niedergeschriebenen Wörter rot unterschlängelt hatte. Sie war offenbar weder mit „französeln“ einverstanden noch mit „moquieren“.

Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und suchte zunächst im Duden nach „französeln“. Fehlanzeige! Sollte es das Wort am Ende gar nicht geben? Doch die anschließende Suche im Internet beruhigte mich ein wenig, denn das Wort „französeln“ tauchte immerhin auf mehr als hundert Seiten auf. Es schien sich somit zwar um ein recht seltenes Wort zu handeln, war aber immerhin bekannt und jedenfalls keine Neuschöpfung meinerseits.

Aber was war mit „moquieren“? Der Duden behauptete frech, es heiße „mokieren“ und sei vom französischen „se moquer“ abgeleitet. Letzteres war mir bekannt, aber dass man es eingedeutscht mit „k“ zu schreiben hatte, ging mir gegen den Strich. Ich war ziemlich sicher, das Wort früher mit „qu“ gelernt zu haben. Um dies nachzuprüfen, kramte ich aus der hintersten Ecke meiner Bücherregale ein altes Rechtschreibwörterbuch von 1954 hervor. Voller Erwartung blätterte ich mich an die entsprechende Stelle vor und fand zu meiner großen Enttäuschung: „mokieren“. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich. Sollte ich denn auf der Schule wirklich so schlecht aufgepasst haben?

Wenn alle Stricke reißen, hilft oft das Internet. Also mal schnell bei Google „moquieren“ eingegeben, und siehe da: weit über zweihundert Fundstellen, allen voran Meyers Konversationslexikon. In der Online-Ausgabe dieses gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts erschienen Werkes fand ich dann auch säuberlich die Schreibweise „moquieren“ aufgelistet, wenn auch bereits als Alternative zu der ebenfalls möglichen Schreibung „mokieren“. Ich war also doch nicht völlig verblödet sondern allenfalls ein wenig veraltet. Oder besser: unser damaliger Deutschlehrer muss noch einer von der ganz, ganz alten Schule gewesen sein.

Ich bin ja gerne bereit zuzulernen und künftig brav „mokieren“ zu schreiben. Aber warum mit einfachem „k“ und nicht mit „ck“ wie bei „schockieren“?  Letzteres stammt nämlich vom französischen „choquer“ ab und sollte exakt genauso behandelt werden wie „mokieren“. Gleiches gilt für „blockieren“, das sich vom französischen „bloquer“ herleitet. Warum in Dreiteufelsnamen wird hier nicht einheitlich verfahren, sondern mal so und mal so? Das verstehe, wer kann! Heiliger Inkonsequentius!

Die Deutschen scheinen sich überhaupt mit der Einbürgerung französischer Wörter etwas schwer zu tun. Alltäglich marschieren Legionen von Angestellten und Beamten ins „Büro“, aber keiner käme mehr auf den Gedanken, ein original französisches „Bureau“ aufzusuchen. Dagegen hat niemand Hemmungen, zu einem französischen „Friseur“ zu gehen, obwohl er beim eingedeutschten „Frisör“ ebenso  gut bedient würde. Das „Portemonnaie“ müsste er freilich bei beiden zücken, obwohl sich der „Frisör“ neuerdings auch mit dem dudenkonformen „Portmonee“ zufrieden geben würde.

Es gibt übrigens  kaum ein anderes Wort, das man auf so vielfältige Weise falsch schreiben kann wie „Portemonnaie“. Für „Portmonai“ liefert eine beliebte Suchmaschine auf Anhieb 923 Fundstellen, „Portemonai“ bringt es sogar auf 1900. „Portemonne“ ist zwar nur mit 87 Treffern vertreten, „Portemone“ dagegen hat schon wieder 417 Vorkommen. Auf die Idee, „Portemoneh“ sei korrekt geschrieben, kommen zum Glück nur 7 Internetteilnehmer, aber von „Portmonnai“ sind immerhin 453 Networker überzeugt. Wer Lust hat, kann das Spielchen fortsetzen und sich weitere Varianten ausdenken und im Internet danach suchen lassen. Für meine höchst eigene Person ziehe ich aus all dem den Schluss, mich künftig auf die problemlosere Bezeichnung „Geldbörse“ zu besinnen.

Die Rechtschreibreform erlaubt uns inzwischen sogar statt der „Mayonnaise“ die „Majonäse“ auf den „Pommes“. Kleine Zwischenfrage: Müsste es dann nicht auch „Portmonä“ statt „Portmonee“ heißen? Wenn man schon das französische „ai“ durch deutscheigene Laute ersetzt, wäre dann nicht zumindest Einheitlichkeit anzustreben? Letztere könnte man natürlich auch erzielen, wenn man es beim „Portmonee“ beließe und analog dazu Majoneese“ sagen würde. Aber da ist wohl den Rechtschreibreformern die Assoziation einer Berliner Göre, die ihre „Neese“ zu tief in die „Majo“ gesteckt hat, in die Quere gekommen.

Doch bevor ich mich jetzt über all dies zu sehr „eschoffiere“, versuche ich erst einmal rauszukriegen, was die Rechtschreibprüfung denn jetzt schon wieder zu meckern hat. „Eschoffieren“ gibt es nicht, belehrt mich der Duden, es heißt „echauffieren“. Dann gibt es wohl auch keinen „Schofför“? Stimmt, es gibt nicht mal den „Schoffeur“, sondern diesmal wird nur der original französische „Chauffeur“ orthografisch akzeptiert.

So ein „Malör“, dachte ich, wurde aber sofort belehrt, dass es gefälligst „Malheur“ zu heißen habe. Als ich nun zu allem Überfluss noch anfing, darüber nachzudenken, warum es im Deutschen „das Malheur“ (sächlich) heißt, obwohl es sich vom französischen „le malheur“ (männlich!) herleitet, was wiederum soviel bedeutet wie „schlechte Stunde“, wobei das französische Wort für „Stunde“ („heure“) weiblich ist, geriet ich gedanklich leicht ins Trudeln.

Ich fürchte, dies alles kann ich nur einigermaßen verkraften, wenn ich mir jetzt erst mal einen kräftigen Schluck „Konnjack“ genehmige. Denn wie heißt es in „Kölle“ so schön? „Dat wärmste Jäcksche is dat Konnjäcksche.“

 

Jünglinge und Blätterlinge

Wenn ein Junge älter wird, wandelt er sich zum „Jüngling“, doch von einem Knaben, der zum „Knäbling“ wurde, habe ich noch nie gehört. Auch ist der „Ältling“, der ein nahe liegender Kontrast zum „Jüngling“ wäre, völlig unbekannt. Die Nichtexistenz des Begriffs „Ältling“ ist umso erstaunlicher, da als Gegensatz zu ihm nicht nur der „Jüngling“ sondern auch noch der „Neuling“ bekannt ist.

Während jedoch diese sprachliche Lücke noch einigermaßen zu verschmerzen ist, muss man geradezu bekümmert darüber sein, dass es in dieser unserer Welt von „Kümmerlingen“ „Schwächlingen“ und „Feiglingen“ nur so wimmelt, während man weit und breit keinen einzigen „Prächtling“, „Stärkling“, „Mutling“ oder „Tapferling“ antrifft. Selbst der verbal so selbstbewusst auftrumpfende „Schmetterling“ entpuppt sich als Windei, da sich hinter dieser Bezeichnung keineswegs das verbirgt, was sie zu bedeuten scheint. Der Begriff „Schmetterling“ meint nämlich keineswegs einen Preisboxer mit gefürchtetem rechtem Haken sondern ein harmloses Insekt, das mit großen bunten Flügeln sanft durch eine idyllische Frühlingswelt flattert. Er hieße deshalb wohl besser „Flatterling“.

Tröstlich immerhin, dass dem „Widerling“, „Fiesling“ und „Frechling“ mal so etwas Positives wie der „Liebling“ gegenübersteht. Dafür steht der „Fremdling“ wiederum ganz alleine da, denn es gibt weder einen „Bekanntling“ noch einen „Vertrautling“ der sich ihm kontrastierend gesellen könnte. Auch der „Wüstling“ bleibt ohne Gegenpart, denn wer hätte je von einem „Zähmling“ oder „Bravling“ gehört?!

Ist etwas sehr klein, also „winzig“, so spricht man gerne von einem „Winzling“. Der treffendste Gegenbegriff zu „winzig“ ist „riesig“. Bildet man aus ihm nach dem Vorbild des „Winzlings“ ein Substantiv, indem man die Endung „-ig“ durch „-ling“ ersetzt, so entsteht als Kontrastgeberiff zum „Winzling“ der …“Riesling“. Leider hat die Sache den kleinen Haken, dass man unter „Riesling“ eine Rebsorte versteht, deren Weinbeeren alles andere als riesig sind.

Im Reich der Pilze begegnet uns die Silbe „-ling“ auf  Schritt  und Tritt, da sehr viele Pilznamen damit enden. Hier eine kleine Aufzählung:

Wulstling, Porling, Röhrling, Schwindling, Tintling, Brätling, Pfifferling, Leistling, Milchling, Träuschling, Ritterling, Rübling, Stäubling, Täubling, Schleimling, Trichterling.

Natürlich erhebt diese Aufzählung keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur zeigen, wie verbreitet die Endung „-ling“ ist. Außerdem ist sie sehr zweckmäßig, da der Name oft nur die Substantivierung einer charakteristischen Eigenschaft des betreffenden Pilzes ist. So hat der Wulstling einen häutigen Wulst am Stiel, der Porling hat an seiner Unterseite Poren, der Röhrling Röhren, der Leistling Leisten. Der Milchling enthält einen milchigen Saft, der Schleimling hat einen schleimigen Hut, der reife Stäubling staubt und der Tintling zerfließt im Alter zu schwarzer Tinte.

Wie jeder weiß, ist das Verspeisen selbst gesammelter Pilze nur Kennern zu empfehlen, da manche Pilze giftig sind. Deren Aussehen gibt hierüber nur demjenigen Aufschluss, der die Merkmale der einzelnen Pilze genau kennt. Der Laie dagegen wird hoffnungslos in die Irre geführt, da manche wegen ihrer Färbung gefährlich aussehende Pilze durchaus essbar sein können, während Giftpilze ganz harmlos anmuten können. So hat z.B. der „Hexenröhrling“ seinen Namen wohl deshalb erhalten, weil er so hexenmäßig  giftig aussieht, insbesondere weil er beim Aufschneiden tintenblau anläuft. Er ist jedoch völlig ungiftig und sogar ein durchaus schmackhafter Speisepilz, wogegen der harmlos aussehende grüne oder weiße „Knollenblätterpilz“ tödlich giftig ist.

Doch interessieren uns hier eigentlich weniger die Pilze als solche sondern mehr ihre Namen. Insbesondere springt uns die Frage an, warum der „Knollenblätterpilz“ mit seinem Namen dermaßen eigensinnig aus der Reihe der „Pilzlinge“ ausschert. Dass er sich damit in der vornehmen Gesellschaft etwa der „Morchel“  oder „Trüffel“ befindet, ist keine wirkliche Ausrede, denn diese Namen sind so individuell und abgerundet, dass sie keiner zusätzlichen Endung bedürfen. Die Bezeichnung „Blätterpilz“ hingegen weist lediglich darauf hin, dass er an der Hutunterseite Blätter hat, genau da wo sich beim „Röhrling“ die Röhren und beim „Porling“ die Poren befinden. Warum also in aller Welt heißt er nicht „Blätterling“ sondern „Blätterpilz“?!

Natürlich hätte man auch alle die oben aufgezählten Pilze anders benennen können, nämlich als „Wulstpilz“, „Porenpilz“, „Röhrenpilz“, „Schwindpilz“, „Tintenpilz“ usw. Dann würde natürlich der „Blätterpilz“ keinerlei Anstoß mehr erregen, es sei denn er würde sich dann gerade aus Trotz in „Blätterling“ umbenennen. Wie dem auch sei, jedenfalls hat hier wieder einmal der heilige „Inkonsequentius“ ganz schön seine Hand im Spiel gehabt.

 

Obig und untig

Einer meiner Bekannten mokiert sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder gern über das Wort „obig“, das besonders häufig in amtlichen Schreiben vorkommt. Wenn man „obig“ sage, so argumentiert er,  müsse  es entsprechend auch „untig“ und „zwischig“ heißen. Der nüchterne Einwand, „obig“ sei im Gegensatz zu den beiden anderen verbalen Neuschöpfungen  ein durchaus gängiges Wort, das sogar im Duden stehe, beeindruckt ihn wenig. Er beharrt nach wie vor auf der Meinung, „obig“ sei eine völlig indiskutable und alberne sprachliche Missgeburt.

Kürzlich jedoch hatte ich einen Einfall, wie ich ihn verunsichern könnte. Ich fragte ihn, was er von dem Wort „vorig“ halte. Nach einem kurzen Moment erstaunten Zögerns sprang er an: „Ah, du meinst z. B. vorige Woche... Ja, was soll damit sein?“ Sein leicht verunsichertes Kopfschütteln kommentierte ich mit einem verschmitzten Lächeln und meinte, wenn es „vorig“ gebe, müsse es konsequenterweise auch „nachig“ geben. Da aber mein Bekannter ebenso wie ich noch nie etwas von einer „nachigen Woche“ gehört hatte, schien ihn dieses Beispiel ein wenig zum Nachdenken zu bringen, hoffentlich mit dem Erfolg, dass sein ständiges Herumhacken auf dem armen unschuldigen Wörtchen „obig“ ein Ende hat.

„Obig“ ist nämlich in keiner Weise merkwürdiger oder gar unsinniger als „vorig“. Warum also wird „vorig“ bedingungslos akzeptiert, wogegen „obig“ dem einen oder anderen seltsam, fragwürdig oder gar anrüchig erscheint. Man könnte meinen, es läge daran, dass „obig“ im Unterschied zum alteingesessenen „vorig“ eine Wortschöpfung neueren Datums wäre. Dem ist jedoch nicht so. Ich konnte zwar nicht exakt feststellen, wann das Wort „obig“ zum ersten Mal auftaucht, doch dass es bereits im 19. Jahrhundert lexikalisch etabliert war, dürfte reichen.

Ein möglicher  plausibler Grund für die unterschiedliche Akzeptanz der beiden ansonsten doch so ähnlichen Wörter könnte in ihrem unterschiedlichen Bekanntheits- oder besser Vertrautheitsgrad liegen. „Vorig“ ist uns allen durch alltäglichen Gebrauch in der Umgangssprache geläufig und vertraut, wogegen der Gebrauch von „obig“ weitgehend auf geschriebene Texte beschränkt ist. Für jemanden, der nicht allzu häufig mit amtlichen Schreiben oder wissenschaftlichen Abhandlungen in Berührung kommt, kann das Wort daher leicht ein exotisches Flair gewinnen und ihn zur Wahrnehmung einer tatsächlichen oder vermeintlichen Merkwürdigkeit veranlassen.

Aufregen tut man sich in der Regel nur über Sprachphänomene, die relativ neu oder   unbekannt sind. So bin ich zum Beispiel immer noch nicht ganz darüber hinweg, dass Jugendliche ständig irgendwelche Dinge, die sie „cool“ finden, als „geil“ bezeichnen. „Cool“ und „geil“ werden offenbar synonym gebraucht, etwa im Sinne des veral­teten „klasse“, und zwar völlig ungeachtet dessen, dass die beiden Ausdrücke Ihrer eigentlichen Wortbedeutung nach Gegensätze bezeichnen, wie sie krasser nicht sein könnten.

Meine Aufregung über solch verbalen Widersinn beruhigt sich jedoch mit fortschreitender Zeit, und es ist der Tag abzusehen, wo ich nichts mehr dabei finden werde. Sprache ist in allererster Linie eine Gewohnheitssache, und über Altgewohntes denkt man im Allgemeinen nicht mehr nach, es sei denn, man wird durch einen speziellen Anlass dazu angeregt. Normalerweise käme ich nie auf den Gedanken, eine so gängige Formulierung wie „nächste Woche“ zu hinterfragen, aber die obigen Ausführungen über „obig“, „untig“, „vorig“ und „nachig“ haben mich leicht stutzig gemacht.

Wäre es nicht im Grunde viel logischer, „nachige Woche“ zu sagen statt „nächste Woche“? Schließlich  ist „die nächste“ als Superlativ von „die nahe“ primär ein räumlicher Begriff, obwohl man ihn hilfsweise auch auf zeitliche Nähe übertragen kann.  Somit wäre „die nachige Woche“ als primär zeitlicher Terminus wesentlich treffender, wobei nur stört, dass  es das Wort  „nachig“ nicht gibt, weil man in alten Zeiten leider versäumt hat, es zu prägen.

Im Lichte sophistischer Spitzfindigkeit betrachtet, ist die Formulierung „nächste Woche“ sogar ziemlich unglück­lich, da sie - wörtlich genommen – lediglich eine Woche bezeichnet, die der jetzigen aktuellen Woche zeitlich am nächsten ist. Diese Eigenschaft trifft aber nicht nur auf die kommende Woche zu, sondern – vor allem in der ersten Wochenhälfte – ebenso auf die vergangene Woche. Rein logisch gesehen wäre demnach der Satz:  „Nächste Woche waren wir im Urlaub.“ völlig korrekt, denn durch die Vergangenheitsform „waren“ wird klargestellt, dass die der Gegenwart am nächsten liegende der vergangenen Wochen gemeint ist.

Wir sehen also, wenn wir die Bezeichnung „nächste“ wörtlich nehmen, kann Unsinn herauskommen. Wenn im Wartezimmer des Arztes die freundliche Aufforderung: „der Nächste bitte“ wörtlich genommen würde, dürfte ihr eigentlich immer nur der am nächsten an der Tür Sitzende  Folge leisten. Dass die Aufforderung dennoch richtig verstanden wird, kommt daher, dass wir die ursprüngliche Wortbedeutung erweitern, ergänzen oder kontextbezogen interpretieren. „Der Nächste bitte!“ wird automatisch umgedeutet in „der Folgende bitte!“

Wenn man erst einmal nachzudenken beginnt, kann einem plötzlich Altvertrautes höchst merkwürdig erscheinen, und die seltsamsten Fragen können sich aufdrängen.

Wenn es schon kein Pendant zu „vorig“ in Form von „nachig“ gibt, warum gibt es dann nicht einmal eine Entsprechung zu dem Begriff „Vortag“? Wenn ich z.B. sagen kann: „Am Vortag des 11. September 2001 war die Welt noch in Ordnung.“  müsste ich doch eigentlich auch sagen können: „Am Nachtag des 11. September lag eine zuvor heile Welt in Scherben.“ Geht aber nicht, weil es das schöne Wort „Nachtag“ im allgemeinen Sprachgebrauch nicht gibt. Also muss ich mit Behelfsformulierungen wie „am folgenden Tag“ herumwursteln.

Entsprechend zu den „Vorfahren“ gibt es die „Nachfahren“, entsprechend zum „Vorteil“ gibt es den „Nachteil“, zur „Vorsicht“ gehört die „Nachsicht“, warum also zum Teufel gibt es analog zum „Vortag“, zur „Vorwoche“, zum „Vorjahr“ keinen „Nachtag“, keine „Nachwoche“, kein „Nachjahr“? Offenbar besteht hier ein gewisser sprachlicher Nachholbedarf, weil frühere Generationen den entsprechenden „Vorholbedarf“ nicht erkannt haben.

Man darf sich übrigens nicht dazu verleiten lassen, manche Wörter auf der Zunge zergehen zu lassen, sonst gerät man auf die abwegigsten  Gedankenpfade. Was kann ich mir etwa unter dem vorhin erwähnten Begriff „Vorteil“ konkret vorstellen? Wenn ich es zeitlich verstehe, könnte ich an steinzeitliche Hackordnungen denken, wo der Häuptling  als erster ein Stück von der erlegten Beute abbeißen  durfte und sich somit seinen „Vorteil“ sichern konnte, während sich die anderen mit den weniger schmackhaften „Nachteilen“ zufrieden geben mussten.

Wenn ich es dagegen räumlich verstehe, weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich denken soll.  Das Gegenstück zum „Vorhof“ ist nämlich nicht der „Nachhof“ sondern der „Hinterhof“. Folglich sollte das räumliche Gegenstück zum „Vorteil“ nicht der „Nachteil“ sondern das „Hinterteil“ sein.

Was man sich nach diesen Überlegungen allerdings unter einem „Vorteil“ vorzustellen hat, überlasse ich lieber der Fantasie des Lesers!

 

Plural-Pluralismus

Die Briten haben es – wie fast immer - mal wieder gut! Man hänge ein „s“ ans Wort und fertig ist der Plural. Na ja, ein paar  Spezialfälle gibt es schon: „wife“ wird zu „wives“, statt „ladys“ heißt es „ladies“, und  wenn ein Wort mit einem Zischlaut endet, wird sinnvollerweise aus artikulatorischen Gründen ein „e“ vor dem „s“ eingeschoben, also nicht „boxs“, was phonetischer Nonsens wäre, sondern „boxes“. Aber das ist auch schon ziemlich alles, sieht man mal von dem knappen Dutzend unregelmäßiger Mehrzahlbildungen ab, die sich als historisch gewachsene Zöpfe leider auch im Englischen gehalten haben. So heißt es z. B. nicht „mans, womans, childs“ – wie es der allgemeinen Regel entspräche - sondern „men, women, children“. Außerdem wird etwa „foots“ durch „feet“ oder „mouses“ durch  „mice“ ersetzt.

Wenn man nun auch im Englischen eine locker überschaubare Anzahl unregelmäßiger Einzelfälle auswendig zu lernen hat, so ist dies zwar lästig, jedoch in keinster Weise mit der unsäglichen Mühe zu vergleichen, mit der man sich durch das elende Gestrüpp der deutschen Plurale durchkämpfen muss. Oder heißt die Mehrzahl von „Plural“ etwa „Plurals“, „Pluräle“, „Pluralen“, Pluräler“, oder am Ende gar „Plurales“, „Pluralata“, „Pluralanten“ oder „Pluralien“? Es ist wahrlich zum Jungehundekriegen und Mäusemelken, wenn man sich mit all den Merkwürdigkeiten und Unvorhersehbarkeiten der deutschen Mehrzahlmanufaktur herumschlagen muss.

Lautet die Mehrzahl von „Sau“ nun eigentlich „Säue“ oder „Sauen“? Der Duden lässt beide Formen zu, und da mich das wundert und mich der Unterschied mal interessiert, lasse ich im Internet zunächst nach „Sauen“ suchen. Als Erstes erfahre ich, dass es in Brandenburg ein kleines Dorf dieses Namens gibt, wobei sich letzterer allerdings von dem wendischen Wort  „Sawen“ (=Eulenbusch) herleitet und daher weder mit „Säuen“ noch mit „Sauen“ etwas zu tun hat, es sei denn, die Sauen haben etwas mit Eulenbüschen zu tun. Es könnte ja immerhin sein, dass man in früheren Zeiten Wildschweinen, also Sauen vorwiegend  nächtens in solch unheimlichen Waldregionen begegnen konnte. Des Weiteren führt die „Sauen“-Suche auf eine ganze Reihe von Internetseiten, die sich mit Jagd und Viehzucht beschäftigen.

Die Suche nach „Säue“ dagegen erbrachte als erstes Schlagwort: „Extrem-Säue“. Dass es sich hierbei nicht um einen Bericht über besonders prächtige Resultate der Schweinezucht handelte, wurde mir klar, als ich weiterlas: „Diese Säue machen einfach alles. Lecken Männer-Arsche, lassen sich anpissen und sufen Sperma wie andere Wasser. Echt Extrem.“ (Rechtschreibfehler nicht von mir!) Unter dem Stichwort „Abartige Säue“ hieß es dann:Ob Blasen, Arschfick oder Faust diese Girls machen alles. Hier wird gefickt bis der letzte Sack leer ist.“ (Zeichensetzung nicht von mir!)

„Wilde Säue heute“ las ich als Nächstes. Doch hierbei handelte es sich nun nicht wie vorhin - und wie man leicht vermuten könnte - um eine pornografische Angelegenheit sondern um die Homepage einer esoterischen Bewegung, die sich mit „Frauenzentrierter Spiritualität“ befasst. Dunkel-geheimnisvolle Poesie sowie ein Hauch von Hexerei und rituellem Satanismus walteten hier.

Doch neben menschlichen „Säuen“ tauchten auf zahlreichen Internetseiten auch echte weibliche Schweine auf, die als „Säue“ bezeichnet wurden, und zwar unabhängig davon,  ob es sich um Wild- oder Hausschweine handelte. Eine saubere Begriffstrennung ist also völlig unmöglich, es geht wieder mal wie Kraut und Rüben durcheinander. Somit würde es keinerlei wirklichen Bedeutungsverlust ausmachen, wenn man statt der beiden verschiedenen Pluralformen nur eine einzige hätte.

Schauen wir uns jetzt kurz zwei Wörter an, die sich auf „Sau“ reimen: „Tau“ (=Seil) und „Bau“. („Frau“ nehme ich bewusst nicht, weil mir das im vorliegenden Kontext falsch ausgelegt werden könnte.)  Wer nun glaubt, der Plural von „Tau“ wäre dem Gelernten entsprechend „Täue“ oder „Tauen“, irrt sich gewaltig, denn es heißt in Wahrheit „Taue“, und die Mehrzahl von „Bau“ entspricht keinem der bisher gesehenen Muster, indem es plötzlich „Bauten“ heißt. So, da haben wir jetzt bei der Betrachtung dreier Reimwörter vier verschiedene Pluralformen erlebt. Da könnte einem schon leicht der Hut hochgehen!

Sollte jetzt nicht nur mir sondern auch noch anderen Leuten der Hut hochgehen, so täten sie das in der Mehrzahl als „Hüte“. Und wenn nach all diesem germanistischen Frust jemand der Meinung ist, das Leben sei der „Güter“ höchstes nicht, so kann er sich in den „Fluten“ ertränken. Hier sind uns bei drei Reimwörtern (Hut, Gut, Flut) – fast ist man schon geneigt zu sagen: „nur“ – drei unterschiedliche  Pluralformen aufgestoßen, nämlich „Hüte, Güter, Fluten“.

Muss das wirklich so kompliziert sein? Gehört es zum schützenswerten Wesen deutscher Sprache, ihre ständigen Nutzer im Zustand permanenter Unsicherheit zu halten und ihre Erlerner zur nackten Verzweiflung zu treiben? Was würde die deutsche Sprache von ihrer Würde und ihrer Schönheit einbüßen, wenn die Pluralbildungen einen Hauch einheitlicher wären?!

Im Prinzip könnte man es machen wie die Engländer und überall einfach ein „s“ anhängen. Das Ergebnis wäre sicher nicht undenkbar, aber aus sprach-ästhetischen Gründen nicht voll überzeugend. Was würden insbesondere die Frauen sagen, wenn sie plötzlich als „Fraus“ bezeichnet würden. O Graus!

Aber wie wär’s mit „Fraue“? Das kommt einem aus dem „Hessische“ doch schon recht bekannt vor. Warum also nicht mal ausnahmsweise von den „Hesse“ lernen und zwecks Pluralbildung einfach überall ein „e“ anhängen?  Mal sehn, ob’s funktioniert! Unsere bisherigen Beispiele würden dann zu: „Saue, Taue, Baue, Hute, Gute, Flute“. Klar ist jedes Ungewohnte zunächst einmal gewöhnungsbedürftig, aber würde es wirklich einen gravierenden Unterschied machen, ob der Jäger „auf Sauen“ oder „auf Saue“ geht, oder ob der Lüstling sich von „Säuen“ oder von „Saue“ den Schwanz blasen lässt?! Ist es von Wichtigkeit, ob sich der Wohnung(s)suchende „Bauten“ oder „Baue“ anschaut?! Ob man „Hüte“ oder „Hute“ auf dem Kopf trägt, dürfte kaum jemand wirklich tangieren, und ob man sich nun in die „Fluten“ oder in die „Flute“ stürzt, kann einem nicht nur hinterher ziemlich egal sein!

Ein kleines Problem ergibt sich bei „Gut“, denn  „Gute“ wäre im Unterschied zu „Güter“ ein  so genanntes „Teekesselchen“, würde also die (Land-) „Gute“ von Herrn Zitzewitz-Schnadebrink ebenso bezeichnen wie Else, die „Gute“, die bis zu ihrem Grasbiss immer so selbstlos für die Ihren schaffte. Doch ich denke, dies ist kein allzu ernsthaftes Problem, da sich die Bedeutung solch doppeldeutiger Begriffe immer aus dem Zusammenhang ergibt.

Man denke z.B. nur an die Bank in der Bank, auf die man sich setzt, um zu warten, bis der Anlageberater seinen aktuellen Kunden abgefertigt hat und man selbst an der Reihe ist. Jedem ist klar, dass hier zwei völlig verschiedene ... Dinge gemeint sind, wobei ich den Begriff „Dinge“ jetzt nur wähle, weil ich nicht weiß, ob ich „Banken“ oder „Bänke“ sagen soll. Denn was sich im Singular so einträchtig unter dem Begriff „Bank“ zusammenfügte, will plötzlich im Plural fein säuberlich geschieden sein: Auf den „Bänken“ im Park darf man sich ausruhen, wogegen man Geldgeschäfte ausschließlich mit „Banken“ zu tätigen hat. Warum plötzlich diese pluralistische Haarspalterei, nachdem das Hirn zuvor im schlaftrunkenen Nebel singularer Gleichmacherei eingelullt wurde?! Dies dürfte wohl zu den Bocksprüngen der deutschen Sprache gehören, die ihr einerseits einen  Anflug liebenswerter Jugendlichkeit verleihen, andererseits aber auch offenbaren, dass bis zum Erwachsenenstadium noch einiges an Erziehungsarbeit zu leisten ist.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre vielleicht eine Reduktion des Plural- Pluralismus „Bänke“- „Banken“ auf den gemeinsamen Plural „Banke“. Dann könnte man beruhigt nach Erledigung seiner Geschäfte und wenn die „Banke“ geschlossen haben, sich zu Erholungszwecken auf die „Banke“ im Park begeben.

Bis hier scheint unsere Pluralvereinfachung durch das angehängte „e“ gar nicht so schlecht zu funktionieren. Aber was würden die Männer sagen, wenn sie im Plural plötzlich „Manne“ genannt würden? Möglichen Aufruhr könnte man ohne Not mit triftigen Argumenten abwiegeln. Der Ausdruck  „Manne“ ist nämlich im Grunde super, weil er bestens mit so wohlklingenden Wörtern wie „Anne“, Tanne“ und „Wanne“ harmoniert, wogegen die Bezeichnung  „Männer“ ähnlich „bemännert“ klingt,  wie „Lämmer“ belämmert und „Hämmer“ behämmert klingen. Die Herren der Schöpfung können also von dieser Umbenennung nur profitieren.

Im Englischen gibt es unter der eingangs erwähnten Handvoll unregelmäßiger Mehrzahlbildungen  exakt zwei Fälle, bei denen der Plural mit dem Singular identisch ist, nämlich „fish“ und „sheep“. Dies sei den Briten als kleines antilogisches Schönheits- Piercing für ihre Sprache gegönnt!

Aber wie steht es damit im Deutschen? Die Liste von Wörtern mit identischem Singular und Plural ist lang: „Wagen, Kragen, Kegel, Flegel – fast alles auf ...egel  - Hebel, Nebel, Giebel, Feuer, Wasser...“ Ich glaube das reicht. Irgendwann fragt man sich, warum man Pluralendungen nicht überhaupt ganz abschafft. Genauso  wie man aus einem Flegel mehrere macht, indem man den Artikel „der“ durch den Artikel „die“ ersetzt, könnte man dieses geniale Verfahren durchgängig nutzen. Also „die Mann“, „die Hund“, „die Baum“, „die Traum“, „die Pferd“, „die Klavier“ usw. Dummerweise wäre dieses Verfahren nur auf männliche  und sächliche Nomen anwendbar, für weibliche müsste man sich etwas anderes einfallen lassen. Also verwerfen wir diesen Gedanken lieber mal wieder!

Wer will es der imaginären französischen Freundin verdenken, wenn sie fragt: „Cheri, kann  isch mal die Wagen aben?“ Woher soll die Arme wissen, dass „die Wagen“ Plural ist, wenn „Wagen“ ebenso gut der Singular sein kann?! Und dass sie „die“ als Artikel verwendet, ist ein aus der Not geborener Kompromiss. Da sie ihre Versuche, sich im Chaos des deutschen Geschlechterdschungels zurechtzufinden, als hoffnungslos erkannt und demzufolge aufgegeben hat, nimmt sie das Wörtchen „die“ als Einheitsartikel, da der am häufigsten verwendet wird, nämlich für den Plural und  einen der drei Singulare, übrigens auch mal wieder eine schwer zu begreifende Marotte oder Macke der deutschen Sprache. Die Franzosen jedenfalls waren nicht zu geizig, dem Plural einen eigenen Artikel zu schenken.

Bei durchgängiger Einführung einer Pluralbildung durch angehängtes „e“ wären alle Unklarheiten beseitigt. „Wagen“ wäre dann Singular und „Wagene“ Plural. Wem die so entstehenden Mehrzahlformen wie z.B. „Kragene, Hebele, Giebele, Feuere, Wassere“ gegen den Strich gehen, möge sich klar machen, dass dies nur gilt, solange es ungewohnt ist. Und letztendlich gewöhnt man sich an allem, sogar am Dativ.

Bei Wörtern, die bereits mit „e“ enden, müsste man natürlich wie bisher ein „n“ anhängen, was aber eine völlig unproblematische Angelegenheit wäre. Leichte Probleme könnte es nur mit  Wörtern geben, die auf andere Vokale auslauten.  Wie soll die Mehrzahl von „Gnu“ lauten: „Gnue“ oder doch besser „Gnus“. Hier sollte man sich wohl für das „s“ entscheiden, weil sich das schon weitgehend eingebürgert hat. Man sagt nicht „Kängurue“ sondern „Kängurus“, man sagt auch nicht „Papae“ sondern „Papas“. Bei „Komma“ wäre auszudiskutieren, ob man die Pluralbildung „Kommas“ zulassen oder an den hochnäsigen „Kommata“ festhalten möchte.

Sieht man mal von einem überschaubaren Rest speziell zu regelnder Einzelfälle ab, so könnte sich die Pluralbildung im Deutschen nach drei Regeln abspielen:

1. Im Normalfalle wird der Plural durch ein angehängtes „e“ gebildet.

2. Bei Wörtern, die auf „e“ enden, wird ein „n“ angehängt.

3. Bei Wörtern, die auf von „e“ verschiedene Vokale enden, wird ein „s“ angehängt.

Kopfzerbrechen macht mir am Ende nur noch das dumme Rindvieh. Wie soll man die Mehrzahl von „Kuh“ bilden“? „Kühe“ würden wir gerne abschaffen und durch etwas anderes, einfacheres ersetzen. „Kuhe“ würde gehen, ist aber noch nicht ganz befriedigend, weil das „h“ in „Kuh“ eigentlich überflüssig ist und man daher zu der Schreibweise „Ku“ übergehen sollte. Jetzt könnte man zwar „Kue“ sagen, aber dann würde sich das Gnu zu Recht beschweren. Deshalb müsste man im Sinne der Gleichbehandlung - den „Gnus“ entsprechend - von „Kus“ reden.

Noch besser und noch kürzer wäre allerdings „Qs“, doch das wäre wohl einen Hauch zu innovativ, oder? Doch was spricht eigentlich im Grunde dagegen, die „Kuh“ in „Q“ umzutaufen, denn wofür haben wir schließlich diesen Buchstaben?!

 

Rechtschreibprüfung

Das Textverarbeitungsprogramm meines Computer verfügt neben vielen anderen Annehmlichkeiten über eine Rechtschreibprüfung, die eine sehr hilfreiche und komfortable Angelegenheit ist, weil man durch sie der lästigen Mühe enthoben wird, ständig auf läppische Flüchtigkeitsfehler achten zu müssen.

Tippt man z.B. „Wunst“, ein Wort also, das unserem Sprachschatz fehlt, so wird dieses Wort sofort rot unterschlängelt, und man bekommt nach Anklicken des Wortes mit der rechten Maustaste eine Reihe von Korrekturvorschlägen angeboten, die von „Wust“ über „Wurst“ und „Wulst“ bis hin zu „Wanst“ reichen. Man braucht jetzt nur noch auf die gewünschte Alternative zu zeigen und schon ist der Fehler ausgebügelt. Es sei denn, man hat das Pech, das richtige Wort nicht in der angebotenen Liste zu finden. Hätte man etwa „Wunsch“ statt „Wunst“ tippen wollen, wäre man gekniffen, weil „Wunsch“ nicht angeboten wird. Aber das darf man kaum verübeln, weil „Wunsch“ einen Buchstaben mehr als „Wunst“ hätte und somit in der Liste fehl am Platze wäre. Andererseits wird „Wust“, das einen Buchstaben weniger als „Wunst“ hat, sehr wohl angeboten, so dass man leicht verunsichert nach den Kriterien für die Auswahl der Korrekturvorschläge zu fragen geneigt ist.

Von solchen leichten Ungereimtheiten abgesehen ist das Programm aber wirklich der Gipfel des Komforts. Vorhin zum Beispiel hatte ich versehentlich „dei“ getippt, was ich auch sofort bemerkte und korrigieren wollte. Aber noch bevor ich die Rücktaste betätigen konnte, hatte der Computer schon selbsttätig aus dem „dei“ ein „die“ gemacht.

Wie haben sich doch die Zeiten geändert! Vor über dreißig Jahren musste ich einmal eine Examensarbeit tippen. Und zwar auf einer alten mechanischen Schreibmaschine mit Typen und Farbband. Elektronische Schreibmaschinen – geschweige denn Computer - gab es damals noch nicht oder gehörten zumindest nicht zur Ausrüstung eines Studenten. Man hatte uns eingeschärft, Tippfehler seien verboten und der Gebrauch von Tipp-Ex verpönt. Was für ein niederschmetterndes Gefühl, wenn man morgens um fünf Uhr im Zustand völliger Übermüdung in der vorletzten Zeile einer Seite auf die falsche Taste haute! Völlig entnervt den vermasselten Bogen aus der Schreibmaschine zu ziehen, ihn nahezu verzweifelnd zerknüllt in den Paperkorb zu werfen, um sodann  einen jungfräulichen Bogen einzu­spannen und unter  Sisyphusqualen die Mount-Everest-Besteigung einer fehlerfrei zu tippenden Seite erneut in Angriff zu nehmen, wer kann das heute noch nachvollziehen?!

Heute kann man drauflos tippen, was das Zeug hält, und braucht sich um Fehler kaum noch zu scheren. Entweder meldet sich die Rechtschreibprüfung durch rote Schlangenlinien oder die Autokorrektur tritt in Aktion. Angenommen zum Beispiel, jemand tippt altmodisch und Rechtschreibreform-antikonform „dass“ mit „ß“, so ist dies völlig unmöglich, weil das Programm sofort und ohne weiteres Zutun das „ß“ in ein „ss“ umwandelt. Es findet sozusagen eine vollautomatische Korrektur statt, gegen die man sich kaum wehren kann, es sei denn man findet in einem verstecken Menü das Kontrollkästchen, mit dem man die Autokorrektur abschalten kann.

Mit dem Spieltrieb erwacht auch der Schalk: Ich tippe einmal „Mose“ und denke dabei im Hinterkopf an ein ähnlich geschriebenes weniger heiliges Wort, das der Leser leicht erraten wird. Mal sehen was passiert. Das Ergebnis ist einigermaßen verblüffend: Offenbar kennt das Programm das Wort „Mose“ nicht. Es moniert einen Schreibfehler und  macht folgende Berichtigungsvorschläge: “Morse, Mopse, Mosre, Moose, Moshe”. Vielleicht liegt es an meiner mangelhaften Bildung, aber die Wörter „Mopse“ und „Mosre“ sind mir unbekannt, und was den Verbesserungsvorschlag “Moshe” anlangt, so ist damit wohl der israelische Eigennahme des alttestamentarischen Patriarchen gemeint, den wir im Allgemeinen unter dem Namen „Moses“ kennen. Erfreulicherweise wird das Wort  „Moses“ von der Rechtschreibprüfung nicht beanstandet, aber warum soll „Mose“ falsch sein? Schließlich ist diese Form des Namens keineswegs ungebräuchlich, jedenfalls habe ich noch eine alte Bibel im Schrank stehen, wo der gute Mann „Mose“ heißt und nicht „Moses“, was  im Grunde auch viel einleuchtender ist, da er in Israel ja auch nicht „Moshes“ sondern „Moshe“ heißt.

Doch ich wollte mich jetzt nicht mit dem alten Testament auseinandersetzen sondern die Geheimnisse meines Rechschreibprüfprogramms ergründen. Also die Wörter „Mopse“ und „Mosre“ sind nicht nur mir, sondern auch dem Duden unbekannt. Wohl gibt es Mops, Möpse, mopsen, morsen und mosern, aber „Mopse“ und „Mosre“ sind einfach nicht bekannt und wie sie in den Thesaurus der Rechtschreibprüfung gelangt sind, ist ein Rätsel. Da hat wohl jemand gemistelt, bzw. da es dieses Wort nicht gibt, gewurstelt oder geferkelt.

Trotz solcher punktuellen Problemfälle bleibt die Rechtschreibprüfung ein wundervolles Attribut modernen Komforts. Und die kleinen Schwächen werden sicher im Lauf der Zeit mehr und mehr ausgebügelt werden. Gelegentlich schlägt dieser Komfort aber auch in sein Gegenteil um und hängt einem geradezu als Klotz am Bein, weil das Programm manchmal eine sture Schulmeisterlichkeit entwickelt, die selbst auf der Schule im Allgemeinen unüblich ist.

So habe ich z. B. ungefähr eine Stunde gebraucht, um herauszufinden, wie man dem Programm die Unart abgewöhnt, jeden ersten Buchstaben eines Satzes oder Absatzes in einen Großbuchstaben zu verwandeln, was ja im Allgemeinen durchaus angenehm ist, andererseits aber auch zur nervtötenden Belästigung werden kann, wenn man es ausnahmsweise einmal anders haben will. So wollte ich zum Beispiel „zum Beispiel“ an den Anfang einer Zeile setzen. Doch kaum hatte ich das erste Wort eingetippt und wollte zum zweiten übergehen, stand da nicht mehr „zum“, sondern „Zum“. Sicher hätte die Großschreibung kein gravierendes Sinnproblem aufgeworfen, d.h. die Verständlichkeit wäre nicht in Frage gestellt gewesen, doch ich wollte mich dem Diktat der Maschine nicht widerspruchslos beugen: aus purem Eigensinn wollte ich den ersten Buchstaben klein haben. Doch das erwies sich als ein unerwartet schwieriges Unterfangen: Stundenlang musste  ich die Menus, Hilfetexte und versteckten Optionen des Programms durchsuchen, bis ich endlich irgendwo ein zu deaktivierendes Kontrollkästchen entdeckte, dessen Anklicken dem Spuk ein Ende setzte.

 

Singsang und Tingeltangel

Dem Singen gesellt sich gern das Klingen, zum Sang passt der Klang.  Aber wo mag sich der Bruder des „Gesangs“, der „Geklang“ verkrochen haben? Er lässt uns schmählich im Stich, wenn es darum geht, eine dem Gesang adäquate Bezeichnung für die Instrumentalmusik zu finden.  Da gibt es dann höchstens das „Geklinge“, das aber schon fast so abfällig wirkt wie das „Gesinge“. Wirklich nur „fast“, denn um richtig abfällig über instrumentale Darbietungen zu urteilen, gebraucht man eher das Wort „Geklingel“. Das hierzu gehörige vokale Pendant „Gesingel“ gibt es jedoch merkwürdigerweise nicht.

Vom Geklingel ist es nicht mehr weit zum „Getingel“, einem Wort, das der Duden erstaunlicherweise nicht kennt, obwohl ihm „tingeln“ und „Tingeltangel“ durchaus geläufig sind. Man sollte nun eigentlich erwarten, dass man die seichten instrumentalen oder vokalen Darbietungen, die man im Tingeltangel zu hören bekommt, entsprechend „Klingelklangel“ oder „Singelsangel“ nennen würde. Doch dem ist nicht so. Allenfalls von „Singsang“ oder „Klingklang“ ist da schon mal die Rede, so dass man eigentlich nicht ganz versteht, warum man sich nicht auch mit der Bezeichnung „Tingtang“ begnügt.

„Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp klapp.“ heißt es im Volkslied. Die Mühle kann also demnach „klappern“, und wenn alles in Ordnung ist, „klappt“ sie sogar. Aber kann sie auch „klippen“ oder gar „klippern“? Hierzu ist sie angeblich nicht imstande, obwohl sie dem Lied zufolge keineswegs nur „klapp“ sondern auch „klipp“ macht. Dafür kann zum Ausgleich die Uhr nur „ticken“ aber nicht „tacken“, so dass man nur schwer versteht, wie sie trotzdem ihr ständiges „Tick Tack“ zuwege bringt. Vielleicht hat sie noch einen kleinen Hilfstacker eingebaut? Streng genommen kann freilich selbst ein „Tacker“ nicht „tacken“, weil seine Tätigkeit „tackern“ heißt. Letzteres versteht man aber auch nicht hundertprozentig, weil man sich wundert, warum dann ein Packer nicht „packert“ oder ein Kacker nicht „kackert“.

Kommen wir zum „Zickzack“. Hierzu gibt überhaupt keine passenden Verben, denn „zicken“ heißt: sich wie eine Zicke benehmen und hat mit „Zickzack“ nichts zu tun. Ferner ist das Wort „zacken“ nur als Hauptwort bekannt, nicht aber als Verb. Auch beim „Pingpong“ kann man weder „pingen“ noch „pongen“, ebenso wenig wie der Türgong zwar „dingdong“ macht, aber weder „dingen“ noch „dongen“ kann.

Dafür kann man aber sowohl „klicken“ wie „klacken“, und wenn man beides im Wechsel tut, ergibt das „klick klack“. Auch das nächtliche „Tipp Tapp“ der Mäuse findet seine sprachlogische Erklärung durch ein perfektes Zusammenspiel von „tippen“ und „tappen“. Doch halt, da sind wir möglicherweise einer Nachlässigkeit aufgesessen. Die Mäuse „tappen“ zwar oft im Dunkeln, aber wenn wir sie „tippen“ lassen, verwechseln wir sie mit Sekretärinnen. Das, was die Mäuse tun, nennt man  wohl eher „tippeln“. Das ist jetzt ein wenig blöd, weil  ja zum „Tippeln“ das „Tappeln“ gehören würde, das es aber nicht gibt. Stattdessen gibt es das „Zappeln“, dem bedauerlicherweise das Gegenstück „Zippeln“ fehlt.

Immerhin hat uns die moderne Technik die sprachliche Errungenschaft beschert, dass wir zwar nicht „zippeln“ und „zappeln“, wohl aber „zippen“ und „zappen“ können. Während wohl jeder Fernsehteilnehmer weiß, was „zappen“ bedeutet, sei für die in der Computersprache nicht ganz so Bewanderten kurz erläutert, dass man unter „zippen“ das Komprimieren von Daten zwecks Speicherplatzersparnis versteht.

Etwas, das sich „Zippzapp“ nennt, gibt es deshalb aber noch nicht, so dass sich hier - von moderner Technik unberührt - vorerst noch der „Zilpzalp“, auch Weidenlaubsänger genannt, ungestört entfalten kann.

 

Sprachpanscher

 

<Die weltweit über 27000 Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache e.V. haben Günther Oettinger, den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, zum deutschen Sprachpanscher 2006 gewählt. Oettinger hatte in der SWR-Reportage "Wer rettet die deutsche Sprache" zu Protokoll gegeben: "Englisch wird die Arbeitssprache, Deutsch bleibt die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest." Damit degradiere er, so VDS-Vorsitzender Krämer, die deutsche Sprache zu einem reinen Feierabenddialekt.>

Soweit das Zitat von der Internetseite des Vereins Deutsche Sprache VDS. Ob sich letzterer allerdings damit einen Gefallen tut, aus verständlicher Empörung heraus eine Behauptung aufzustellen, die jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt, ist höchst fraglich. Schließlich findet sich in dem Satz, den Günther Oettinger „zu Protokoll gegeben“ hat, aber auch nicht der mindeste Hinweis auf eine sprachpanscherische Verunreinigung der deutschen Sprache durch das verhasste „Denglisch“, denn Oettingers Äußerung besteht aus lupenreinem Hochdeutsch. Ihn deshalb als „Sprachpanscher“ zu bezeichnen, ist sachlich einfach falsch und wirft ein wenig schmeichelhaftes Licht auf den IQ des Urhebers (oder auch der 27000 Urheber) dieser Behauptung.

Dass dem VDS möglicherweise der Inhalt von Oettingers Äußerung nicht so ganz in den Kram passt, steht auf einem anderen Blatt. Einem Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Deutsche „als große und eigenständige Kultur- und Wissenschaftssprache zu erhalten“, muss die Vorstellung eines möglichen Niedergangs dieser Sprache natürlich als ultimative Katastrophe erscheinen. Doch wie blind muss man sein, um nicht zu sehen, dass eine sehr starke Strömung genau dahin geht, dass die deutsche Sprache langfristig aus der Arbeitswelt zugunsten des Englischen verdrängt wird?!

Nicht ohne Grund wird in einigen deutschen Firmen bereits jetzt nur noch Englisch gesprochen. Man hat nämlich erkannt, dass es äußerst ineffektiv ist, heute in Düsseldorf deutsche Gedanken zu entwickeln, die man morgen in New York und übermorgen in Hongkong auf Englisch vortragen muss. Und da diese Erkenntnis kein Geheimnis bleiben wird, ist der Tag abzusehen, wo zumindest Firmen mit internationalen Verflechtungen das Englische zu ihrer offiziellen Verständigungssprache erklären werden.

Eine solche Entwicklung zu bedauern oder sich ihr gar entgegenzustemmen, kann nur Sache derjenigen sein, die das babylonische Sprachengewirr auf unserem Planeten für einen Idealzustand und ein erhaltenswertes „Weltkulturerbe“ halten. Dies dürften aber ähnlich Gesinnte sein wie die, denen einst die detaillierte Kenntnis der altgriechischen Mythologie als der Gipfel humanistischer Bildung galt.

Unser verehrter Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe war ein exzellenter Kenner der altgriechischen Mythologie, und wenn man den zweiten Teil seines „Faust“- Dramas liest, kann man sich nicht ganz des Endrucks erwehren, dieser verfolge nicht zuletzt den Zweck, zu demonstrieren, wie gut sich der Autor in dem „Zoo“ der mythologischen Gestalten der Antike auskennt. So z. B., wenn er dem Philosophen Anaxagoras die Worte in den Mund legt:


„Du! droben ewig Unveraltete,
Dreinamig-Dreigestaltete,
Dich ruf’ ich an bei meines Volkes Weh,
Diana, Luna, Hekate!“

 

Hier nimmt es Goethe mit den Sprachen nicht allzu genau, wenn er Anaxagoras die römischen Göttinnen „Diana“ und „Luna“ anrufen lässt, obwohl sich der Grieche Anaxagoras doch eher an deren griechische Schwestern „Artemis“ und „Selene“ gewandt haben dürfte. „Hekate“ wiederum ist die original griechische Göttin der Finsternis und der Hexerei, die Goethe mit den beiden römischen Göttinnen kurzerhand in einen Topf wirft und sozusagen zu einer nächtlichen Dreifaltigkeit verschmilzt. Diesen Mischmasch aus lateinischen und griechischen Bezeichnungen könnte man in Analogie zum „Denglisch“ etwa „Grateinisch“ oder „Lariechisch“ nennen.

Hätte es damals einen „Verein Griechische Sprache“ gegeben, Goethe wäre mit Sicherheit zum „Sprachpanscher des Jahres 1832“ gekürt worden, des Jahres also, in dem er kurz vor seinem Tode den „Faust II“ veröffentlichte.

Goethe hat sich übrigens nicht nur literarisch sondern auch wissenschaftlich betätigt, und zwar auf den Gebieten der Botanik, Zoologie und Optik. Ohne sein Verdienste schmälern zu wollen, muss jedoch zum Beispiel festgestellt werden, dass es ihm mit seiner ansonsten durchaus interessanten Farbenlehre nicht gelungen ist, die Farben des Regenbogens zu erklären. Diese Erklärung blieb dem englischen Physiker Isaac Newton vorbehalten, der bereits lange bevor Goethe seine Farbenlehre ausarbeitete, entdeckt hatte, dass weißes Licht durch ein Prisma in seine Spektralfarben zerlegt wird.

Wenn wir also anerkennen müssen, dass ein großer Engländer einem großen Deutschen wissenschaftlich den Rang abgelaufen hat, so sollten wir uns auch damit abfinden können, dass nicht das Deutsche, sondern das Englische sich aufgemacht hat, zu einer universellen Weltsprache zu avancieren, die dem babylonischen Zustand ein Ende bereiten könnte. Zwar gibt es noch andere weit verbreitete Sprachen, wie z.B. Spanisch oder Portugiesisch, die den süd- und mittelamerikanischen Raum beherrschen, oder das Chinesische, das von den meisten Menschen, nämlich von über 800 Millionen, als Muttersprache erlernt wird. Das Englische unterscheidet sich jedoch von diesen Sprachen durch die enorme Zahl (Schätzungen gehen bis zu einer Milliarde) von Menschen, die es als Fremdsprache erlernen. Und das liegt einfach daran, dass sich das Englische als Hauptsprache bei internationalen Konferenzen oder als brauchbarstes Verständigungsmittel bei Auslandsreisen durchgesetzt hat.

Im Grunde fehlt jetzt nur noch das Tüpfelchen auf dem i, um dem „babylonischen Fluch“ ein Ende zu bereiten. Es müsste - etwa über die UNO - ein weltweiter Konsens hergestellt werden, dass jeder Mensch auf diesem Globus, der überhaupt eine Fremdsprache lernt, als erstes Englisch lernen muss. Mit einer solchen Aktion wird man vielleicht nicht jeden Reisbauern in China und jeden Buschneger in Afrika erfassen, aber das ist auch nicht notwendig. Es wird sicher noch lange Zeit Menschen geben, die gar keinen Wert darauf legen oder einfach keine Möglichkeit haben, ihre Heimat zu verlassen. Aber jeder, der seinen angestammten Sprachraum zu verlassen gedenkt, sollte sich auf Englisch verständigen können.

Die Sache ist im Grunde das Simpelste von der Welt: Wenn alle Menschen Englisch könnten, gäbe es keine sprachlichen Verständigungsprobleme mehr. Jeder könnte sich mit jedem auf Englisch verständigen. Dolmetscher wären dann im Grunde überflüssig und könnten auf Sprachwissenschaft und Sprachpflege umschulen. Es würde auch vollkommen genügen, wenn in allen Schulen dieser Welt Englisch als einzige Fremdsprache unterrichtet würde, denn wenn sich jeder mit jedem auf Englisch verständigen könnte, wozu brauchte es dann noch eine zweite oder gar dritte Fremdsprache?!

 

Wer solche eigentlich selbstverständlichen und einleuchtenden Ansichten vertritt, muss allerdings höllisch auf der Hut sein, dass er nicht das Schicksal Günther Oettingers teilt und vom VDS zum Sprachpanscher des Jahres erklärt wird.

 

Schwache, starke und halbstarke Konjugation

Die Mehrzahl der Verben begnügt sich mit der „schwachen“ Konjugation. So nennt man auch die regelmäßige Konjugation, vermutlich deshalb, weil die Sprache etwas Regelmäßiges nur in schwachen Momenten hinbekommt.

Die meisten Verben folgen also dem Muster „sagen, sagte, gesagt“. Ganz entsprechend heißt es: „fragen, fragte, gefragt“ oder „bauen, baute, gebaut“. Diese Liste der „sittsamen“ Verben ließe sich beliebig verlängern. Doch unweigerlich stößt man auch irgendwann auf Verben, die eigensinnig aus der Reihe tanzen. Bei „hauen, haute, gehaut“ protestiert plötzlich die Rechtschreibprüfung, die bei „gebaut“ noch voll zufrieden war. „Gehaut“ sei falsch, „gehauen“ müsse es heißen. Nachforschung ergibt, dass „hauen“ früher stark konjugiert wurde: „hauen, hieb, gehauen“. Irgendwann müssen da mal wieder die Hessen mitgemischt haben und statt „hieb“ immer „haute“ gesagt haben. Dass nun unter dem hessischen Druck in der Standardsprache die schwache Vergangenheitsform „haute“ erlaubt wurde und trotzdem die schwache Partizipbildung „gehaut“ verboten blieb, ist wieder mal ein leuchtendes Beispiel sprachpflegerischer Konsequenz!

Freilich sollte man von der deutschen Sprache nicht allzu viel Konsistenz und Verlässlichkeit erwarten. Denn es scheint ihr ein Grundbedürfnis zu sein, sich gegen den allzu leichten Zugriff durch Uneingeweihte abzuschotten. Hauptsächlich zu diesem Zweck dürfte sie neben der regelmäßigen („schwachen“) auch noch die unregelmäßige Konjugation erfunden haben, die sich wohl deshalb auch die „starke“ nennt, weil sie für den, der sie lernen soll, ein ziemlich starker Tobak ist.

Man kann nie sicher sein, ob etwas Gelerntes auf ähnliche Fälle übertragen werden kann. Wer z.B. „flehen, flehte, gefleht“  gelernt hat und dies naiv auf das ähnlich klingende „sehen“ zu übertragen versucht, erleidet Schiffbruch, denn es heißt keineswegs „sehen, sehte, geseht“ sondern „sehen, sah, gesehen“. Wer jetzt dies geschluckt hat, ist nicht mehr darüber verwundert, dass es nicht „stehen, stehte, gesteht“ heißt, sondern er zieht zumindest in Erwägung, es könnte auch „stehen, stah, gestehen“ heißen. Aber auch so heißt es nicht! „Stehen, stand, gestanden“! Wie soll man auf so was kommen!

Wer jetzt die dreifache Schule von „flehen“, „sehen“ und „stehen“ hinter sich hat, hofft händeringend, am Ende des Lernens angelangt zu sein und seine erworbenen Kenntnisse auf das Verb „gehen“ übertragen zu dürfen. Und so schließt er messerscharf: Wenn es nicht „gehen, gehte, gegeht“ heißt, muss entweder „gehen, gah, gegehen“ oder „gehen, gand, geganden“ richtig sein. Doch nichts da! Diesmal heißt es „gehen, ging, gegangen“! Du lieber Himmel! Was kommt da wohl noch alles? „Drehen, drong, gedrungen“? „Geschehen, geschung, geschangen“?

„Ging, gegangen“ klingt übrigens verdächtig wie „fing, gefangen“. Zu letzteren Formen gehört allerdings nicht der Infinitiv „fehen“ sondern „fangen“, so dass man rückschließen könnte, zu „ging“ und „gegangen“ müsse als Infinitiv eigentlich „gangen“ gehören. Und dem scheint auch tatsächlich so zu sein. Denn wie heißt es in einem alten deutschen Volkslied so schön? „Jetzt gang i ans Brünnele.“! Dies legt die Vermutung nahe, dass es vormals zwei unterschiedliche Dialekte gab:  einen, in dem die fußgestützte Fortbewegung „gangen“, und einen, in dem sie „gehen“ hieß. Irgend­wann müssen einmal Bruchstücke beider Dialekte in den großen Suppentopf der Sprachküche gefallen sein. Nach dreimaligem Umrühren wurde aus ihm die heutige Mischform herausgefischt.

Ein ähnlich suppentöpfiges Schicksal dürfte auch das Verb „hängen“ hinter sich haben, das uns heute in einer merkwürdigen Doppelbedeutung  entgegentritt. Es beschreibt einerseits eine Tätigkeit („Ich hänge das Bild an die Wand.“) andererseits einen Zustand („Das Bild hängt an der Wand.“). Je nach Bedeutung wird das Verb unterschiedlich konjugiert, nämlich regelmäßig („hängen, hängte, gehängt“) bei der Tätigkeitsvariante, bei der Zustandsform dagegen unregelmäßig: „hängen, hing, gehangen“. Letztere Konjugation passt in kein bekanntes Muster, denn würde sie sich an „drängen, drang, gedrungen“ anlehnen, lautete sie: „hängen, hang, gehungen“. Sie hat aber viel eher Ähnlichkeit mit „fangen, fing, gefangen“. Und das könnte einfach daher kommen, dass die Zustandsvariante früher gar nicht „hängen“ sondern „hangen“ hieß und entsprechend „hangen, hing, gehangen“ flektiert wurde. Dies hatte übrigens den unschätzbaren Vorteil, dass man die beiden Bedeutungen nicht erst im Präteritum oder Perfekt, sondern bereits im Infinitiv und Präsens unterscheiden konnte. Dass die anfangs klar unterschiedenen Verben irgendwann in einen Topf geworfen und  zu einem trüben Brei vermanscht wurden, gehört nicht gerade zu den Sternstunden der Sprachentwicklung.

Immer wieder staunend stehe ich vor der Frage, warum das Leben so einfach, das Sein aber so kompliziert ist. „Leben, lebte, gelebt“ überrascht als stinknormale regelmäßige („schwache“) Konjugation und man wundert sich geradezu, warum man ein Verb von so elementarer Bedeutung nicht mit einer individuelleren Flexion ausgestattet hat. Diese hat man sich offenbar voll und ganz für das verwandte Verb „sein“ aufgespart, denn hier geht es voll zur Sache: „sein, bin, war, gewesen“. Hier muss man sogar die Gegenwartsform gesondert aufführen, weil sie nicht einfach aus dem Infinitiv hervorgeht. Jede der Zeitformen ist dermaßen individuell, dass man den Eindruck gewinnt, sie gehörten zu völlig unterschiedlichen Wörtern bzw. Wortstämmen. Also „stärker“ kann eine Konjugation nun wirklich nicht mehr sein. Ob hinter dem allen ein tieferer Sinn steckt, ob uns also vielleicht die Sprache zeigen will, das Leben sei schwach und vergänglich, das Sein als solches (Gott?) aber stark und ewig, überlassen wir einmal der Phantasie und dem Geschmack des Lesers.

Apropos Gott!

Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Der Mensch dachte, Gott lachte.

Das käme heraus, wenn man „lenken“ einmal genau so konjugieren würde wie „denken“!

Es ist tatsächlich zum  Lachen, wie manche Verben konjugiert werden. Denn sie benehmen sich weder „stark“ noch „schwach“ sondern sozusagen „halbstark“. Von den Hessen wird „denken“ schwach konjugiert: „denken, denkte, gedenkt“. „Ich han mer gedenkt…“ Aber auch in der Hochsprache wird es nicht wirklich stark konjugiert, denn das würde etwa so klingen: „denken, dank, gedunken“ oder „denken, dink, gedenken“ oder so ähnlich. „Denken, dachte, gedacht“ ist dagegen eine eigenartige Mischform, die bei der Bildung des Präteritums erst einmal stark tut, um dann bei der Bildung das Partizips einen Schwächeanfall zu bekommen. Präteritum und Partizip klingen, als kämen sie von einem fiktiven regelmäßigen Verb „dachen“ her.

Ein echter Kracher ist auch „bringen“. Es wird beileibe nicht konjugiert wie „singen“ oder „klingen“, also „bringen, brang, gebrungen“, sondern eher wie „krachen“, nämlich „bringen, brachte, gebracht“. Auch hier haben wir es wieder nach der umlautigen Muskelprotzerei mit einer schwächlichen Rückkehr zur Regelmäßigkeit zu tun.

Neben den Verben, die anfangs stark tun, um dann schwach zu werden, gibt es auch solche, die genau umgekehrt verfahren. Das bereits eingangs erwähnte „hauen“ gehört dazu. Nach schwachem Auftritt mit „haute“ im Präteritum wird anschließend mit dem Partizip stark auf den Lukas „gehauen“. Auch „mahlen“ gesellt sich mit „mahlte, gemahlen“ zu dieser Halbstarkenbande, die erst harmlos tut, um dann unvermittelt zuzuschlagen.

Ein immer wieder beliebtes Thema ist die schwerwiegende Frage, ob es „gewinkt“ oder „gewunken“ heiße. Aus dem Kreise der Sprachexperten kommt dann die belehrende Antwort, „winken“ sie ein schwaches Verb, das dementsprechend „winkte, gewinkt“ konjugiert werde. „Gewunken“ sei falsch, weil dies zu der starken Konjugation „winken, wank, gewunken“ gehören würde. Entsprechend etwa „stinken, stank, gestunken“ oder „sinken, sank, gesunken“. Da aber niemand sagt „Ich wank ihr ein letztes Lebewohl zu“, dürfe man auch nicht sagen „Ich habe ihr zum Abschied zugewunken“. Schließlich komme ja auch niemand auf die Idee zu sagen: „Ich bin mit letzter Kraft nach Hause gehunken“.

Das Dumme ist nur: Ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung kümmert das herzlich wenig, und sogar Maybrit Illner sagte kürzlich in ihrer Talkshow „gewunken“, ohne dass man den Eindruck hatte, dies wäre ein Versprecher. Wenn sich also die Form „gewunken“ so hartnäckig im umgangssprachlichen Gebrauch einnistet, wird alles Gezeter der Sprachpfleger nichts nützen, und wir werden über kurz oder lang in der standardsprachlichen „Halbstarkenbande“ ein neues Mitglied begrüßen dürfen:

„Winken, winkte, gewunken“.

Am Ende siegt nämlich in der Sprache immer die Hartnäckigkeit über die Vernunft.

 

Starkheit, dein Name ist Mann

Die Deutschen scheinen eher ein schwaches denn ein starkes Volk zu sein, gibt es doch in ihrer Sprache drei Substantive, um die Eigenschaft „schwach“ auszudrücken, nämlich „Schwäche“, „Schwachheit“ und „Schwächlichkeit“.

Die Eigenschaft „stark“ dagegen ist nur durch das eine Substantiv „Stärke“ vertreten, während die der „Schwachheit“ und „Schwächlichkeit“ entsprechenden Wörter: „Starkheit“ und „Stärklichkeit“ im offiziellen Sprachschatz nicht vorkommen.

Aus dieser ungleichen Begriffsverteilung könnte man rein mathematisch den scherzhaften Schluss ziehen, drei Viertel aller Deutschen seien „Schwächlinge“ und nur ein Viertel „Stärklinge“, was umso bedenklicher erscheint, als es letzteren Begriff noch nicht einmal gibt. Warum eigentlich nicht? Warum soll man nicht jemanden, der das genaue Gegenteil eines „Schwächlings“ ist, als „Stärkling“ bezeichnen?

Weil – könnte man entgegnen – das Anhängsel „ling“ oft (wenn auch nicht immer) eine abwertende Komponente enthält, die zwar dem Schwachen, nicht aber dem Starken zukomme. „Ok“, sage ich, dann benutzen wir das Wort „Stärkling“ halt nicht für den Starken an sich sondern nur abwertend für den Angeber, der bloß den Starken mimt, und schon hat das Wort „Stärkling“ einen sinnvollen Platz in unserer Verständigungswelt und könnte in den Duden aufgenommen werden.

„Ihr Sohn ist nicht nur etwas dümmlich sondern leider auch etwas stärklich.“ könnte der Lehrer am Elternsprechtag einem geplagten Vater verkünden, um ihn wissen zu lassen, sein missratener Sprössling sei nicht nur ein intellektueller Versager sondern spiele außerdem auch noch in der Klasse den Großkotz.

Kommen wir nun zu der Frage, warum es „Schwachheit“, nicht aber „Starkheit“  gibt.

„Schwachheit, dein Name ist Weib.“ ist die einzige mir bekannte Redewendung, in der das Wort „Schwachheit“ überhaupt verwendet wird. Da diese Floskel eindeutig der Diffamierung des weiblichen Geschlechts dient, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Wortbildung „Schwachheit“ einzig zu diesem Zweck erfunden worden. „Starkheit, dein Name ist Mann“ dagegen ist weder diffamierend noch in irgendeiner Weise originell oder witzig, so dass man auf die Einführung des Wortes „Starkheit“ getrost verzichten konnte.

Nun hätte man sicher den oben angeführten frauenfeindlichen Spruch auch anders formulieren können, z.B.: „Schwäche, dein Name ist Weib.“ Aber wie würde das klingen?! Das macht einfach nichts her! Es ist begrifflich zu nah an der Altersschwäche, von denen auch männliche Greise nicht verschont werden. „Schwäche“ ist Hinfälligkeit und Hilflosigkeit, die Mitleid verdienen. „Schwachheit“ dagegen bringt zusätzlich zur bloßen Schwäche noch einen Hauch von Verruchtheit ins Spiel. Sie verweist auf die Urverführerin Eva, die Adam den verbotenen Apfel unter die Nase hielt und ihn letztlich „schwach“ machte.

Damit ist allerdings am Ende gar nicht mehr so ganz klar, wer im Angesicht der „Schwachheit“ der eigentlich Schwache ist, das „schwache Weib“ oder vielmehr der durch Weibes List verführte schwach werdende „starke“ Mann.

 

Tag und Nacht

Wenn morgens der Tag anbricht, sagt man auch: „Es tagt“. Deshalb könnte man vermuten, man würde beim Anbruch der Nacht sagen: „Es nachtet“. Doch wie so oft, macht einem die Sprachwirklichkeit einen Strich durch die schöne Logik. Das Verb „nachten“ gibt es nicht, so dass man die Abenddämmerung anders beschreiben muss, z.B.: „Es dunkelt“. Doch wer hieraus treuherzig den Schluss zieht, es würde morgens „hellen“, muss mit einem Strafzettel rechnen. Denn die deutsche Sprache steht an Willkür deutschen Behörden kaum nach, die insbesondere auf dem Verkehrssektor Gebote und Verbote oft nach dem Prinzip größtmöglicher Verunsicherung übers Land verteilen. Im Gegensatz zum „Dunkeln“ ist also ganz im Sinne gutdeutscher Behördenwillkür das „Hellen“ verboten und nur das “Tagen“ oder „Hell werden“ erlaubt.

„Tagen“ ist aber nicht nur ein Synonym für „hell werden“ sondern auch für das Teilnehmen an einer „Tagung“. Wenn diese mehrtägig und fern der Heimat ist, muss man im Hotel …nein, nicht „nachten“ sondern „nächtigen“ oder „übernachten“. Die Frage, warum man dann tagsüber nicht „tägigt“ oder „übertagt“ will ich jetzt mal nicht weiter vertiefen. Jemand der „übernachtet“ hat, ist deshalb aber noch keineswegs „übernächtigt“. Das ist er nur, wenn er die Nacht zum Tage, also „durch“ gemacht hat. Wenn nun jemand umgekehrt den Tag zur Nacht macht, indem er ihn komplett verschläft, würde es nahe liegen, ihn am Abend als „übertägigt“ zu bezeichnen. Doch auf den Gedanken ist bisher anscheinend noch keiner gekommen.

Von Ausnahmen abgesehen, wacht man am Tage und schläft in der Nacht. Wenn man wacht, ist man  „wach“, doch ist man auch „schlaf“, wenn man schläft? Man kann zwar „schlaff“ sein, aber „schlaf“ ist offenbar unbekannt. Allerdings nur als Adjektiv, als Hauptwort ist „der Schlaf“ durchaus geläufig, was aber sofort die peinliche Frage nach sich zieht, wo sich denn das Gegenstück zum Schlaf, nämlich „der Wach“ verkrochen habe.

Wer müde ist, schläft „ein“, und wenn er ausgeschlafen hat, wacht er „auf“. Nun bilden die Vorsilben „ein“ und „auf“ alles andere als einen sauberen Gegensatz, so dass man einmal im Rahmen der fiktiven Aktion „Unser Deutsch soll sauberer werden“ nach überzeugenderen Lösungen suchen könnte. Zu „ein“ lautet der Gegensatz „aus“. Also sollte jemand, der eingeschlafen ist, anschließend nicht „auf-„ sondern „auswachen“. Wer jedoch unbedingt „aufwachen“ möchte,  sollte vorher nicht „ein-„ sondern „abgeschlafen“ sein. Vielleicht hatte ja die deutsche Sprache früher mal die löbliche Absicht, aus dem Ansatz „abschlaffen“ und „aufwachen“ ein logisch konsistentes Begriffspaar zu entwickeln, aber da sind wohl einige verschlafene Schafe da­zwischengekommen.

Nach dem Aufwachen steht man meistens auf. Wer jetzt mal versuchte, zu „aufstehen“ einen sprachlich sauberen Gegensatz zu bilden, würde vielleicht auf „abliegen“ tippen, aber nie darauf kommen, wie es wirklich heißt, nämlich „sich hinlegen“. Was für ein Unsinn! Eine Mutter kann ihr Baby „hinlegen“. Aber wie ich das mit mir selber machen soll, ist mir ziemlich schleierhaft. Ich versuche mir gerade mal vorzustellen, wie ich mich selbst auf die Arme nehme, um mich ins Bett zu tragen.

Der Schwachsinn wird komplett, wenn man mal den korrekten Gegensatz zu „sich hinlegen“ bildet. Der lautet nämlich: „sich herstellen“. Freilich kann man statt aufzustehen sich auch „erheben“, doch dabei muss man ein wenig aufpassen, dass man sich beim Schlafengehen nicht „ersenkt“ oder gar „erlegt“.


 

Ungeheuer Ungereimtes

Unter einem „Ungeheuer“ stellt sich jeder ein Furcht einflößendes schreckliches Wesen vor, doch niemand käme auf den Gedanken, im Gegenzuge ein harmloses und freundliches Wesen sprachlich konsequent als „Geheuer“ zu bezeichnen. Auch würde kaum jemand die vertrauten Dinge der alltäglichen Umgebung „geheuer“ nennen, obwohl das Wort „geheuer“ ursprünglich genau dafür geprägt wurde. Nur wenn etwas unheimlich ist, sagen wir: „Das ist uns nicht geheuer.“

„Das ist uns ungeheuer.“ sagen wir indes nicht, obwohl es das gleiche bedeuten würde. Dagegen wäre es wieder durchaus möglich zu sagen: „Das ist ungeheuer schrecklich.“ Und selbst folgende geradezu durchgeknallte Formulierung ist denkbar: „An einem offenen Kamin zu sitzen, ist ungeheuer gemütlich.“ Schaurig schön! Es ist schon „ungeheuerlich“, zu welch skurrilen Ungereimtheiten die deutsche Sprache fähig ist.

Im Allgemeinen verkehrt die Vorsilbe „un“ den Begriff, dem sie vorangestellt wird, in sein Gegenteil oder fügt ihm eine stark negative Bedeutungskomponente zu. So ist ein „Uneingeweihter“ einfach die Negation eines  „Eingeweihten“, während ein „Unwetter“ keineswegs das Gegenteil von „Wetter“ sondern nur ein besonders schlechtes Wetter ist.

Wie allerdings das „Ungetüm“ in diese Landschaft passt, bereitet leichte Probleme. Denn noch während man sich fragt, ob ein „Ungetüm“ das Gegenteil eines „Getüms“ oder nur ein besonders verruchtes „Getüm“ ist, muss man leider feststellen, dass sich das „Getüm“ unterdessen klamm heimlich aus dem Staube gemacht hat. Vielleicht ist es ja mit dem „Geheuer“ durchgebrannt und macht sich mit ihm in der Karibik ein schönes Leben. Doch da das Leben voller Überraschungen ist, lief mir das „Getüm“ kürzlich wieder über den Weg, als ich einen Presseartikel las, in dem von einem „Wortgetüm“ die Rede war.

Im Allgemeinen ist ein Ungetüm viel zu schwerfällig, um sich „ungestüm“ benehmen zu können, was sofort die Scherzfrage provoziert, ob es sich dann etwa „gestüm“ verhalte. Leider geht das nicht mehr, denn das sanfte und stille mittelhochdeutsche Wort „gestüeme“ muss in einem finsteren mittelalterlichen Burgverlies umgekommen sein, während sein robusteres Gegenstück „ungestüeme“ den Häschern entwischen konnte und in leicht veränderter Form bis auf den heutigen Tag überlebte. So können wir uns heute dem hektischen Charakter unserer Zeit entsprechend nur noch „ungestüm“ benehmen.

In welch holden Gefilden sich der „Hold“ herumtreibt, entzieht sich unserer Kenntnis, jedenfalls treibt in unserer Sprache nur noch sein finsterer Bruder, nämlich der „Unhold“ sein Unwesen. Dieser wenig possierliche Zeitgenosse ist ein sprachliches Kuriosum, weil hier – übrigens ähnlich wie beim „Ungeheuer“ - ein schlichtes Adjektiv ohne Umschweife zur Person avanciert. Wie würde es aussehen, wenn andere Adjektive dem Vorbild des Adjektivs „unhold“ folgend ebenfalls auf die großspurige Idee kämen, sich mir nichts dir nichts zu personifizieren? Dann würde aus „dumm“ nicht der „Dumme“ sondern einfach der „Dumm“, aus „reich“  entsprechend der „Reich“ und aus „arm“ der „Arm“.

Wenig hold benimmt sich auch der „Bold“, der seine eigenständige Existenz –falls er sie jemals hatte - verloren und sich dem Suff ergeben hat. Als „Trunkenbold“ benimmt er sich dann in leicht beschwipstem Zustand gerne als „Witzbold“, während es bei fortgeschrittener Trunkenheit auch leicht passieren kann, dass er zum „Raufbold“ wird. Er reagiert dann ausgesprochen „unwirsch“ auf alles, was ihm in die Quere kommt.

„Unwirsch“ ist übrigens ein weiteres Beispiel für die Negation von Wörtern, die es gar nicht (mehr) gibt. So macht es wenig Sinn, einen „unwirsch“, also gereizt oder mürrisch reagierenden Menschen zu bitten, sich ein wenig „wirscher“ zu verhalten, denn da er nicht weiß, was das sein soll, könnte ihn diese Aufforderung erst recht „ungehalten“ machen. Um ihn – obwohl das sprachlich nicht ganz korrekt sein mag – wieder ein wenig „gehaltener“ zu stimmen, könnten wir ihm erläutern, dass es zwar das Wort „wirsch“ nie wirklich gegeben hat, dass es jedoch im Falle seiner Existenz auf das mittelhochdeutsche Wort „wirdesch“ zurück gehen würde, das als Vor­läufer des heutigen „würdig“ angesehen werden kann. Lasst nun mal einen Sachsen das Wort „unwürdig“ aussprechen, und wir sind schon ganz nahe an „unwirsch“ dran.

Wie wir gesehen haben, wird mit der Vorsilbe „un“ oft ein ganz schöner „Unfug“ getrieben, wofür auch gerade der „Unfug“ wieder mal ein schönes Beispiel ist. Denn genau wie wir uns schon beim „Unhold“ fragen mussten, wo denn der „Hold“ abgeblieben ist, müssen wir beim „Unfug“ fragen, was denn eigentlich aus dem „Fug“ geworden ist, der in der Bedeutung von Schicklichkeit, ordentlich Gefügtem oder Rechtmäßigkeit sicher einmal bessere Zeiten erlebt hat.

Heute können wir gerade noch „mit Fug und Recht“ bedauern, dass sich der „Fug“ ins Altersheim der Sprachgeschichte verkrümelt hat, aus dem er nur noch gelegentlich als „Unfug“ die Zunge herausstreckt.

 

Wider den tierischen Ernst

Alljährlich wird zur Karnevalszeit vom Aachener Karnevalsverein der „Orden wider den tierischen Ernst“ verliehen. Würde man den Orden nicht „wider“ sondern „gegen“ den tierischen Ernst verleihen, müsste deshalb die Freude des Geehrten nicht geringer sein oder seine Büttenrede weniger witzig ausfallen. Denn „gegen“ und „wider“ sind in diesem Zusammenhang Begriffe, deren Austausch ohne Einfluss auf die Bedeutung wäre. So weit ist also alles klar: ob man „gegen“ oder „wider“ sagt, juckt nicht mal einen Sprachexperten geschweige denn einen Karnevalsjecken.

Die Merkwürdigkeiten beginnen erst, wenn „gegen“ und „wider“ als Bestandteile zusammengesetzter Wörter auftreten. Kann man etwa eine „Gegensprechanlage“ auch als „Widersprechanlage“ bezeichnen? Offenbar nicht, denn was für eine „gegen­spen­stige“ - nein „widerspenstige“ wollte ich sagen – Einrichtung sollte das wohl sein?! Andererseits kann man die bei behördlichen Bescheiden eingeräumte „Widerspruchs­frist“ nicht einfach in „Gegenspruchsfrist“ umtaufen, ohne verständnisloses Kopfschütteln auszulösen.

Auf eine Rede kann man zwar etwas „erwidern“ aber nicht „ergegnen“, dafür kann man ihr zwar etwas „entgegnen“ aber nicht „entwidern“. Man kann sich mit „Gegenspielern“ und „Widersachern“ herumschlagen, doch wer hat je von „Widerspielern“ und „Gegensachern“ gehört?! Die „Gegenspieler“ können auch kurz „Gegner“ genannt werden, aber „Widerer“ als entsprechende Kurzform von „Widersacher“ sagt kein Mensch. Von diesen obskuren Sprachgepflogenheiten kann man sich jetzt zwar „angewidert“ aber kaum „angegegnet“ fühlen.

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Zusammensetzungen mit „gegen“, denen das Pendant mit „wider“ fehlt: „Gegensatz, Gegenstück, Gegenteil, Gegenverkehr,  Gegentor, Gegenpol“, um nur einige zu nennen.  Denen stehen viele Kombinationen gegenüber – wohlgemerkt nicht „widerüber“ -, die nur in der Variante mit „wider“ gebräuchlich sind, zum Beispiel: „widerlich, widerborstig, widerspiegeln, Widerschein“.

Vereinzelt findet man allerdings auch beide Varianten nebeneinander. So ist etwa „Widerpart“ ebenso geläufig wie „Gegenpart“, und „Widerlager“ bedeutet das gleiche wie „Gegenlager“. Auch „Gegenvernunft“ und „Widervernunft“ gehören zu den wenigen Zusammensetzungen, die in zwei gleichbedeutenden Varianten vorkommen. 

Besonders seltsam sind Kombinationen, die es zwar in beiden Versionen gibt, die sich aber in ihrer Bedeutung zum Teil krass unterscheiden. „Widerstand“ und „Gegenstand“ sollten eigentlich das gleiche bedeuten. Dem ist jedoch nicht so. Der Begriff „Widerstand“ bezeichnet ebenso eine physikalische Größe wie  auch das  zugehörige technische Gerät. Als letzteres ist ein „Widerstand“ zwar immer auch ein „Gegenstand“, doch ein „Gegenstand“ ist nur in den allerseltensten Fällen auch ein „Widerstand“. „Widersinn“ hat eine ähnliche Bedeutung wie „Unsinn“, „Gegensinn“ dagegen meint einen gegenläufigen Drehsinn, also z.B. den „Uhrzeiger-Gegensinn“.

Das Begriffspaar „widersetzlich“ und „gegensätzlich“ klingt zwar in diesem Zusammenhang auch ganz amüsant, doch sollte man hier den feinen Unterschied in der Schreibweise nicht übersehen, der auf eine unterschiedliche Ableitung hinweist, nämlich von „widersetzen“ bzw. „Gegensatz“. Hier liegt einer der seltenen Fälle vor, wo wirklich einmal die Schreibung dem gesprochenen Wort eine klärende Komponente hinzufügt.

Doch solche rational nachvollziehbaren Fälle sind eher selten. Vorherrschend ist eine Irrationalität, die oft ans Närrische grenzt. In welch ausgelassener Karnevalsstimmung muss sich die deutsche Sprache z.B. befunden haben, als sie das Begriffspaar „widerwärtig“ und „gegenwärtig“ schuf?! Wenn man bedenkt, dass beide Begriffe - rein logisch betrachtet - exakt das gleiche bedeuten sollten, kommt Schunkelstimmung  auf. Und die Frage, wo denn das „widerliche“ Pendant zur „Gegenwart“, nämlich die „Widerwart“ abgeblieben ist, erträgt man auch am ehesten in närrischer Umgebung.

Jedenfalls dürfte sich die deutsche Sprache in diesem Kapitel einen Orden „wider den tierischen Ernst“ redlich verdient haben.

 

Neuheiten und Altheiten

Ist etwas ganz neu in Gebrauch, in  Mode oder auf dem Markt, so spricht man von einer „Neuheit“. Zur Zeit, da ich dies schreibe, ist z.B das Handy mit Touchsreen eine Neuheit, wogegen etwa der Röhrenfernseher inzwischen hoffnungslos veraltet ist und nur noch für diejenigen angeboten wird, die den geringen finanziellen Mehraufwand für einen Flachbildschirm nicht aufbringen wollen oder können.

Für solche veralteten Dinge wäre eigentlich der zur Neuheit gegenteilige Begriff „Altheit“ angemessen, doch scheint unsere Sprache diesen Begriff nicht zu kennen, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, als unsere Zuflucht zu Ersatzumschreibungen zu nehmen. Im Moment fällt mir nichts Besseres ein, als etwa den Röhrenbildschirm einen „alten Hut“ zu nennen, obwohl ich noch nie jemanden gesehen habe, der einen Fernseher als Kopfbedeckung trug.

Ähnliches erlebt man bei den „Neuigkeiten“, wie man  bekanntlich neue Nachrichten nennt. Alte Nachrichten von gestern oder vorgestern entsprechend als „Altigkeiten“ zu bezeichnen, wäre zwar nahe liegend, ist jedoch bisher als Möglichkeit weitgehend unentdeckt geblieben. „Olle Kamellen“ sagt man stattdessen und bedient sich damit einer mundartlichen Ausdrucksweise, von der man eigentlich erwarten sollte, dass sie nur in der Umgangssprache Platz hat. Doch zumindest meine Rechtschreibprüfung akzeptiert den Ausdruck anstandslos, so dass anscheinend die „ollen Kamellen“ in der Hochsprache ebenso geduldet werden wie die Wendung „ zu Potte kommen“.

Eine recht merkwürdige Eigenschaft unserer Sprache besteht darin, dass sie bei vielen Begriffen offenbar „vergessen“ hat, sie zu gedanklich und sprachlich nahe liegenden Gegensatzpaaren auszubauen. Solche Gegensatzpaare sind z. B. „Nähe und Ferne“, „Weite und Enge“, „Wärme und Kälte“. Wie seltsam würde es anmuten, wenn man stattdessen etwa von „Nähe und Fernheit“ spräche oder von „Weite und Engheit“, „Wärme und Kaltheit“. Genau so aber geht man mit der „Größe“ um, indem man ihr Gegenteil nicht „Kleine“ sondern „Kleinheit“ nennt. Versuchen wir umgekehrt einmal der „Kleinheit“ probehalber die „Großheit“ zu gesellen, klopft uns sofort der elektronische Orthografiewächter auf die Finger.

Der „Klugheit“ steht sprachlich konsistent die „Dummheit“ gegenüber, deren Gegensatz aber auch die „Schlauheit“ sein könnte. Statt „Schlauheit“ kann man nun aber  auch „Schläue“ sagen, so dass es nur recht und billig wäre, beim Gegenteil auch von „Dümme“ reden zu dürfen. Darf man aber nicht, ebenso wenig wie es erlaubt ist, „Klüge“ statt „Klugheit“, „Närre“ statt „Narrheit“ oder „Weise“ statt „Weisheit“ zu sagen. Das Wort „Weise“ existiert zwar, bedeutet aber etwas anderes als „Weisheit“.

Ebenso wie der „Schläue“ fehlt der „Güte“ ein sprachlich adäquater Gegensatz. Die in Frage kommende „Böse“ bezeichnet eine Person und nicht die gesuchte Eigenschaft; die heißt nämlich „Bosheit“. Deren sprachlich konsistenter Gegensatz wiederum wäre die „Gutheit“, die aber offiziell wenig bekannt zu sein scheint, da sie von der Rechtschreibprüfung moniert wird. Sollte die Erinnerung an die alte Redewendung „Gutheit ist Dummheit“ völlig ausgelöscht sein?! Vorsichtshalber schaue ich in einem alten Wörterbuch von 1950 nach, in der Hoffnung den Begriff „Gutheit“ dort zu finden. Fehlanzeige! Offenbar war das Wort niemals Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs und ist möglicherweise nur ad hoc für die genannte Spruchweisheit  „erfunden“ worden, damit es sich auf „Dummheit“ reimt.

Das Gegenteil von „gut“ ist nicht nur „böse“ sondern auch „schlecht“. Doch den Gegenpol zur „Güte“ bildet nun keineswegs die „Schlechte“ sondern die „Schlechtheit“ oder „Schlechtigkeit“.  Der zu letzterem Wort gehörende Gegenbegriff „Gütigkeit“ dürfte jedoch kaum gebräuchlicher sein als „Gutheit“.  Auch „böslich“ scheint aus dem allgemeinen Sprachschatz herausgefallen zu sein, obwohl es in einem Wörterbuch von 1954 noch fein säuberlich aufgeführt ist.

Offenbar leben wir heute in einer friedlichen und glücklichen Welt, aus der alle „böslichen“ Auseinandersetzungen verschwunden sind und in der man nur noch „gütliche“ Einigungen kennt.

 

Wer nämlich mit „h“ schreibt...

In jungen Jahren hatte ich einmal in einem Buch geblättert, das den schönen Titel „Das Geheimnis der Geisteskraft“ trug. Verfasst war es von einem amerikanischen Gedächtniskünstler, dessen Name mir leider entfallen ist. Am Ende eines jeden Kapitels stellte der Autor jeweils Testfragen, anhand deren man kontrollieren konnte, ob man alles verstanden hatte. Eine dieser Testfragen lautete: „Wer ist sorgfältiger, der schnelle oder der langsame Arbeiter?“ Wer dann meinte, der langsame Arbeiter wäre sorgfältiger, hatte etwas nicht verstanden, denn die nach Ansicht des Autor richtige Antwort war: „Der schnelle Arbeiter.“

Daran musste ich im Zusammenhang mit dem Schreiner denken, der vor langer Zeit eine ganze Reihe von Arbeiten zwecks Ausbau und Einrichtung meines Hauses durchführte. Ein zügigeres Arbeitstempo habe ich noch bei keinem Handwerker erlebt, was ich an einem kleinen Beispiel illustrieren möchte: Er hatte uns einmal einen Couchtisch angefertigt, der uns aber, als er an Ort und Stelle stand, ein weinig zu hoch erschien. Als wir uns darauf verständigt hatten, dass die Tischbeine um 5 cm gekürzt werden sollten, kippte der Schreiner den Tisch einfach auf die Seite, griff zu seiner Bügelsäge und sägte, ohne zu messen und ohne sonstige Hilfsmittel zu Rate zu ziehen, von jedem der vier Beine ein Stück ab, einfach so nach Augenmaß. Ich stand mit offenem Munde daneben und dachte, das kann doch nicht gut gehen. Als er nach ca. einer Minute mit seiner Sägerei zu Ende war, stellte er den Tisch wieder auf seine vier Füße, und das Unfassbare wurde Wirklichkeit: der Tisch stand, ohne zu wackeln.

Ein anderes Mal  hatte er an der Schublade eines Einbaumöbels eine winzige Unvollkommenheit entdeckt, die ich selbst als unwesentliche und keineswegs störende Bagatelle einzustufen bereit war. Obwohl ich es fast händeringend versuchte, konnte ich ihn nicht davon abhalten, das betreffende Teil wieder mitzunehmen, um es in seiner Werkstatt zu überarbeiten und zu perfektionieren. Für ihn gab es halt keine Kompromisse, solange er selbst mit seiner Arbeit nicht restlos zufrieden war.

Ich kann es mir nicht versagen, noch ein weiters Beispiel seiner unglaublichen handwerklichen Virtuosität zu schildern. Stellen Sie sich vor, zwischen einem Einbau­schrank und der Wand, die vormals von leicht angetrunkenen Maurern verputzt worden war und demzufolge keineswegs eine ideale Ebene darstellte, klaffte ein unschöner Spalt von variabler Breite. Um diese Lücke zu schließen, hielt der Schreiner zunächst ein ca. 10 cm breites und ca. 2,20 m langes Brett an die auszufüllende Stelle. Sodann trat auf geheimnisvolle Weise ein Bleistift in Aktion, der irgendetwas auf diesem Brett anzeichnete, das sich meinem laienhaften Nachvollzug widersetzte. Und dann geschah etwas schier Unfassbares: Der Schreiner legte dieses so angezeichnete Brett übers Knie, ergriff seine Bügelsäge und begann mit derselben eine Unternehmung, die mir die Kinnlade unaufhaltsam nach unten trieb. Er sägte nämlich binnen weniger Minuten das Brett der Länge nach (!) so zurecht, dass es anschließend haargenau zwischen Schrank und Wand passte. Ein von Hand gesägter Kurvenschnitt von über zwei Metern Länge in wenigen Minuten! Also wenn ich’s nicht gesehen hätte, würde ich es einfach nicht glauben!

Die anspruchsvollste Arbeit, mit der ich ihn beauftragte, war der Bau einer Schrankwand für mein Arbeitszimmer, an der ich mich übrigens heute noch erfreue, weil alle Türen hundertprozentig schließen. Solches kam nicht von ungefähr: Nachdem wir gemeinsam die Abmessung, Aufteilung und Gestaltung des Schrankes besprochen hatten, kaufte der Meister ausgesuchtes Holz und lagerte es erst einmal drei Monate in seiner Werkstatt, nicht etwa weil er zu faul war, mit der Arbeit zu beginnen, sondern weil er wusste, dass Holz „arbeitet“. Und dieses Arbeiten des Holzes musste er langfristig beobachten, um zu wissen, welche Hölzer er auf welche Weise miteinander zu verleimen hatte, damit sich die Türen später nicht verziehen konnten.

Zwischen Auftrag und endgültiger Fertigstellung verging sicher ein dreiviertel Jahr. Aber irgendwann kam der Moment, wo der Schrank fertig eingebaut im Zimmer stand und die letzte Passleiste angebracht und die letzte Schraube eingedreht war. Dies war ein Augenblick, der sich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hat. Der Meister, der vorher eigentlich ständig in unermüdlich emsiger Bewegung war, ohne Rast und Ruh nur auf den Fortgang seiner Arbeit konzentriert, er wurde plötzlich ganz still, stand einfach nur da und betrachtete einige Minuten lang stillschweigend sein Werk. Der Ausdruck, der auf seinem Antlitz lag, ließ jeden Kommentar oder Versuch, ihn anzusprechen, verstummen. So könnte Gott am siebenten Schöpfungstag geblickt haben, als er sah, dass alles „sehr gut“ war.

Sie werden sich zu Recht fragen, warum ich Ihnen das alles in einem Buch, das sich mit Sprache beschäftigt, erzähle. Doch das wird sofort klar, wenn ich zu der Rechnung komme, die mir der Schreiner für seine Arbeit ausstellte. Nicht deren Summe schockierte mich, da sie in angemessener Relation zur aufgewendeten Arbeit stand, sondern die verbale Formulierung der erbrachten Leistung. Auch nach zweimaligen Hinsehen stand dort immer noch klar und deutlich:

„Ramenschrank angefertigt und eingebaut“

Durch das fehlende „h“ in „Ra(h)menschrank“ fühlte ich mich fast peinlich berührt, denn wie war es möglich, dass einem Meister seines Fach, dessen handwerkliche Virtuosität höchste Bewunderung verdiente, ein solch elementarer orthografischer Fehler unterlaufen konnte! Gleichzeitig überkam mich damals auch ein leicht dünkelhaftes Gefühl der Überlegenheit, indem ich mich in dem Bewusstsein sonnte, einer „gehobenen“ Bildungsschicht anzugehören, während mein Schreiner als Hauptschulabsolvent offenbar nur ein ungebildeter Prolet war und sich als solcher orthographisch zu erkennen gab.

Heute schäme ich mich wegen meiner damaligen Denkweise in Grund und Boden  und habe inzwischen erkannt:  Nicht der Schreiner war blöd, sondern die deutsche Orthographie!

Auf der Schule hat man uns den schönen Spruch eingebläut: „Wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich.“ Das Gleiche dürfte dann auch für jemanden gelten, der „Namen, Samen, Damen, Flamen, kamen“ mit „h“ schreibt. Warum nun jemand, der „Rahmen“ mit „h“ schreibt, plötzlich nicht mehr dämlich sein soll, bedarf einer schlüssigen Erklärung. Das mittelhochdeutsche Wort „rame“ liefert jedenfalls diese Erklärung ebenso wenig wie das althochdeutsche „rama“, so dass sich jetzt die kopfschüttelnde Frage erhebt, wer aus welchem Grunde irgendwann auf die neckische Idee verfallen sein mag, ohne Not und tieferen Sinn dem „Ra(h)men“ ein „h“ unterzujubeln. Ob es vielleicht ein „Lahmer“ war, der zwar als „Lamer“ kaum weniger Mitleid erfahren hätte, der aber vielleicht glaubte, mit dem „h“ als Krücke besser gehen zu können?!

Wie unentbehrlich ist das so genannte Dehnungs-h eigentlich?  Was „dehnt“ es überhaupt, das nicht ohnehin schon gedehnt wäre. Würde etwa das „Huhn“ ohne „h“ wie „Hunn“ ausgesprochen? Hierfür besteht ebenso wenig Grund wie dafür, „tun“ (ohne „h“) wie „tunn“ auszusprechen. Wenn es anders wäre, hätten die „Comedian Harmonists“ wohl kaum reimen können: „Ich woll`t ich wär ein Huhn, ich hätt nicht viel zu tun.“

Wozu braucht der „Zahn“ ein „h“, auf das der „Plan“ bei gleichartiger Aussprache getrost verzichten kann? Ganz Spitzfindige könnten vielleicht den hauchzarten Unterschied zischen „Zahn“ und „Plan“ entdecken, der darin besteht, dass „Zahn“ mit einem einzelnen Konsonanten beginnt, während das Wort „Plan“ mit zwei Konsonanten anfängt. Das riecht nach folgender Regel: „Beginnt ein auf n endendes einsilbiges Wort mit einem einfachen Konsonant, so wird es mit h geschrieben, beginnt es mit zwei oder mehr Konsonanten, wird es ohne h geschrieben.“

Machen wir die Probe aufs Exempel: „Hahn, Kahn, Wahn, Bahn, Lohn“ beginnen mit einem einzelnen Konsonanten und werden mit „h“ geschrieben. „Tran, Span, Schwan, Thron, schon“ werden ohne „h“ geschrieben, „weil“ sie mit mehr als einem Konsonanten anfangen. Doch bevor wir nun diese ohnehin an den Haaren herbeigezogene „Regel“ ernst zu nehmen beginnen, macht uns der „Ton“ mit seinem eigensinnigen „Tun“ einen Strich durch die Rechnung.

Nachdem ich zwei schlaflose Nächte mit der Suche nach Beispielen verbracht habe, in denen das Dehnungs-h einen echten Sinn macht, bin ich der Verzweiflung nahe, denn schier alles, was mir einfiel, hielt einer Überprüfung nicht stand. Bei dem Wort „Naht“ zum Beispiel hatte ich zunächst den Verdacht, ohne „h“ würde das „a“ vielleicht  kurz ausgesprochen. Allerdings währte dieser Verdacht nur so lange, bis mir vergleichbare Wörter wie „Rat, Tat, Not, Blut“ in den Sinn kamen, die alle ohne „h“ auskommen. Es bestünde demnach gar kein Grund, die vom „h“ befreite „Nat“ kurz auszusprechen, zumal letzteres die Schreibweise „Natt“ erfordern würde. Wenn es also schon keinen Dehnungs-Grund für das „h“ gab, bestand noch die Möglichkeit, dass es einen aus der Wortbedeutung resultierenden sachlichen Grund geben könnte. Dies schien mir zunächst der Fall zu sein, weil „Naht“ von „nähen“ kommt. Doch dies veranlasste mich sofort zu der weiteren Frage, warum man nicht analog zu „säen“ einfach „näen“, und dann natürlich auch „mäen“ und „bläen“ schreiben könne. Da ich jetzt nicht mehr wusste, ob ich das alles zum „Krähen“ oder zum „Kräen“ finden sollte, legte ich diesen Fall haareraufend zu den Akten.

Wenn schon das „h“ in „Naht“ nicht unverzichtbar war, dann sollte dies aber wenigstens bei „nah“ der Fall sein, weil man es sonst leicht mit dem kurzen Ausruf „na“ verwechseln könnte. Ob allerdings diese Begründung wirklich stichhaltig ist, muss bezweifelt werden, denn würde man Formulierungen wie: „Viele kamen von fern und na.“ oder „Geh nicht so na ans Feuer!“ wirklich missverstehen können? Die Bedeutung mehrdeutiger Wörter wie „Bank“, Schlag“ oder „Läufer“ erschließt sich ohnehin immer erst aus dem Zusammenhang. Und wenn die deutsche Sprache bereits sehr viele Begriffe enthält, die nicht nur zwei sondern sogar mehrere (gelegentlich  über 20!) verschiedene Bedeutungen haben, so kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an.

Apropos „an“. Dieses kleine Allerweltswörtchen teilt mit dem weiteren Allerweltswörtchen „man“ die interessante Eigenschaft, kurz ausgesprochen zu werden. Meines Wissens sind dies die beiden einzigen schwarzen Schafe aus der Familie der auf „an“ auslautenden Wörter, die ansonsten alle lang ausgesprochen werden, ganz gleich ob es sich um den „Fasan“, den Veteran“ oder den „Dschingis Khan“ handelt. „An“ und „man“ gebärden sich geradezu als orthografische Rüpel, weil sie sich einen Dreck um die Regel der bei Kürze üblichen Konsonantenverdopplung scheren. Würde nämlich alles nach Recht und Ordnung zugehen, müsste man entweder „an“ wie „ahn“ aussprechen oder wie „ann“ schreiben und „man“ wie „mahn“ aussprechen oder wie „mann“ schreiben.

Was man sich bei dieser merkwürdigen Orthografie gedacht haben könnte, mag im Falle von „man“ einigermaßen einleuchten. Man wollte wohl – wenigstens auf dem Papier – einen Unterschied zum „Mann“ sehen, da sich „man“ nicht nur auf Männer sondern auf Personen beiderlei Geschlechts beziehen sollte. Diese emanzipatorische Feinfühligkeit – wenn es denn eine solche war und nicht bloße Schreibfaulheit – wurde aber bei dem Wort „jedermann“, das ja auch „jedefrau“ mit einschließt, sofort wieder vergessen, denn sonst würde es „jederman“ heißen. Auch die Aussprache pfeift auf jede frauenfreundliche Rücksichtnahme, indem sie phonetisch zwischen „man“ und „Mann“ kein Unterschied macht.

Vorige Überlegungen mögen mal ganz unterhaltsam sein, mit der Wirklichkeit haben sie eher wenig zu tun, denn die dürfte wohl schlicht darin zu suchen sein, dass es sich bei „an“ und man“ um historisch gewachsene Anomalien handelt, die man nicht logisch begründen kann, die man aber auch der Gewohnheit zuliebe nicht ändern möchte, und die man deshalb einfach als Ausnahmen von der Regel auswendig lernen muss.

Gegen das Auswendiglernen einer begrenzten Anzahl von Spezialfällen ist ja auch gar nichts einzuwenden. Vorausgesetzt es handelt sich wirklich um Ausnahmen von einer ansonsten verlässlichen Regel.  Wenn es jedoch überhaupt keine verlässliche Regel gibt oder gar ein derart zufallsbedingtes Chaos herrscht wie bei der Verwendung des Dehnungs-h, kann man sich im Grunde nur noch mühsam jeden Einzelfall separat einprägen. Dass man etwa „führen“ mit, „spüren“ aber ohne „h“ schreibt, kann man weder hören noch erspüren,  und dass „Höhle“ mit „h“, „grölen“ dagegen ohne geschrieben wird, ist einfach nur zum „Grölen“. Und das alles gar zu „erklären“ (ohne h!) kann lange „währen“ (mit h!), wenn der „Lehrer“ (mit h!)  mit den noch „leeren“ (ohne h aber mit Doppel-e!)  Gehirnen von Grundschülern konfrontiert ist.

Wer das alles in jungen Jahren einmal gelernt hat und damit einigermaßen sicher umzugehen weiß, macht sich gar nicht mehr klar, was für eine hanebüchene Zumutung im Grunde das stupide Auswendiglernen all dieser haarspalterischen Fallunterscheidungen ist, zumal man von alledem in der gesprochenen Rede nicht das Mindeste wahrnimmt. Könnte man die Lernzeit, die man unschuldigen Kindern wegen dieser stumpfsinnigen Paukerei regelrecht „stiehlt“, nicht wahrlich sinnvoller verwenden?! („stiehlt enthält übrigens nicht nur ein Dehnungs-e sondern auch noch ein Dehnungs-h, weil doppelt genäht besser hält. Warum es also nicht einfach „stilt“ heißt, bedarf einer ernsthaften Hinterfragung, zumal eine Verwechslung mit „stillt“ ausgeschlossen ist.)

Wie ist es überhaupt zu dem ganzen groben Unfug mit dem Dehnungs-h gekommen? (Auf andere Dehnungslaute, die man ähnlich einmal unter die Lupe nehmen könnte, soll hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden.) Bevor es eine allgemein verbindliche Rechtschreibung gab, war das Dehnungs-h ein Mittel, mit dem der Schreiber die Länge einer Silbe verdeutlichen konnte, wenn er das für nötig hielt. Da verschiedene Schreiber geschmacksbedingt davon unterschiedlichen Gebrauch machten, bildeten sich unter Mitwirkung des Nachahmungstriebes allmählich gewisse3 Schreibgewohnheiten aus, die dann bei der Einführung einer verbindlichen Rechtschreibung lexikalisch festgeschrieben wurden. Das Fatale daran war, dass die orthografischen Festlegungen sich nicht an sinnvollen Regeln orientierten, sondern einfach den zufallsbedingten Status quo von damals zur Richtschnur erhoben.

Wenn wir uns nun einfach dazu durchringen könnten, die Suppe, die uns von den damaligen Rechtschreibköchen eingebrockt wurde, nicht unter mühsamer Unterdrückung von Ekelgefühlen auszulöffeln sondern angewidert auszuschütten, könnten wir künftigen Generationen das Leben sehr erleichtern. Was ich mit „ausschütten“ meine, ist folgendes: Schluss mit dem stumpfsinnigen Pauken orthografischen Unsinns und Rückkehr zu einer liberalisierten Verwendung des Dehnungs-h! Liberalisierung würde nicht Regellosigkeit bedeuten sondern im Gegenteil die herrschende Regello­sigkeit beenden.

Eine sinnvolle Regel könnte besagen, dass in allen Fällen, wo das Dehnungs-h überflüssig erscheint (und das sind die meisten, wenn nicht sogar alle Fälle), dieses entfallen kann oder sogar entfallen sollte. Dies würde einen Entschlackungsprozess in Gang setzen, der dem Dehnungs-h langfristig zu einem sanften Dahinscheiden verhelfen würde. In der Zwischenzeit dürfte es weiter verwendet werden, wenn es dem Schreiber aus Verdeutlichungs- oder Gewohnheitsgründen sinnvoll erscheint.

„Ahn“ oder „Ahne“ kommt vom mittelhochdeutschen „an“ bzw. „ane“, woraus erhellt, dass die Schreibung mit „h“ entbehrlicher Luxus oder besser lästiger Ballast ist. Trotz­dem sei es jedem unbenommen, weiterhin „Ahn“ zu schreiben, um diesen etwa von der Prä­position „an“ zu unterscheiden, oder um zu verhindern, dass der „An“ gar abwegig mit „anal“ in Verbindung gebracht wird. Aber es soll auch niemand mehr auf einen rechtschaffenen Schreiner verächtlich herabblicken dürfen, der die Weisheit „Wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich.“ sinngemäß auf einen „Ramenschrank“ überträgt.

Denn nicht nur, wer „nämlich“ mit „h“ schreibt, ist dämlich. Noch viel dämlicher ist jemand, der das für eine intelligente Lehrweisheit hält!

Im Nachhinein fällt mir übrigens noch ein sehr schönes Beispiel für die weitgehende Entbehrlichkeit des Dehnungs-h ein. Lang, lang ist’s her, ich weiß nicht mehr genau, wann es war, aber ich tippe einmal auf Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, weil ich damals noch recht oft ins Kino gegangen bin. Damals waren im Kino des Öfteren Werbespots für einen Kräuterlikör zu sehen. Neben der zeichnerischen Darstellung historischer Fahrräder war dort immer der Slogan zu lesen: „Hulstkamp hilft dem Vater auf das Farad. “ Nicht nur im Kino sondern auch auf Plakatwänden und Litfaßsäulen und in Zeitungen und Zeitschriften begegnete man ständig diesem Werbespruch. (Ich weigere mich übrigens dem Vorschlag meiner Rechtschreibprüfung zu folgen und „Litfasssäule“ zu schreiben, denn meines Wissens ist „Litfaß“ ein Eigenname, den die Rechschreibreform nicht juckt.)

Wenn Sie jetzt etwas gemerkt haben, sind Sie besser, als ich es damals war. Denn ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte ein halbes Jahr lang diesen Werbeslogan fast täglich vor Augen, ohne zu merken, dass „Farad“ ohne „h“ und zweites „r“ geschrieben war. Ich hätte es wahrscheinlich nie bemerkt, wenn ich nicht zufällig in einem Wochenmagazin einen Artikel über Tricks in der Werbung gelesen hätte, in dem auch auf diese spezielle Werbung mit ihrem orthografischen Gag Bezug genommen wurde.

Dieses Beispiel belegt wieder einmal schlagend, welch großes Vereinfachungspotenzial in unserer Sprache schlummert. Wenn es schon bei der Hulstkamp-Werbung kaum auffiel, würde sicher auch kaum jemand Anstoß daran nehmen, wenn wir künftig offiziell das sperrige „Fahrrad“ durch ein flüssig elegantes „Farad“ ersetzen würden. Die Erinnerung  ans fahrende Rad könnte trotzdem im Hinterkopf verbleiben, und Verwechslungen mit „Farad“ als Einheit für die physikalische Größe „Kapazität“ –die zu Ehren des Physikers Michael Faraday so benannt wurde – sind kaum zu befürchten, denn auf die setzt sich keiner.

Im Übrigen habe ich keine allzu großen Befürchtungen, dass die in diesem Kapitel enthaltenen Denkanstöße für künftige Rechtschreibreformen in naher Zukunft Wirk­lichkeit werden könnten. Denn wenn es heutzutage bereits als reformerische Großtat gefeiert wird, wenn da mal der punktuelle Angriff auf ein ahnungsloses „Känguruh“ gelingt, um ihm ein überflüssiges „h“ zu entwenden, wie lange soll es dann dauern, bis mal wirklich was passiert?! 

 

Wer zählt die Völker, nennt die Namen...?

Als ich kürzlich mit dem Auto die Umgehungsstraße der Kleinstadt Halver befuhr, fiel mein Blick auf ein großes Transparent, auf dem eine  „Halveraner“ Veranstaltung angekündigt wurde. Da mich diese nicht weiter interessierte, habe ich mir nicht gemerkt, ob es sich um ein Schützenfest, einen Jahrmarkt oder was auch immer handelte. Aber der Ausdruck „Halveraner“ verfolgte mich nachhaltig und kreiste in meinem Schädel, weil ich nicht so recht begreifen wollte, warum ein schlichtes „Halverer“ nicht auch genügt hätte.

Weil mir die Sache keine Ruhe ließ, bemühte ich die in solchen Fällen oft aufschlussreiche Internetsuche. „Halverer“ wurde 40-mal gefunden, „Halveraner“ dagegen 757-mal, was belegt, dass die einfache Version zwar nicht unmöglich ist, dass jedoch eine breite Mehrheit die üppigere Fassung favorisiert. Der Grund hierfür könnte darin liegen, dass sich „Halveraner“ glatter ausspricht und musikalischer klingt als das wegen der Silbenverdopplung leicht holprige „Halverer“. Andererseits nimmt die deutsche Sprache sonst wenig Rücksicht auf solche Holprigkeiten. Sonst hätte man sicher aus dem „Stotterer“ längst einen „Stotteraner“ gemacht.

Es bleibt also letztlich im Dunkel, was die Mehrheit der Deutschen dazu bewegt, den sprachlichen Wohllaut der Kürze vorzuziehen. Dass es so ist, belegen auch Beispiele wie Münster oder Hannover. Während „Münsteraner“ im Internet mit 536000 Fundstellen vertreten ist, kommt „Münsterer“ nur 99000 mal vor. Was aber noch viel ist im Vergleich zu Hannover, wo der Unterschied weit krasser ausfällt: 945000 Fundstellen für „Hannoveraner“ gegenüber nur 2390 für „Hannoverer“. Auf der Suche nach weiteren Beispielen, die der Bestätigung der sich abzeichnenden Regel dienen sollten, fiel mir nur noch Eger ein, das mir allerdings eine saftige Überraschung bescherte. Diesmal fand nämlich die Suchmaschine nur ganze 8 Beispiele für „Egeraner“ während „Egerer“ 108000-mal gefunden wurde.

Von obigen Fällen abgesehen werden die Einwohner von Städten im Allgemeinen recht einheitlich bezeichnet, nämlich indem man dem Städtenamen einfach ein „er“ anhängt, also Kölner, Berliner, Hamburger usw. Hier haben wir es mit einer erfreulich verlässlichen Bezeichnungspraxis zu tun, der Ausnahmen nahezu fremd sind. Sogar die „Fuldaer“ reihen sich friedlich ein, obwohl man denen leicht Extravaganzen wie „Fuldaner“ oder „Fuldenser“ zutrauen würde. Wie man sieht, sind in Einzelfällen auch mal Siege des Logifizius über Konfusius möglich.

Solche sind jedoch nie von langer Dauer. Denn zur durchgängig konformen Benennung der Stadtbewohner tut sich ein krasser Gegensatz auf, wenn man die Namensgebung für die Einwohner von Ländern unter die Lupe nimmt. Wie wir gleich sehen werden, wimmelt es hier geradezu von Absonderlichkeiten und Extravaganzen. Hier hat Konfusius freie Hand und darf Orgien feiern.

Dass die Einwohner von England „Engländer“ und die Bewohner von Holland „Holländer“ heißen, verwundert nicht weiter. Auch dass in Grönland die „Grönländer“ und in Island die „Isländer“ leben, ist unmittelbar einleuchtend. Doch warum leben dann in „Deutschland“ dem entsprechend nicht die „Deutschländer“ sondern bloß noch die „Deutschen“? Etwa weil „Deutschländer“ Würstchen sind...? Und warum heißen die Einwohner von Russland nicht „Russländer“ und die Einwohner von Finnland nicht „Finnländer“? Mit dem gleichen Recht, wie diese sich „Russen“ oder „Finnen“ nennen dürfen, sollten sich dann auch die Holländer „Hollen“ und die Grönländer „Grönen“ nennen dürfen.

Doch so schön logisch und einheitlich gebärdet sich die Sprache nicht, denn sie tendiert dazu, jedem Land ein eigenes nomenklatorisches Süppchen zu kochen. Nachdem wir vorhin die Russen in Russland, die Deutschen in Deutschland und die Finnen in Finnland beheimaten konnten, hätten wir nun auch die Griechen gerne in „Griechland“ angesiedelt. Doch da gibt es plötzlich Probleme, weil alle Welt plötzlich behauptet, es heiße nicht „Griechland“ sondern „Griechenland“. Aber wenn dem so ist, fragt man sich im Nachhinein, warum es dann nicht auch „Russenland“, Finnenland“ und „Deutschenland“ heißt!

In Italien leben die „Italiener“. In Spanien leben aber deshalb noch lange nicht die „Spaniener“ sondern schlicht die „Spanier“. Würde sich Italien zu ähnlicher Schlichtheit bequemen, würden dort die „Italier“ wohnen. Buchstäblich noch bescheidener geht es in Arabien zu, denn dort leben weder nach italienischem Sprachvorbild die „Arabiener“ noch nach spanischem Muster die „Arabier“, sondern kurz die „Araber“. Diesem sparsamen Vorbild nacheifernd müssten sich die Italiener auf „Italer“ und die Spanier auf „Spaner“ reduzieren.

Wandert man mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf weiter durch Europa, hofft man in Serbien die „Serbier“ oder „Serber“ anzutreffen. Überraschend mit den „Serben“ konfrontiert, fragt man sich, warum die so benannten dann nicht auch einfach in „Serben“ leben. Schließlich leben die Polen ja auch in Polen und nicht etwa in „Polien“, ähnlich wie  die Schweden nicht in „Schwedien“ sondern in Schweden wohnen. In ähnlich ungetrübtem sprachlichen Gleichklang mit ihrer Heimat befinden sich die Westfalen, Hessen, Pommern, Sachsen oder Bayern.

Auch die in Ungarn ansässigen Ungarn scheinen in diese Reihe zu passen, aber nur weil Landes- und Einwohnername übereinstimmen. Ansonsten haben die Ungarn etwa mit den Polen wenig gemein, denn wäre es anders, müssten entweder in „Poln“ die „Poln“ wohnen oder in „Ungaren“ die „Ungaren“. Doch damit nicht genug der Eigenbrötlerei! Werfen wir einen Blick auf die Nachbarländer Ungarns. Wie bereits erwähnt leben in Serbien die Serben, ferner in Kroatien die Kroaten, in Tschechien die Tschechen, in Rumänien die Rumänen, in Bulgarien die Bulgaren. Warum können jetzt nicht ebenso in „Ungarien“ die „Ungaren“ leben?! Sollte übrigens die Verwechslungsmöglichkeit mit „Ungekochten“ stören, böte sich z.B. die unverfängliche Alternative „Ungarier“ an. Dies wäre auf jeden Fall besser als das merkwürdige „Un-Garn“, das die deutschen Namensgeber hier gesponnen haben.

Nachdem wir vorhin gedanklich die Schweden in Schweden besucht haben, lassen wir unsere Gedanken weiter ins Nachbarland Norwegen schweifen und stellen verwundert fest, dass dessen Einwohner sich nicht als „Norwegen“ an das schwedische Vorbild halten, sondern als „Norweger“ ihren eigenen Kopf behaupten. Noch eigenwilliger geht es im Jemen zu, wo man keineswegs auf die erwarteten „Jemen“ oder „Jemer“ stößt sondern auf die extravaganten „Jemeniten“. Diesen sprachlichen Clou haben sie offenbar von den „Israeliten“ übernommen, die ja als „Volk Gottes“ schon immer etwas Besonderes sein wollten.

Die Israeliten wiederum liegen im Dauerclinch mit den Palästinensern, die auch nicht glücklich sind, ohne sich eine sprachliche Extrawurst zu braten. Da die Einwohner von China keineswegs „Chinenser*“ sondern „Chinesen“ heißen, könnten  sich die Einwohner von Palästina eigentlich genau so gut „Palästinesen“ nennen anstatt sich als „Palästinenser“ aufzuspielen. „Palästinaer“ wäre übrigens auch möglich, und zwar in Anlehnung an die überwiegend übliche Benennung „Ghanaer“, die nur selten als „Ghanesen“, noch seltener als „Ghaneser“ und schon gar nicht als „Ghanenser“ in Erscheinung treten.

Nicht weit von China liegt Nepal. Dort wohnen die „Nepalesen“, die sich sprachlich gut mit den im Senegal beheimateten „Senegalesen“ vertragen. Der nahe liegende Analogieschluss, in Portugal würden nun die „Portugalesen“ sitzen, ist jedoch ebenso verfehlt wie der Umkehrschluss von den „Portugiesen“ auf die „Senegiesen“ oder „Nepiesen“. Überhaupt fällt man mit Analogievermutungen meist auf die Nase, so wie der Österreicher, der glaubt, in Frankreich lebten die „Frankreicher“ oder umgekehrt der Franzose, der in Österreich die „Österosen“ vermutet. Aber auch der Reisende, der in Irland die Iren kennen gelernt hat und nun meint, bei seiner Weiterfahrt nach Island den „Isen“ zu begegnen, erlebt eine herbe Enttäuschung.

Früher gab es eine Region in Asien, die „Bengalen“ hieß und in der die „Bengalen“ wohnten. Hieraus könnte der gutgläubige Analogiker den Schluss ziehen, die ähnlich endenden „Mongolen“ lebten in „Mongolen“. Aber die denken gar nicht daran sondern ziehen sich eigensinnig in die „Mongolei“ zurück. Darin tun sie es den „Türken“ gleich, die statt in „Türken“, „Türkien“ oder „Türkland“ sich in der „Türkei“ wohler fühlen. Das heißt, ob sie sich da wirklich wohl fühlen, ist noch keineswegs ausgemacht, denn die sprachliche Ähnlichkeit mit der „Walachei“ ist unverkennbar, und da letztere häufig als Synonym für den „Arsch der Welt“ gebraucht wird, wollte man den Türken wohl kaum ein sprachliches Kompliment machen, indem man sie in die Türkei „verbannte“. Man muss sich schon fast wundern, dass die Türken die abfällige Benennung Ihres Landes so gelassen hinnehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Türke, der es im Gegenzuge wagte, Deutschland als „Deutschei“ zu bezeichnen, hierzulande seines Lebens nicht mehr froh würde. Den Tschechen gegenüber sind die Deutschen übrigens etwas vorsichtiger geworden, weil sie sich inzwischen die alte Bezeichnung „Tschechei“ verkneifen und durch „Tschechien“ ersetzen. Es wäre sicher ein zwar kleiner, trotzdem begrüßenswerter Beitrag zur Völkerverständigung, wenn man mit den Mongolen, Türken und Mandschuren ähnlich verfahren würde.

Bei Begriffen wie „Türkei“ und „Mandschurei“ fällt übrigens noch auf, dass sie weiblichen Geschlechts sind. Normalerweise sind Ländernamen neutral und werden ohne Artikel verwendet. So lebt man z. B. nicht „in dem Deutschland“ sondern einfach „in Deutschland“ und man reist nicht „in das Frankreich“ sondern einfach „nach Frankreich“. „Nach Türkei“ zu fahren ist jedoch sprachlich nicht möglich, das geht nur „in die Türkei“. Was übrigens an der Türkei weiblich sein soll, ist ebenso wenig zu erkennen wie das, was den Libanon männlich macht. Was soll der Unfug, einzelne Länder mit Geschlecht und Artikel zu versehen?! Was ist am Jemen oder Sudan maskulin?!

Im Sudan wohnen übrigens nur wenige „Sudaner“, die meisten sind „Sudanesen“. Im gleich endenden „Pakistan“ dagegen gibt es laut Internet mal ganze 9 „Pakistanesen“, die Zahl der „Pakistaner“ ist schon etwas größer, doch ca. 98 Prozent der Bevölkerung sind „Pakistani“. Wenn man nun erwartet, die Einwohner von Kurdistan seien entsprechend „Kurdistani“, so belehrt einen das Internet, dass die Bezeichnung „Kurdistani“ zwar im Ausland gebraucht wird, in Deutschland jedoch fast ausschließlich von „Kurden“ die Rede ist. Wenn nun in Kurdistan die Kurden, in Afghanistan die Afghanen, in Usbekistan die Usbeken und in Kasachstan die Kasachen zu Hause sind, sollte man dann nicht in Pakistan die ... „Paken“ vermuten?! Die Logik würde es fordern, doch die Sprache schert sich um Logik mal wieder einen Dreck.

Dass die bereits erwähnten Polen in Polen und die Schweden in Schweden leben, wirft die nahe liegende Frage auf, warum die Briten nicht in „Briten“ sondern in (Groß-)­ Britannien beheimatet sind. Schließlich leben weder die Polen in „Polannien“ noch die „Schweden“ in „Schwedannien“. Aber wenn die Briten sich nun einmal in „Britannien“ wohler fühlen, so sei ihnen das von Herzen vergönnt, nur müssen sie sich dann auch die Frage gefallen lassen, warum sie nicht „Britannier“ oder „Britannen“ heißen.

Warum in Indien heute nur noch „Inder“ und keine „Indianer“ mehr leben, liegt wohl daran, dass letztere vor über 500 Jahren nach Amerika ausgewandert sind, um einem gewissen Kolumbus vorzugaukeln, er habe den Seeweg nach Indien entdeckt. Man könnte nun fragen, warum die Indianer in Anlehnung an die Italiener nicht „Indiener“ heißen. Wie man umgekehrt fragen könnte, warum die Italiener nicht „Italianer“ heißen. Zumal diese in „Italia“ leben!

Und was ist mit den Brasilianern“? Ebenso wenig wie die Indianer in „Indian“ leben sondern fälschlich für die Einwohner Indiens gehalten wurden, wohnen die Brasilianer in „Brasilian“ sondern in Brasilien.. Also warum nicht  „Brasiliener“?

Ähnliche Merkwürdigkeiten dürfte es noch viele geben, die wir aber jetzt mal dem Forschungsdrang des Lesers überlassen wollen.

 

Wöchentlich und morgendlich

Die Tageszeitung kommt „täglich“ ins Haus, das Telefonbuch gibt es ein- oder zweimal „jährlich“, das Monatsmagazin erscheint „monatlich“ und die Rundfunkzeitschrift erhalten wir „wöchentlich“. Daran wäre nun nichts weiter bemerkenswert ohne das letzte Wort „wöchentlich“, das uns aufhorchen lässt. Denn dieses benimmt sich recht wunderlich, indem es aus der Reihe seiner „Kollegen“ tanzt und sich nicht „wöchlich“ nennt, wie sich das gehören würde, sondern eben „wöchentlich“.

Da sich die anderen zeitbezogenen  Adjektive bzw. Adverbien  weder „jährentlich“ noch „tägentlich“ oder gar – o Graus – „monatentlich“ nennen, stellt sich die Frage wie es zu dem eigenwilligen Sonderverhalten der Woche kommt. Der eine oder andere Oberschlaue wird sofort sagen, das sei doch ganz klar: während Jahr, Monat und Tag alle mit einem Konsonanten endeten, schließe die Woche mit einem „e“, so dass der Fall hier anders liege. Würde man einfach „wöchelich“ sagen, so klänge das holprig, und deshalb füge man noch einige Buchstaben hinzu, um eine glattere Aussprache zu erzielen.

Klingt zunächst plausibel, ist aber Blödsinn. Denn „wöchentlich“ spricht sich um keinen Deut besser als „wöchelich“, eher sogar schlechter. Außerdem könnte man einmal vorsichtig anfragen, was an der „Epoche“ sprachlich so fürchterlich anders sei als an der „Woche“. Klingen tun die beiden Wörter jedenfalls recht  ähnlich. Warum sträubt sich nun die Epoche mit Händen und Füßen gegen die gutbürgerliche Adjektivierung „epöchentlich“ und versteift sich auf ein exklusives „epochal“?! Wäre die Woche von ähnlichem Dünkel zerfressen, käme die „Wochenpost“ nicht mehr „wöchentlich“ sondern „wochal“ ins Haus.

Wer übrigens jetzt einen leichten Lachanfall bekommen haben sollte, möge kurz innehalten und sich klar machen, dass „epöchentlich“ und „wochal“ kein Jota lächerlicher sind als „wöchentlich“ und „epochal“. Warum man über das eine lacht und über das andere nicht, ist nicht in der Sache begründet, sondern belegt nur, dass der Mensch durch und durch ein Gewohnheitstier ist.

Warum es übrigens nicht „wöchlich“ heißen soll, wird umso schleierhafter, je mehr man sich auf die Suche nach Parallelfällen begibt. Was der „Woche“ recht ist, sollte der „Sache“ eigentlich billig sein. Doch diese denkt gar nicht daran, sich durch das kapriziöse „wöchentliche“ Vorbild verwirren zu lassen, sondern bleibt ganz kühl und „sachlich“. „Sächentlich“ findet sie doof und nennt deshalb ihr zugehöriges Geschlecht „sächlich“. Bei so viel Sachlichkeit verwundert es allerdings ein wenig, warum sie sich nicht den Scherz verkneifen konnte, durch die spitzfindige Unterscheidung zwischen „sachlich“ und „sächlich“ Verwirrung zu stiften. Für solche Haarspaltereien gibt es nämlich keinen wirklich triftigen Grund, denn würde es einen solchen geben, wäre zwingend auch eine Differenzierung in „mannlich“ und „männlich“ erforderlich, nicht zu vergessen auch „weiblich“ und … wie soll man sagen?... „weublich“ vielleicht?!

Auf der Suche nach Analogbeispielen für die vorhin entdeckte unsäglich unsachliche sächliche Marotte stoße ich zunächst auf die ähnlich klingende „Sprache“. Doch diese ansonsten stets zu allerlei kurzweiligem Schabernack aufgelegte Dame verhält sich diesmal ganz sittsam, indem sie sich bescheiden mit der alleinigen Adjektivierung „sprachlich“ begnügt. „Sprächlich“ oder gar „sprächentlich“ sucht man vergebens. Überhaupt scheinen die meisten Hauptwörter mit einer einzigen adjektivisch-adverbialen Form auszukommen. So findet man neben „örtlich“ nicht auch noch „ortlich“ oder neben „stündlich“ auch noch „stundlich“. Auch „mündlich“ hat keine Schwester namens „mundlich“. Bei „mündig“ jedoch werden wir zwar nicht „fundig“ aber „fündig“. Denn außer „mündig“ existiert auch „mundig“, was so viel wie mundend oder wohlschmeckend bedeutet. Da (hoffentlich!) niemand auf die Idee kommt, einen „mündigen“ Bürger mit einem „mundigen“ also „wohlschmeckenden“ Bürger zu verwechseln, ist wegen der völlig unterschiedlichen Bedeutung diesmal im Gegensatz zum obigen Fall die Existenz zweier Wortformen gerechtfertigt.

Doch noch einmal zurück zur Sache mit der „Woche“. Dass es ebenso gut „wöchlich“ heißen könnte, wie es „sächlich“ heißt, sahen wir schon. Aber wäre auch „wöchelich“ denkbar? Natürlich, denn zur „Ehe“ gehören ja auch die „ehelichen“ Pflichten und nicht etwa die „ehlichen“ oder „ehentlichen“. Hätte sich die Woche vor der Taufe ihres adjektivischen Sprösslings ein wenig sorgfältiger in der Sprachlandschaft umgesehen, wäre sie sicher auf das Beispiel der „Ehe“ gestoßen, anstatt sich versehentlich an dem falschen Vorbild „Versehen“ zu orientieren. Die „Entlichkeit“ findet man nämlich fast nur bei der sprachlichen Erweiterung von Wörtern,  die auf „en“ enden. So wird etwa „flehen“ zu „flehentlich“, „wissen“ zu „wissentlich“, „gelegen“ zu „gelegentlich“, „offen“ zu „öffentlich“. Warum allerdings auch „Frevel“ zu „freventlich“ und nicht nach dem „schwefeligen“ Muster des „Schwefels“ zu „frevelig“ wird. bleibt eines der vielen süßen Geheimnisse der oben erwähnten kapriziösen Dame.

Täglich graut der Morgen, oder sollten wir besser sagen: „Täglich graut dem Morgen“ angesichts der sprachlichen Schmach, die man seinem Umstands- und Eigenschaftswort antut?! „Morgendlich“! So steht’s dick und fett im Wörterbuch und keiner schreit ob dieser Untat. Ja, wir haben richtig gesehen: nicht „morgentlich“, nein „morgendlich“ mit „d“! Da hat sich wohl mal einer gedacht, wer „abendlich“ sagt, muss auch „morgendlich“ sagen. Der hat dann wohl auch gedacht, es hieße nicht „Morgen“ sondern „Morgend“ wie „Abend“?! Freilich haben nicht alle diesen sprachlichen Unfug mitgemacht. Richard Wagner z.B. lässt in seiner Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ Walther von Stolzing die Worte singen: „Morgenlich leuchtend in rosigem Schein…“. Und die Brüder Grimm geben ihm in ihrem um die Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen Wörterbuch Rückendeckung:

„MORGENLICH, adj. und adv. dem morgen gemäsz oder entsprechend (gewöhnlicher morgendlich, s. d.).“

Je länger ich dieses schöne einfache Wort betrachte, desto mehr habe ich das Gefühl, einen Hauch von frischer Morgenluft zu atmen. Und ich beginne zu träumen von einer Sprache, die sich durchgängig so einfach und konsequent verhält wie sie es bei „morgenlich“ tat, als es dieses Wort noch gab. Dann würden die verbalen „Hauptakteure“ dieses Kapitels leicht verändert aussehen: „taglich“, „jahrlich“, „wochlich“. Nur „monatlich“ könnte bleiben wie es ist, denn bei seiner Erschaffung hatte die Sprache mal einen guten Tag erwischt und auf umlautige Verschandelung („monätlich“) verzichtet. Zu letzterem mehr im Kapitel „Umlauteritis“!

Dass die eingangs des Kapitels so extravagante „Woche“ bisweilen auch ganz vernünftig sein kann, beweist sie, wenn sie Urlaub macht. Dann muss es nämlich nicht mehr unbedingt der „dreiwöchentige“ Urlaub sein, der „dreiwöchige“ tut’s plötzlich auch!

 

Lebendige Sprache

Die lebendigste Wortschöpfung der deutschen Sprache ist das Wort „lebendig“. Es ist so lebendig, dass kein ähnlich strukturiertes Wort neben ihm eine Lebenschance hat. „Lebendig“ entsteht aus dem Verb „leben“, indem man an dessen Partizip Präsens „lebend“ die Silbe „ig“ anhängt. Mir ist kein anderes Adjektiv bekannt, dass nach dem gleichen Muster gebildet würde.

Verdeutlichen wir dies an einem Beispiel: Wer lebt, ist „lebendig“, aber wer strebt, ist deshalb noch lange nicht „strebendig“. Er ist noch nicht einmal  „strebhaft“, auch wenn er sich noch so „lebhaft“ darum bemüht. „Strebsam“ darf er sich nennen, wobei es ihm wiederum seltsam bis wundersam erscheint, warum er als lebhaft Strebender nicht auch ein „strebhaft Lebender“ sein und sich „lebsam“ nennen darf.

Es ist zwar wundersam, aber keineswegs wunderbar, wie kapriziös die deutsche Sprache mit den Anhängseln „-bar“, „-haft“ und „-sam“ jongliert. Dass man dies nicht als „sondersam“ oder „sonderhaft“ bezeichnen kann, ist äußerst „sonderbar“, ebenso wie es „seltsam“ ist, dass man es nicht „seltbar“ oder „selthaft“ nennen  darf. Der Sinn für den unterschiedlichen Gebrauch der genannten Endsilben könnte in gewissen Bedeutungsschattierungen liegen. In der Tat bedeutet „furchtbar“ etwas anderes als „furchtsam“, wie man sofort merkt, wenn man einmal fälschlich von „furchtsamen“ Ereignissen zu reden versucht. Geht man der Sache aber auf den Grund,  wird es – wie so oft – konfus.

Wenn „furchtsame“ Menschen sich vor furchtbaren Dingen fürchten, sollten entsprechend „grausame“ Menschen sich vor grauenvollen Dingen grausen. Auch wenn „schreckhafte“ Menschen vor Schrecken zittern, legt dies die Vermutung nahe, dass „grauenhafte“ Menschen vor Grauen erbeben sollten. Nichts dergleichen ist der Fall, und deshalb stehen wir den Anhängseln „-bar“, „-haft“ und „-sam“ einigermaßen hilflos gegenüber, wenn wir von ihnen konkrete Bedeutungshinweise erwarten. Was z.B. sollte wohl die Wortschöpfung „furchthaft“ bedeuten: eher etwas wie „furchtbar“ oder wie „furchtsam“?

„Furchtbar“ ist übrigens wieder mal eine ziemlich furchtbare Wortkreation, die eigens dazu geschaffen wurde, um jemanden, der Anflüge von Logik in der Sprache zu erkennen glaubt, wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Denn die Logik würde verlangen, dass etwas, das man „fürchten“ kann oder muss, „fürchtbar“ ist, genau wie etwas, das man „spüren“ kann, „spürbar“ und nicht etwa „spurbar“ ist.

Doch kehren wir zurück in die eher heiteren Gefilde des „lebendigen“ Lebens.  Manchmal vermisst man geradezu schmerzlich, dass es keine zu „lebendig“ analogen Wortbildungen gibt. Denken wir z.B. an einen jungen springlebendigen Hund, der lebhaft umherhüpft. Wäre es nicht äußerst treffend, einen solchen als „springendig“ oder „hüpfendig“ zu bezeichnen?! Aber nicht einmal „springhaft“ oder „hüpfhaft“ geht, von den entsprechenden Bildungen mit „sam“ oder „bar“ ganz zu schweigen. „Sprunghaft“ wäre zwar möglich, bedeutet aber nicht „springfreudig“ sondern „launisch“. Wie schade, dass man einen leckfreudigen Hund nicht „leckendig“ oder „leckhaft“ nennen darf! Dabei ist ein „leckhafter Hund“ gar nicht so weit von der sprachlich real existierenden „naschhaften Katze“ entfernt, obwohl auch diese trotz lebhafter Bemühungen keine Chance hat, in den Rang einer „naschendigen“ Katze aufzusteigen.

Wie bereits eingangs vermutet, können wir uns das Hirn noch so zermartern, wir werden keine Analogien zu „lebendig“ finden. „Wendig“ klingt zwar so ähnlich, ist aber vom Infinitiv des Verbs „wenden“ und nicht vom Partizip Präsenz abgeleitet, denn sonst würde es „wendendig“ heißen. Umgekehrt wäre zu „wendig“ die formale Entsprechung „lebig“. Auch „beständig“ klingt nur ähnlich, würde aber bei gleichem Herleitungsverfahren zu „bestehendig“.

Selbst mit „elendig“ haben wir kein Glück. „Elendig“ kommt nämlich nicht von dem Verb „elen“, sondern von „Elend“. Im Elend kann man übrigens auf dreifache Weise zugrunde gehen. In der Economy Class geht man „elend“ zugrunde, in der Business Class geschieht dies „elendig“, und wem das noch nicht reicht, kann in der sprachlichen First Class „elendiglich“ zugrunde gehen.

Schade, dass man sich nicht ähnlich exklusiv „lebendiglich“ begraben lassen kann.

 

nicht unübel

Als ich kürzlich beim Blättern im Duden auf das Stichwort „unübel“ stieß, musste ich an meine Zeit als Lehrer zurückdenken und an einen Kollegen, der jahrelang neben mir im Lehrerzimmer gesessen hatte, aber inzwischen längst nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ich kann mich noch gut an die in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Diskussionen erinnern, die immer dann aufkamen, wenn besagter Kollege von einem seiner Schüler verkündete, er sei „nicht unübel“. Er wollte damit etwas Positives über den Betreffenden ausdrücken, ähnlich wie die Kollegin, die einmal in einer Zeugniskonferenz von einem Schüler sagte, er sei ein „offener Kopf“, womit sie leichte Heiterkeit auslöste.

Immer wieder versuchte ich meinem Kollegen klarzumachen, „unübel“ sei bereits eine Verneinung von „übel“ und bedeute „nicht übel“. Wenn man dies nun ein zweites Mal verneine, entstünde eine doppelte Verneinung, die mit einer Bejahung gleichbedeutend sei. „Nicht unübel“ bedeute also das gleiche wie „übel“. Wenn er also etwas Positives sagen wolle, so wäre eher „nicht übel“ am Platze. Doch so oft ich es auch versuchte, es gelang mir nicht, ihn von seinem Irrtum zu überzeugen, und er beharrte unerbittlich auf der Ansicht, „nicht unübel“ sei eine gängige Redewendung, mit der man zum Ausdruck bringen könne, jemand sei „gar nicht mal so schlecht“ oder ähnliches.

Irgendwann strich ich dann die Segel und dachte bei mir: Na ja, lass ihm mal seine Marotte. Irgendwo hat jeder einen leichten Dachschaden. Und wenn einer nach dem zehnten Erklärungsversuch immer noch auf stur schaltet, sollte man ihm mildernde Umstände zugestehen, weil dann ja nur ein angeborener geistiger Defekt vorliegen könne. Und nach dem Motto „Der Klügere gibt nach“ ließ ich ihn fortan unwidersprochen von seinen „nicht unüblen“ Schülern schwärmen.

Dies alles kam mir wieder ins Bewusstsein, als ich - wie gesagt – kürzlich im Duden blätterte und zufällig auf das Stichwort „unübel“ stieß. Ich erlaube mir einmal, den Eintrag in Dudens Universalwörterbuch wörtlich und ungekürzt zu zitieren:

ụn|übel ‹Adj.›: nur in der Fügung nicht u. (ugs.; eigentlich ganz gut, schön): das schmeckt wirklich nicht u.“

Au weia, da las ich genau das, was ich meinem Kollegen damals als genetisch bedingten geistigen Defekt angelastet hatte. Ich begann an meinem eigenen Verstand zu zweifeln, fragte mich, ob ich vielleicht selbst einen geistigen Defekt hatte, und beschloss, der Sache noch ein wenig nachzugehen.

Also, wenn ich jemandem ein gewisses Maß an Intelligenz bescheinigen möchte, so kann ich z.B. sagen, er sei „klug“. Das gleiche kann ich ausdrücken, indem ich sage, er sei „ nicht dumm“. Auch eine Formulierung wie „Er ist nicht unklug“ würde dem Sachverhalt angemessenen Ausdruck verleihen. Aber wie steht es mit der Formulierung „Er ist nicht undumm“? Also entweder bin ich selbst blöd, oder jemand, der „nicht undumm“ ist, ist es!

Wenn aber jemand, der „nicht undumm“ ist, dumm ist, ist genau so jemand, der „nicht unübel“ ist, übel. Wie kann aber jemand, der „nicht unübel“, also übel ist, „eigentlich ganz gut“ sein? Dass solches hanebüchener Unsinn ist, liegt auf der Hand. Und trotzdem ist es diesem Unsinn gelungen, sich ins Wörterbuch einzuschleichen. Offenbar scheint es auszureichen, dass irgendetwas – und sei es noch so schwachsinnig – nur oft genug wiederholt werden muss, um Eingang in den Wortschatz der Standardsprache zu finden.

Ich finde das alles andere als unübel!


 

Ausleitung

Ich habe mal beschlossen, das letzte Kapitel dieses Buches „Ausleitung“ zu nennen, einfach um ein wenig sprachliche Konsequenz in die Angelegenheit zu bringen. Denn wenn ein Buch mit einer „Einleitung“ beginnt, sollte es folgerichtig mit einer „Ausleitung“ enden. Allerdings habe ich das dumpfe Gefühl, möglicherweise der Erste zu sein, der auf diese seltsame Idee kommt. Oder haben Sie schon mal in einem Buch eine „Ausleitung“ gefunden?! Einem „Nachwort“ als Pendant zum „Vorwort“ kann man häufiger begegnen, auch einem „Schlusswort“. Aber eine „Ausleitung“ gibt es bisher nur bei CDs als „Lead-Out“.

Ich hätte das Eingangskapitel natürlich auch „Einführung“ nennen können, doch dann hätte ich am Schluss eine „Ausführung“ bringen müssen. Das aber hätte mich ernsthaft in Schwierigkeiten gebracht, denn die Sprache hat dem Begriff „Ausführung“ eine Bedeutung unterschoben, die seine Verwendung im wortwörtlichen Sinne unmöglich macht. Hält man sich an die übliche Bedeutung das Wortes, so besteht das ganze Buch aus nichts anderem als „Ausführungen“. Ja wir stehen sogar vor dem Paradoxon, dass bereits die Einführung Ausführungen enthält. Kann man in der deutschen Sprache nicht mal zwei Schritte gehen, ohne den Streichen des heiligen Konfusius zu begegnen?!

Bringen wir also seinem Gegenspieler Logifizius ein kleines Opfer, indem wir die logisch sinnvolle Bezeichnung „Ausleitung“ beibehalten. Sinnvoll ist die Bezeichnung auch deshalb, weil der Leser aus der fiktiven Welt des Buches wieder ins reale Leben hinausgeleitet werden soll. Er sollte dann auch im günstigsten Falle aus dem Buch die eine oder andere nützliche Erkenntnis mitnehmen. Aber welche?

Nun, es wäre bereits ein schöner Erfolg, wenn der Leser nach der Lektüre etwas weniger Ehrfurcht vor der deutschen Hochsprache hätte als vorher. Zur kritiklosen Anbetung alles dessen, was sich Hochdeutsch nennt, besteht nämlich kein Anlass. Dies sei noch einmal an einem kleinen kuriosen Beispiel verdeutlicht. Der Ortsteil, in dem ich wohne, nannte sich früher „Hilverkusen“. Da dies ein dem Bergischen Dialekt entstammender Ausdruck ist, erschien er einigen „fortschrittlichen“ Vertretern der Stadtverwaltung nicht vornehm genug und daher reformbedürftig. Man beschloss ihn ins Hochdeutsche zu übersetzen und änderte ihn zu „Hilfringhausen“. Ich habe zwar keine Ahnung, was „Hilverkusen“ bedeutete, aber es dürfte ziemlich sicher sein, dass ein profunder Kenner des Bergischen Dialektes diese Bedeutung erschließen könnte. „Hilfringhausen“ dagegen ist kompletter Blödsinn, ebenso wie die Namen einiger Nachbarorte, die man in „Dabringhausen“, „Ostringhausen“ oder „Käfringhausen“ umtaufte. Zum Glück ist es wenigstens der Stadt Leverkusen gelungen, den Fängen dieser neudeutschen Wiedertäufer zu entschlüpfen, sonst würde sie jetzt garantiert „Liebringhausen“ heißen.

Ein weiterer Erfolg dieses Buches wäre es, wenn es ein wenig dazu beitragen würde, dass man sich in Zukunft etwas weniger über die Fehler derer lustig machte, die sich in den Fallstricken der deutschen Sprache verfangen, und statt dessen die Marotten der Sprache selbst etwas mehr ins Blickfeld rückten. Es kann nicht schaden, wenn sich der Blick dafür schärft, dass die deutsche Sprache nicht das Werk eines intelligenten Konstrukteurs ist sondern eher der Inhalt eines gewaltigen Suppentopfes, in den im Laufe der Zeiten nicht immer nur Meisterköche ihre Zutaten geworfen haben. Gemäß dem Spruch „Viele Köche verderben den Brei“ ist das Auslöffeln dieser Sprachsuppe  folglich kein reines Zuckerschlecken.

Um dieses Auslöffeln ein wenig zu erleichtern, wäre eine Sprachreform von Nöten, die weit über das hinausginge, was die letzte Reform zuwege gebracht  hat. Da ohnehin kaum Aussicht besteht, dass dieses Buch etwas bewirkt, mache ich mir nicht die Mühe, einen detaillierten und ausgereiften Entwurf einer solchen Reform auszuarbeiten. Doch wir könnten noch einmal kurz eine Auswahl der gröbsten Änderungen aufzählen, die eine künftige Rechtschreibreform enthalten sollte:

Sollte man sich irgendwann dazu durchringen, derartiges zu beschließen, müsste dies nicht bedeuten, dass alle Bücher neu gedruckt werden müssten, weil die alten Schreibweisen von heute auf morgen für falsch erklärt würden. Sie könnten durchaus weiter verwendet werden, solange bis sie von selbst ausstürben. Nur sollten die neuen Schreibweisen als richtig akzeptiert und nicht mehr als Fehler angekreidet werden.

Dies würde den Grundschulen eine Menge an stupider Paukarbeit ersparen. Und den Kindern einiges an unnützer Quälerei. Denn wie ich schon am Beginn des Buches betonte, ist das zwangsweise Auswendiglernen offenkundigen Schwachsinns eine arge Zumutung, die an Körperverletzung grenzt.